Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Abänderung des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung
(Beantwortung der Motion zur Anpassung des Strafrechts betreffend das Strafmass beim sexuellen Kindsmissbrauch und dem Besitz von kinderpornografischem Material)
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Am 9. Juni 2021 überwies der Landtag eine Motion zur Abänderung des Strafgesetzbuches an die Regierung. Ein wesentliches Ziel sollte dabei sein, die Tatbestände im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sowie den Besitz von kinderpornografischem Material zukünftig härter zu bestrafen.
Die Motionärinnen und Motionäre forderten eine Erhöhung des gesetzlichen Strafmasses bei Sexualdelikten, die Kinder und Minderjährige als Opfer betreffen. Die von den Gerichten in diesen Fällen verhängten Strafen sollten eine adäquate Sühne darstellen und es sollte ihnen auch eine präventive Wirkung zukommen.
Mit der gegenständlichen Regierungsvorlage wird dem Anliegen der Motionärinnen und Motionäre insofern entsprochen, als dass die Strafrahmen bei den Tatbeständen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen (§ 206 StGB), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen (§ 205 StGB) sowie beim Kinderpornografietatbestand (§ 219 StGB) erweitert werden. Die Mindeststrafen bei den Missbrauchsdelikten nach §§ 205 und 206 StGB werden verdoppelt und auch beim Kinderpornografietatbestand werden die Strafhöhen in den Abs. 1 bis 4 erheblich verschärft. Die vorgesehenen Abänderungen des Strafgesetzbuches stehen somit im Einklang mit der Forderung der Motionärinnen und Motionäre nach einer angemessenen Erhöhung der Strafrahmen im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sowie dem Besitz von kinderpornografischem Material.
Flankierend dazu wird mit der Einführung des neuen § 43 Abs. 3 StGB die gänzlich bedingte Strafnachsicht im Falle einer Verurteilung wegen Vergewaltigung (§ 200 StGB) oder des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen (§ 205 StGB) ausgeschlossen. Mit einer Klarstellung in § 43 Abs. 3 StGB wird aber sichergestellt, dass die §§ 43 und 43a StGB weiterhin anwendbar sind.
Ebenfalls Rechnung getragen wird der Forderung der Motionärinnen und Motionäre nach Erhöhung der Tagessätze bei Geldstrafen. Anstelle der seit Inkrafttreten des Strafgesetzbuches im Jahr 1989 unverändert gebliebenen Tagessatzhöhe von mindestens CHF 10 und höchstens CHF 1'000 werden durch die Anpassung von
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§ 19 Abs. 2 StGB neu Tagessätze von mindestens CHF 15 und höchstens CHF 5'000 veranschlagt.
Zuständiges Ministerium
Ministerium für Infrastruktur und Justiz
Betroffene Stellen
Gerichte
Staatsanwaltschaft
Landespolizei
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Vaduz, 4. Oktober 2022
LNR 2022-1402
P
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Abänderung des Strafgesetzbuches zu unterbreiten.
Gestützt auf Art. 42 der Geschäftsordnung des Landtages vom 19. Dezember 2012, LGBI. 2013 Nr. 9, reichten zehn Abgeordnete eine Motion ein, mit welcher die Regierung beauftragt wurde, das Strafgesetzbuch (StGB)
1 derart abzuändern und dem Landtag eine Gesetzesvorlage vorzulegen, wonach Tatbestände im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen sowie der Besitz von kinderpornografischem Material zukünftig härter bestraft werden.
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Die Motion ist mit 10. Mai 2021 datiert und wurde vom Landtag am 9. Juni 2021 an die Regierung überwiesen.
Der Vorstoss wird von den Motionärinnen und Motionären wie folgt begründet:
"Der sexuelle Missbrauch von Kindern stellt ein schweres körperliches und auch psychisches Verbrechen dar. Die verschiedenen Deliktsarten werden im Strafgesetzbuch mit unterschiedlich hohen Strafmassen geahndet. Im schlimmsten Fall mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren.
Kindern und Jugendlichen soll der höchste Schutz durch die Gesetze und Strafgerichte zukommen. Sie haben oft lebenslang an den Folgen von solchen schweren Delikten zu leiden, während sich die Täter oftmals schon nach Bezahlung einer geringen Geldstrafe und/oder relativ kurzer Strafverbüssung wieder auf freiem Fusse befinden. Die Opfer-Täter-Symmetrie wirkt in dieser Hinsicht vielfach sehr stossend. Man hat oft den Eindruck, dass die Täter für die Schwere ihres angerichteten physischen und psychischen Schadens bzw. Leids nicht einer gerechten Strafe zugeführt werden. Anscheinend werden in der Spruchpraxis bei der Strafbemessung solcher schweren deliktischen Tathandlungen immer noch zu viele Rücksichten und Sensibilitäten für die Täter aufgebracht und zu wenig Empathie in die schwerwiegende Situation der Opfer solcher strafbarer sexueller Handlungen entgegengebracht.
Eine Erhöhung des gesetzlichen Strafmasses bei Sexualdelikten, die Kinder und Minderjährige als Opfer betreffen, sollte daher vom Gesetzgeber dringlich beraten und erlassen werden. Die Strafen, welche die Gerichte in diesen Fällen verhängen, sollten eine adäquate Sühne darstellen und ihnen sollte auch eine präventive Wirkung zukommen.
Dies zeigt gemäss liechtensteinischen Medienberichten bspw. ein Fall aus dem Jahre 2019 auf, bei welchem der Besitzer von grossen Beständen an 9
kinderpornografischem Material lediglich zu einer geringen Geldstrafe von CHF 1'800 und lediglich zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wurde. Wäre der Delinquent betrunken Auto gefahren, so wäre seine Busse höher ausgefallen als der abscheuliche Besitz von kinderpornografischem Material. Dies ist in den Augen vieler unverhältnismässig und nicht nachvollziehbar. Ein weiterer Fall zeigt sich bei einem über Jahre wiederholten, an einer Vielzahl von Mädchen begangenen sexuellen Missbrauch. Hierbei wurde der Täter in der Vergangenheit lediglich zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Über den Fall wurde ausführlich berichtet, wobei das vom Gericht zugesprochene Strafmass bei vielen auf Unverständnis stiess. Stossend dabei auch, dass Argumente, wie zum Beispiel eine bis dato vorhandene Unbescholtenheit etc. eines Täters, vom Gericht als strafmildernd berücksichtigt werden, ungeachtet der vorsätzlich über einen Zeitraum von mehreren Jahren begangenen wiederholten sexuellen Straftaten. Im Gegensatz dazu würde für die Veruntreuung von Vermögenswerten eine mehrjährige unbedingte Haftstrafe verhängt. Es stellt sich berechtigter Weise die Frage, ob im Strafrecht Vermögensdelikte mit Blick auf das Strafmass höher gewichtet werden als der strafrechtliche Schutz von Delikten gegen die sexuelle Integrität von Kindern und Jugendlichen. Wie erwähnt, steht nach Sicht der Motionäre das Verhältnis zwischen Vermögensdelikten und Delikten gegen sexuelle, körperliche und psychische Integrität von Kindern in Bezug auf die gesetzlichen Strafdrohungen in einem offensichtlichen Missverhältnis. Hier gilt es den Hebel anzusetzen, wobei nicht die Vermögensdelikte einer tieferen Strafandrohung unterstellt werden sollen, sondern die Delikte der gegenständlichen Motion härter bestraft und die Opfer verstärkt geschützt werden. Das Strafmass ist entsprechend anzuheben und ist in ein nachvollziehbares Verhältnis zu anderen Delikten des Strafgesetzbuches zu stellen. Das Ziel muss es sein, dass das angerichtete Leid oder der potenzielle Schaden, der durch die Tat 10
bewirkt wurde, sich in der Strafe widerspiegeln. Dies setzt eine angemessene Erhöhung des Strafrahmens zwingend voraus. Möglicher Anpassungsbedarf
Nachfolgend wird von den Motionären ein möglicher Anpassungs- und Handlungsbedarf im Strafgesetzbuch in Vorschlag gebracht. Die Anpassungen sind neben dem Strafgesetzbuch allenfalls auch in weiteren Gesetzen vorzunehmen. Die nachfolgenden Ausführungen sind als Vorschläge zu verstehen, wobei nicht abschliessend. Die Regierung wird beauftragt kritisch zu prüfen, ob eine generelle Strafverschärfung bei den relevanten Bestimmungen des Kinder- und Jugendsexualstrafrechts unter Massgabe der vorstehend gemachten Ausführungen grundsätzlich möglich ist. Sie wird ersucht, entsprechende Vorschläge dem Landtag vorzulegen.
Geldstrafen gemäss Paragraph 19 StGB
Die Tagessätze betragen seit Inkrafttreten des Strafgesetzbuches im Jahre 1989 unverändert mindestens CHF 10 und maximal CHF 1'000. Der Tagessatz ist nach den persönlichen Verhältnissen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Rechtsbrechers im Zeitpunkt des Urteils erster Instanz zu bemessen. Im Jahre 2019 wurde gemäss Zeitungsartikel (siehe kleine Anfrage des Abg. Manfred Kaufmann vom 4. Dezember 2019) ein Delinquent für den Besitz einer enorm grossen Datenmenge an kinderpornografischem Material lediglich mit einer unbedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen à CHF 10, also CHF 1'800, und nur mit einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. So sieht bspw. auch das entsprechende österreichische Strafrecht aktuell ein Strafgeld von EUR 4 bis EUR 5'000 je nach Schwere des Tatbestands vor. Das liechtensteinische Strafrecht sieht hingegen lediglich eine Maximalstrafe in Höhe von CHF 1'000 vor. Schon im Rechts- bzw. Ländervergleich sieht man, dass ein Anpassungsbedarf gegeben ist. Dies auch weil 11
das österreichische Strafrecht die grundsätzliche Rezeptionsvorlage des liechtensteinischen Sexualstrafrechts ist. Der Antwort der kleinen Anfrage ist zu entnehmen, dass der Tagessatz von CHF 10 dem Umstand geschuldet ist, dass der Täter lediglich ein geringes Einkommen erzielt. Bei einem entsprechend höheren Einkommen würde die Geldstrafe ein Vielfaches ausmachen. Daraus lässt sich schliessen, dass bei einer Geldstrafe Personen, welche über ein Einkommen verfügen, eigentlich schlechter gestellt sind, als Personen, welche über kein Einkommen verfügen, da bei diesen Personen ein höherer Tagessatz in Anwendung gelangen würde. Hier wird nicht dem Umstand der begangenen Tathandlung Rechnung getragen, sondern den Einkommensverhältnissen des jeweiligen Delinquenten. Dieser Zustand betreffend Einkommen sollte beim Kinder- und Jugendsexualstrafrecht nicht der primäre Ansatz für die Höhe der Strafe sein. Auch ist der tiefe Tagessatz von CHF 10 nicht mehr zeitgemäss und sollte entsprechend erhöht werden. Zu überlegen gilt auch, ob nicht die Berechnungsmethode des einzelnen Tagessatzes im Gesetz klarer definiert werden müsste. Gemäss der kleinen Anfrage des Abg. Manfred Kaufmann vom 4. März 2020 wird die Regierung diese Tagessätze bei der nächsten Revision des StGB überprüfen. Dies sollte im Zusammenhang mit dieser Motion geschehen.
Besondere Milderungsgründe gemäss Paragraph 34 StGB
Die im Strafgesetzbuch dargelegten Milderungsgründe im Zusammenhang mit solchen Straftaten sind in der Anwendung durch die urteilenden Gerichte zu hinterfragen. Auch hier hat man die Ansicht, dass bei dieser Bestimmung primär die Entschuldigungsgründe des Täters und nicht der Sühnegedanke und die Interessen des Opfers im Fokus stehen.
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Schwerer sexueller Missbrauch von Unmündigen, Jugendlichen oder Minderjährigen
Die gesetzlichen Mindeststrafmasse in den Paragraphen 205 StGB bis und mit 209a StGB sind generell sehr tief gehalten und ermöglichen dem Strafrichter bei der Urteilsfällung einen zu grossen Ermessensspielraum. Diesen gilt es einzuschränken, weshalb die Untergrenzen der Strafrahmen generell adäquat erhöht werden sollten.
Pornografische Darstellung Minderjähriger
Insbesondere ist auch der Strafrahmen bei Absatz 4 von Paragraph 219 StGB adäquat zu erhöhen, welcher im Besonderen die pornografische Darstellung einer minderjährigen Person pönalisiert; ebenso deren Besitz oder die Weitergabe solcher Darstellungen.
Zusätzliche Bemerkung
Das Sexualstrafrecht kennt diverse Straftatbestände im Bereich des Kinder- und Jugendsexualstrafrechts wie zum Beispiel sexuelle Belästigung nach Paragraph 203 Abs. 3 StGB, Vergehen des sittlichen Einwirkens auf Unmündige nach Paragraph 209a Abs. 1 StGB, Vergehen der sittlichen Gefährdung Unmündiger oder Jugendlicher etc. Nach Sicht der Motionäre drängt sich auch hier eine generelle Überprüfung auf. Diese Straftatbestände sollten in gesetzes-systematischer Hinsicht verstärkt zusammengefasst werden. Das Ziel sollte dabei unter Beibehaltung der bestehenden Pönalisierung eine wirksamere und konsistentere Anwendung des Rechts sein."
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1 | LGBl. 1983 Nr. 83 idgF., LR-Nr. 311. |
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