Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Abänderung des Bankengesetzes,des EWR-Zentralverwahrer-Durchführungsgesetzes, des Vermögensverwaltungsgesetzes und des Finanzmarktaufsichtgesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2022/858 über eine Pilotregelung für auf Distributed-Ledger-Technologie basierende Marktinfrastrukturen
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Am 30. Mai 2022 hat der Europäische Gesetzgeber die Verordnung (EU) 2022/858 über die Pilotregelung für auf Distributed-Ledger-Technologie basierende Marktinfrastrukturen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 600/2014 und (EU) Nr. 909/2014 sowie der Richtlinie 2014/65/EU erlassen. Diese Verordnung ist Teil des von der EU-Kommission am 24. September 2020 vorgeschlagenen Pakets zur Digitalisierung des Finanzsektors, welches die Wettbewerbsfähigkeit und Innovation im Finanzsektor fördern soll. Zugleich soll das Paket, einschliesslich der Verordnung (EU) 2022/858, trotz verstärkter digitaler Ausrichtung der Vorschriften den Anlegerschutz und die Finanzstabilität gewährleisten. Insgesamt soll ein innovativer, digitaler Binnenmarkt für das Finanzwesen entstehen, der Anlegern bessere Finanzprodukte bieten, neue Finanzierungskanäle für Unternehmen eröffnen und die innovative Finanztechnologie fördern kann.
Die Verordnung (EU) 2022/858 richtet sich insbesondere auf die Förderung der Entwicklung von Finanzmarktinfrastrukturen, die mit Hilfe der Distributed-LedgerTechnologie ("DLT" und zu Deutsch "Technologie des verteilten Kontenbuchs") Dienstleistungen für den Handel und die Abwicklung von jenen Kryptowerten erbringen, die als Finanzinstrumente gelten. Solche Finanzmarktinfrastrukturen zeichnen sich durch die Fähigkeit, zur Steigerung von Effizienz, Transparenz und Wettbewerb beizutragen, aus. Die vorerst auf sechs Jahre befristete Pilotregelung soll einen Erfahrungsaustausch zwischen Marktteilnehmern und Aufsichtsbehörden in Bezug auf DLT-Marktinfrastrukturen und DLT-Finanzinstrumente ermöglichen. Um diese Ziele zu erreichen, regelt die Verordnung (EU) 2022/858 insbesondere:
? ein besonderes Genehmigungsverfahren für den Betrieb von DLT-Marktinfrastrukturen;
? Kompetenzen der zuständigen Behörden, DLT-Marktinfrastrukturen von spezifischen Anforderungen bestehender Finanzmarktrechtsvorschriften auszunehmen, zum Teil geknüpft an Ausgleichs- und Abhilfemassnahmen;
? zusätzliche Anforderungen an DLT-Marktinfrastrukturen neben den geltenden Anforderungen nach bestehendem Recht;
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? eine enge Zusammenarbeit zwischen den DLT-Marktinfrastrukturen mit den zuständigen Aufsichtsbehörden;
? die Erweiterung der Begriffsbestimmung des Finanzinstruments um DLT-basierte Finanzinstrumente bei gleichzeitiger Beschränkung jener Finanzinstrumente, die über DLT-Marktinfrastrukturen zum Handel zugelassen oder verbucht werden können.
Die Verordnung (EU) 2022/858 wurde mit dem Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 185/2023 vom 5. Juli 2023 in das EWR-Abkommen übernommen. Für die Rechtskraft dieses Beschlusses bedarf es noch der nationalen Genehmigungsverfahren in den drei EWR-EFTA Staaten. Grundsätzlich wird die Verordnung (EU) 2022/858 mit der Rechtskraft des EWR-Übernahmebeschlusses unmittelbar anwendbar, allerdings bedürfen einzelne Bestimmungen der Verordnung (EU) 2022/858 einer Durchführung im liechtensteinischen Recht. Die gegenständlichen Vorlagen dienen der Durchführung der Verordnung (EU) 2022/858 in Liechtenstein. Dementsprechend sind einzelne Bestimmungen im Bankengesetz (BankG), im EWR-Zentralverwahrer-Durchführungsgesetz (EWR-ZVDG) und im Vermögensverwaltungsgesetz (VVG) anzupassen. Im Weiteren bedarf es der Abänderung des Finanzmarktaufsichtsgesetzes (FMAG), damit die Finanzmarktaufsicht Liechtenstein (FMA), die mit dem Vollzug der Verordnung (EU) 2022/858 beauftragt wird, entsprechend für ihre Tätigkeiten Gebühren einfordern kann.
Zuständiges Ministerium
Ministerium für Präsidiales und Finanzen
Betroffene Stelle
Finanzmarktaufsicht Liechtenstein, FMA
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Vaduz, 31. Oktober 2023
LNR 2023-1625
P
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Abänderung des Bankengesetzes, des EWR-Zentralverwahrer-Durchführungsgesetzes, des Vermögensverwaltungsgesetzes und des Finanzmarktaufsichtsgesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2022/858 über eine Pilotregelung für auf Distributed-Ledger-Technologie basierende Marktinfrastrukturen an den Landtag zu unterbreiten.
Am 30. Mai 2022 hat der Europäische Gesetzgeber die Verordnung (EU) 2022/858
1 über die Pilotregelung für auf Distributed-Ledger-Technologie basierende Marktinfrastrukturen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 600/2014
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(MiFIR) und (EU) Nr. 909/2014
3 (Zentralverwahrerverordnung; CSDR) sowie der Richtlinie 2014/65/EU
4 (MiFID II) erlassen. Diese Verordnung ist in der Europäischen Union (EU) am 22. Juni 2022 in Kraft getreten und gilt seit dem 23. März 2023 unmittelbar. Sie ist von Bedeutung für den EWR und gilt in Liechtenstein mit ihrer rechtskräftigen Übernahme in das EWR-Abkommen ebenfalls unmittelbar. Der EWR-Übernahmebeschluss Nr. 185/2023 vom 5. Juli 2023 bedarf noch der nationalen Genehmigung. Dazu wird dieser Beschluss unabhängig von den gegenständlichen Vorlagen im Rahmen eines entsprechenden Bericht und Antrags nach Art. 103 EWR-Abkommen dem Landtag zur Zustimmung gemäss Art. 8 Abs. 2 LV unterbreitet werden. Dieses Gesetz soll gleichzeitig mit dem Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 185/2023 in Kraft treten.
Die Verordnung (EU) 2022/858 ist Teil des von der EU-Kommission am 24. September 2020 publizierten Pakets zur Digitalisierung des Finanzsektors, "Digital Finance Package". Die Rechtsakte dieses Pakets verfolgen das Ziel, einen wettbewerbsfähigen europäischen Finanzsektor zu schaffen, der gleichzeitig Anlegerschutz und Währungsstabilität gewährleistet, wobei "Krypto-Assets" (digitale Vermögenswerte) im Vordergrund stehen. Hervorzuheben sind die Verordnung (EU) 2023/1114
5 (MICAR), und die Verordnung (EU) 2022/2554
6 über die digitale operationelle Resilienz im Finanzsektor (DORA) als weitere Rechtsakte des Pakets.
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Durch die Verordnung (EU) 2022/858 soll Marktteilnehmern, die eine DistributedLedger-Technologie (DLT)-Marktinfrastruktur, das sind DLT-Handels- und Abwicklungssysteme, betreiben wollen, Rechtssicherheit und Flexibilität geboten werden, indem einheitliche Anforderungen an den Betrieb dieser Infrastrukturen festgelegt werden. Die DLT-Pilotregelung zielt auf das bessere Verständnis von DLT für den Handel und die Abrechnung von bestimmten "tokenisierten" Wertpapieren bzw. Finanzinstrumenten im Sinne der MiFID II ab, um damit verbundene mögliche Herausforderungen in Bezug auf das Listing, den Handel und die Abwicklung zu identifizieren. Es soll zudem die Entwicklung digitaler Repräsentationen traditioneller Wertpapiere gefördert und den Marktteilnehmern sowie den zuständigen Aufsichtsbehörden ermöglicht werden, Erfahrungen mit den neuen Möglichkeiten und Fragen der DLT zu sammeln und dabei Finanzstabilität, Anlegerschutz und Marktintegrität zu gewährleisten. Es soll das Potenzial des digitalen Finanzwesens in Sachen Innovation und Wettbewerb weiter erschlossen, gefördert und die damit verbundenen Risiken gemindert werden. Die Laufzeit der in der Verordnung (EU) 2022/858 vorgesehenen Pilotregelung ist vorerst nach Art. 14 leg. cit. zeitlich zweifach begrenzt, nämlich auf drei Jahre ab Anwendbarkeit und einen möglichen Verlängerungszeitraum um weitere drei auf insgesamt sechs Jahre. Eine gute Interaktion mit den traditionell kontobasierten Systemen ist zumindest anfangs noch notwendig.
Die Vorteile von DLT-Marktinfrastrukturen liegen insbesondere in deren Gewährleistung von Transparenz, Datenintegrität, Desintermediation und Effizienz im Bereich des Sekundärmarktes. Die Transaktionen können durch den gesamten "lifecycle" verfolgt werden, DLT bedingt Konsens zwischen allen Teilnehmern, festigt den direkten Zugang zu Sekundärmärkten für jedermann, ohne notwendige Intermediation, dient der Kosten- und Gegenparteirisikoreduktion und verschafft durch Dezentralisation einen besseren Zugang zu Informationen in Echtzeit. Als Nachteile gelten die noch bestehenden Anfälligkeiten bzw. die Schwachstellen von
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Märkten für Kryptowerte und der Systeme sowie mangelnde Interoperabilität und Marktfragmentierung. Zudem wird der hohe Energieverbrauch als Nachteil im Hinblick auf den umweltbezogenen Fussabdruck angesehen.
Nach der Verordnung (EU) 2022/858 können besondere Genehmigungen erteilt werden, durch welche Marktteilnehmer, d.s. insbesondere Wertpapierfirmen, Betreiber geregelter Märkte und Zentralverwahrer, dazu befugt werden, eine DLTMarktinfrastruktur zu betreiben und ihre Dienstleistungen in allen Mitgliedstaaten zu erbringen (EU-Passporting). Über diese DLT-Marktinfrastruktur können dann Wertpapiere auf einem Multilateralen Handelssystem (MTF) gehandelt und über einen Zentralverwahrer abgerechnet werden. Es gelten aber Beschränkungen. So darf die Marktkapitalisierung bzw. die voraussichtliche Marktkapitalisierung eines Emittenten von Aktien 200 Millionen Euro nicht überschreiten. Für öffentliche Anleihen, gedeckte Schuldverschreibungen und Unternehmensanleihen liegt die Obergrenze bei 500 Millionen Euro. Darüber hinaus darf der Gesamtmarktwert der durch DLT übertragbaren Wertpapiere, die von einem Zentralverwahrer, der ein DLT-Wertpapierabwicklungssystem betreibt, oder von einem DLT-MTF verbucht werden, 2,5 Milliarden Euro nicht überschreiten.
Weiterhin wird statuiert, dass im Hinblick auf die Anforderungen an DLT-Marktinfrastrukturen grundsätzlich die MiFID II und die CSDR gelten. Von den Regelungen dieser Richtlinie und Verordnung erlaubt die Pilotregelung jedoch unter Umständen Ausnahmen, die vom Marktteilnehmer bei der zuständigen Behörde zu beantragen sind. Betreiber von DLT-Marktinfrastrukturen haben weitreichende Informationspflichten gegenüber Mitgliedern, Teilnehmern und Anlegern zu erfüllen. Zudem müssen sie für angemessene Sicherheitsvorkehrungen sorgen. Im Weiteren sind sie verpflichtet, eng mit den zuständigen europäischen Behörden, insbesondere der ESMA, zu kooperieren und zahlreiche Informationen zur Verfügung zu stellen. Es handelt sich bei der Verordnung (EU) 2022/858 um eine sogenannte
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"Regulatory Sandbox", also ein Instrument, das es einem Marktteilnehmer ermöglicht, sein Geschäftsmodell zunächst für einen begrenzten Zeitraum und einen begrenzten Kundenkreis unter Aufsicht einer Behörde zu testen, ohne dass dieses Unternehmen bereits sämtliche aufsichtsrechtlichen Anforderungen erfüllen muss.
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1 | Verordnung 2022/858 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2022 über eine Pilotregelung für die auf Distributed-Ledger-Technologie basierende Marktinfrastrukturen und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 600/2014 und (EU) Nr. 909/2014 sowie der Richtlinie 2014/65/EU (ABl. L 151 vom 2.6.2022, S. 1). |
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2 | Verordnung Nr. 600/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 84). |
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3 | Verordnung Nr. 909/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Verbesserung der Wertpapierlieferungen und -abrechnungen in der Europäischen Union und über Zentralverwahrer sowie zur Änderung der Richtlinien 98/26/EG und 2014/65/EU und der Verordnung (EU) Nr. 236/2012 (ABl. L 257 vom 28.8.2014, S. 1). |
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4 | Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 349). |
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5 | Verordnung (EU) 2023/1114 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. Mai 2023 über Märkte für Kryptowerte und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 1095/2010 sowie der Richtlinien 2013/36/EU und (EU) 2019/1937 (ABl. L 150 vom 9.6.2023, S. 40). |
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6 | Verordnung 2022/2554 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2022 über die digitale operationale Resilienz im Finanzsektor und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009, (EU) Nr. 648/2012, (EU) Nr. 600/2014, (EU) Nr. 909/2014 und (EU) 2016/1011 (ABl. L 333 vom 27.12.2022, S.1). |
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