Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend das Übereinkommen vom 16. Dezember 1970 zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen ("Haager Übereinkommen")
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Das Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen wurde am 16. Dezember 1970 in Den Haag angenommen und von 50 Staaten unterzeichnet. Es trat am 14. Oktober 1971 in Kraft und zählt inzwischen 172 Vertragsstaaten. Es enthält auf den Gebieten des Strafrechts, der Auslieferung, der Strafverfolgung und der Rechtshilfe Bestimmungen, die für eine möglichst lückenlose Bestrafung der an Akten der Luftpiraterie beteiligten Personen die erforderlichen Voraussetzungen schaffen. Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, die widerrechtliche Inbesitznahme von Luftfahrzeugen wie auch den Versuch und die Gehilfenschaft unter strenge Strafen zu stellen. Im Weiteren sind die Vertragsstaaten, in deren Hoheitsgebiet ein Entführer aufgefunden wird, verpflichtet, dessen Anwesenheit sicherzustellen und ihn entweder auszuliefern oder ihn den für die Strafverfolgung zuständigen Behörden zu übergeben. Ferner verpflichten sich die Vertragsstaaten, alle geeigneten Massnahmen zu treffen, um die widerrechtliche Inbesitznahme des Luftfahrzeugs zu verhindern und die Herrschaft des rechtmässigen Kommandanten zu erhalten. Schliesslich verpflichtet das Übereinkommen die Vertragsstaaten zur möglichst raschen Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands nach einer widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen.
Das Übereinkommen (auch "Haager Übereinkommen" genannt) gehört zu einer Liste von neun multilateralen Übereinkommen, die Gegenstand des Übereinkommens vom 10. Januar 2000 zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus ist.
Letzteres ist, wie weitere Abkommen im Bereich der Bekämpfung des Terrorismus, derzeit Gegenstand der Überprüfung, die jedoch nicht abgewartet werden soll, bevor das vorliegende Übereinkommen ratifiziert wird. Drei dieser Abkommen sowie ein Ergänzungsprotokoll aus dem erwähnten Anhang im Bereich der Si-
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cherheit in der Luftschifffahrt sind von der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (International Civil Aviation Organisation, ICAO) ausgearbeitet und verabschiedet worden.
Liechtenstein ist bereits Vertragspartei von drei der oben erwähnten neun multilateralen Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus. Liechtenstein soll durch den Beitritt zum vorliegenden Übereinkommen seine Solidarität mit den Bestrebungen zur Bekämpfung des Terrorismus zum Ausdruck bringen.
Es entstehen mit dem Beitritt zum Übereinkommen weder rechtliche noch finanzielle oder personelle Auswirkungen.
Zuständige Ressorts
Ressort Äusseres, Ressort Justiz
Betroffene Amtsstellen
Amt für Auswärtige Angelegenheiten, Rechtsdienst der Regierung
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Vaduz, 31. Oktober 2000
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend das Übereinkommen vom 16. Dezember 1970 zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen zu unterbreiten.
Nach einer ersten Häufung von Fällen widerrechtlicher Inbesitznahme von Luftfahrzeugen im mittelamerikanischen Raum im Zusammenhang mit dem Machtwechsel in Kuba anfangs der sechziger Jahre setzte im Verlaufe des Jahres 1968 eine zweite, bedeutend ausgeprägtere Zunahme von Fällen widerrechtlicher Inbesitznahme von Luftfahrzeugen ein. In den Jahren 1965 und 1966 traten je fünf Fälle auf, 1968 waren es 35, 1969 88 und 1970 66 Fälle.
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Die Generalversammlung der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (International Civil Aviation Organization, ICAO)
1 beschloss daher im September 1968 in Buenos Aires, den Rat der Organisation mit der Prüfung von Massnahmen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen zu beauftragen. Die Massnahmen sollten über die im Abkommen vom 14. September 1963 über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen ("Abkommen von Tokio", vgl. separaten Bericht und Antrag) enthaltenen Ansätze hinaus gehen. Vom 1. bis 16. Dezember 1970 fand eine diplomatische Konferenz in Den Haag statt, an welcher der Entwurf zum vorliegenden Übereinkommen angenommen und das Übereinkommen von 50 Staaten unterzeichnet wurde. Das Übereinkommen trat am 14. Oktober 1971 in Kraft und zählt heute 172 Vertragsstaaten. Liechtenstein hat das Übereinkommen am 24. August 1971 unterzeichnet.
Das "Abkommen von Tokio" konnte erst am 5. September 1969, nach Vorliegen der zwölf für sein In-Kraft-Treten erforderlichen Ratifikationen, in Kraft treten. Das vorliegende "Haager Übereinkommen" wurde bei dieser Sachlage von Anbeginn an als ein vom Abkommen von Tokio unabhängiges Instrument ausgestaltet. Andererseits wurde mit Rücksicht auf die Staaten, welche sich dem Abkommen von Tokio angeschlossen hatten, darauf geachtet, dass die Regelungen des neuen Übereinkommens nicht im Widerspruch zu jenen des Abkommens von Tokio standen. Das Übereinkommen übernimmt zudem aus dem Abkommen von Tokio die folgenden wesentlichen Grundsätze: Mehrfache Zuständigkeit der Staaten zur Ausübung der Strafgerichtsbarkeit, kein Auslieferungsanspruch eines bestimmten Staats, keine Priorität eines bestimmten Staats bei der Auslieferung. Die Art. 3 Abs. 2 (Luftfahrzeuge, auf welche das Übereinkommen anwendbar ist) und
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Art. 4 Abs. 3 (Vorbehalt weiterer Strafgerichtsbarkeiten nach nationalem Recht) entsprechen wörtlich Art. 1 Abs. 4 bzw. Art. 3 Abs. 3 des Abkommens von Tokio, während Art. 5 (Luftfahrzeuge, die nicht in einem bestimmten Staat eingetragen sind), Art. 6 (Verfahrensbestimmungen zum Schutze des Angeklagten), Art. 8 Abs. 4 (Begehungsort im Sinne des Auslieferungsrechts), Art. 9 (Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands) und Art. 12 (Beilegung von Streitigkeiten) inhaltlich den Art. 18, 13 (Abs. 2-5), 16 (Abs. 1), 11 und 24 entsprechen.
Das Übereinkommen setzt sich zum Ziel, potentielle Luftfahrzeugentführer abzuschrecken. Zur Verwirklichung dieser Zielsetzung enthält das Übereinkommen im Wesentlichen drei Kategorien von Bestimmungen:
1. | Zur Sicherstellung der Bestrafung verpflichtet das Übereinkommen die Vertragsstaaten, die widerrechtliche Inbesitznahme von Luftfahrzeugen sowie den Versuch und die Gehilfenschaft unter strenge Strafen zu stellen. Im Weiteren sind die Staaten, in deren Hoheitsgebiet ein Entführer aufgefunden wird, verpflichtet, dessen Anwesenheit sicherzustellen und ihn entweder auszuliefern oder den für die Strafverfolgung zuständigen Behörden zu überweisen. Der Eintragungsstaat des Luftfahrzeugs, dessen Zuständigkeit für die Beurteilung der an Bord begangenen strafbaren Handlungen im internationalen Recht bereits anerkannt ist (Art. 3 des Abkommens von Tokio), ist in aller Regel nicht in der Lage, seine Strafgerichtsbarkeit über die widerrechtliche Inbesitznahme eines Luftfahrzeugs auszuüben, sofern der Täter nicht an ihn ausgeliefert wird. Das Übereinkommen verpflichtet deshalb alle Vertragsstaaten, ohne einen Anspruch des ersuchenden Staats auf Auslieferung zu begründen, diese Tat als Auslieferungsdelikt zu behandeln. Diese Regelung macht die Auslieferung aber nur für jene Staaten zulässig, welche die Auslieferung nicht vom Bestehen eines Auslieferungsvertrags abhängig machen, oder zwischen Staaten, die bereits Auslieferungsverträge unter sich abgeschlossen haben. Für Staaten, die einen Vertrag als Bedingung für die Auslieferung fordern, konnte keine verbindliche Lösung erzielt werden. Da das Übereinkommen in keinem Fall einen Anspruch auf Auslieferung gewährt, kann die Auslieferung weiterhin (insbesondere bei politischem Charakter der Tat) verweigert werden. In diesem Fall soll die Bestrafung des Täters durch den die Auslieferung verweigernden Staat erfolgen. Um die Rechtsgrundlage dafür zu schaffen, verpflichtet das Übereinkommen die Vertragsstaaten, den Geltungsbereich der Strafbestimmungen über die widerrechtliche Inbesitznahme von Luftfahrzeugen und über die im Zusammenhang mit ihr begangenen Gewalttätigkeiten gegen Personen auch auf Handlungen auszudehnen, welche sich ausserhalb ihres Hoheitsgebiets ereignen. Ferner verpflichtet das Übereinkommen die Vertragsstaaten zu weitestmöglicher gegenseitiger Rechtshilfe, was insbesondere im Hinblick auf die Ausdehnung des Geltungsbereichs der Strafbestimmungen als notwendig erscheint. 7 |
2. | Zur Verhinderung der widerrechtlichen Inbesitznahme verpflichtet das Übereinkommen die Staaten, alle geeigneten Massnahmen zu treffen, um die Herrschaft des rechtmässigen Kommandanten zu erhalten, wenn eine widerrechtliche Inbesitznahme von Luftfahrzeugen versucht wird. Ausserdem sind die Vertragsstaaten zu polizeilichen Vorkehrungen zur Verhinderung einer widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen verpflichtet. Sie liefern dem Rat der ICAO alle verfügbaren Angaben über solche Vorfälle. |
3. | In Hinblick auf die Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands sind die Staaten verpflichtet, diesen nach der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen möglichst rasch wieder herzustellen (Art. 9). |
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1 | Die Art. 1-42 der ICAO-Satzung und die technischen Anhänge sind gemäss der Anlage II zu den aufgrund der Vereinbarung (LGBl. 1950 Nr. 9) über die Luftfahrt im Fürstentum Liechtenstein anwendbaren Rechtsvorschriften in Liechtenstein anwendbar (SR 0.748.0 in der jeweiligen liechtensteinischen Kundmachung). |
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