Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Genehmigung von Verpflichtungskrediten und Nachtragskrediten für die Teilnahme an der EU-Programmperiode 2021-2027
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Liechtenstein nimmt derzeit im Rahmen des EWR-Abkommens an drei EU-Programmen teil, die Ende 2020 auslaufen werden (Erasmus, Europäisches Statistisches Programm, Programm "Rechte, Gleichstellung und Unionsbürgerschaft"). Die neue EU-Programmperiode beginnt 2021 und wird 2027 enden. Basierend auf den durchgeführten Analysen beantragt die Regierung eine Teilnahme an den EU-Programmen Erasmus, Digitales Europa, EU-Binnenmarktprogramm, Kreatives Europa sowie Europäischer Solidaritätskorps. Damit können Projekte mit liechtensteinischer Beteiligung in diesen Programmen zur finanziellen Förderung bei der EU eingereicht werden können.
Erasmus
Durch das Programm "Erasmus" können Jugendliche und erwachsene Personen aus Liechtenstein auf vielfältigste Art und Weise wertvolle interkulturelle Erfahrungen sammeln. Ausserdem erhalten zahlreiche junge Menschen aus dem europäischen Raum die Chance, in Liechtenstein ein Studium, ein Praktikum, einen Freiwilligendienst oder einen Intensivkurs zu absolvieren. Sie lernen auf diese Weise unser Land kennen und sind in Zukunft in der Regel wertvolle Botschafter unseres Landes im Ausland. Zusätzlich entstehen unzählige Netzwerke, die Liechtenstein in ganz Europa weiterbringen. Insbesondere sind dabei die beruflichen wie auch persönlichen Verbindungen zu erwähnen, die aus den Projekten der strategischen Partnerschaften und der Mobilitätsprojekte entstehen. Die EU-Kommission möchte im nächsten langfristigen Programmhaushalt 2021 bis 2027 die Mittel für "Erasmus" deutlich erhöhen. Die deutliche Erhöhung soll einen besseren Zugang für Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft ermöglichen, zu einer stärkeren Mobilität und Zusammenarbeit und somit zu einer Stärkung der europäischen Identität beitragen.
Digitales Europa
Das Programm "Digitales Europa" der EU-Kommission konzentriert sich auf den Aufbau der strategischen und digitalen Kapazitäten der EU bzw. des EWR und die Erleichterung des breiten Einsatzes digitaler Technologien. Die digitale Transformation der europäischen Gesellschaft und Wirtschaft soll gestaltet und unterstützt werden. Den vorrangigen Fokus für die Digitalisierung Liechtensteins bilden
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die Bereiche "Cybersicherheit", "digitale Kapazitäten" und "Interoperabilität". Auch die Möglichkeit vor allem für die Privatwirtschaft, Projekte in den beiden Bereichen "Hochleistungsrechnen" und "Künstliche Intelligenz" einreichen zu können, wird als interessant beurteilt.
EU-Binnenmarktprogramm
Das EU-Binnenmarktprogramm (2021-2027) dient der Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarktes und der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, insbesondere der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Darüber hinaus wird ein Rahmen für die Finanzierung europäischer Statistiken geschaffen, welcher die Grundlage für die Gestaltung, Überwachung und Evaluierung aller Massnahmen der EU bildet und den politischen Entscheidungsträgern, Unternehmen, Wissenschaftlern, Bürgern und Medien hilft, fundierte Entscheidungen zu treffen und sich aktiv am demokratischen Prozess zu beteiligen. Das EU-Binnenmarktprogramm deckt verschiedene Themenbereiche ab, so etwa Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, Binnenmarktinstrumente, Konsumentenschutz, Statistik, Lebensmittelsicherheit und Effektive Standardisierung. Im Bereich Binnenmarktinstrumente nimmt Liechtenstein sowohl am europäischen Problemlösungsnetz SOLVIT als auch am Binnenmarktinformationssystem IMI aktiv teil und eine Teilnahme am Single Digital Gateway ist geplant.
Kreatives Europa
Das Programm "Kreatives Europa" fördert mit seinem Teilprogramm "Kultur" alle künstlerischen Disziplinen und mit dem Teilprogramm "Media" die audiovisuelle Branche. Zusätzlich gibt es einen "sektorenübergreifenden" Förderungsbereich, der insbesondere sektorübergreifende Förderungen, die länderübergreifende politische Zusammenarbeit, die soziale Inklusion und die Unterstützung von Kontaktstellen beinhaltet. Durch das Rahmenprogramm "Kreatives Europa" ist den Herausforderungen zu begegnen, mit denen sich der Kulturbereich auseinandersetzt. Der Kultur- und Kreativsektor ist durch die nationalen Grenzen eingeschränkt, was insbesondere für kleine Staaten wie Liechtenstein die künstlerische Tätigkeit und die Verbreitung von Werken erschwert. Gerade in Zeiten von Krisen steigt die Bedeutung von Kooperationen und Netzwerken (auch digital).
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Solidaritätskorps
Im Bereich des "Europäischen Freiwilligendienstes (EFD)" engagierten sich seit dem Jahr 2000 65 junge Erwachsene aus Liechtenstein zwei bis zwölf Monate im europäischen Ausland. Dabei wurden ihnen Unterkunft, Verpflegung, Versicherungsschutz und Taschengeld gestellt. Lediglich ein kleiner Teil der Reisespesen musste von den Personen freiwillig getragen werden. Auch 42 junge Leute aus verschiedenen Ländern Europas halfen dank des EFD in liechtensteinischen Organisationen mit. Der EFD wurde von der EU ins Programm "Europäisches Solidaritätskorps" überführt.
Insgesamt belaufen sich die Kosten für die Teilnahme an den fünf EU-Programmen über die gesamte Programmperiode 2021 bis 2027 auf EUR 15.5 Mio.
Zuständige Ministerien
Ministerium für Präsidiales und Finanzen
Ministerium für Infrastruktur, Wirtschaft und Sport
Ministerium für Gesellschaft
Ministerium für Inneres, Bildung und Umwelt
Ministerium für Äusseres, Justiz und Kultur
Betroffene Stellen
Amt für Informatik
Stabsstelle Finanzen
Stabsstelle EWR
Liechtensteinische Botschaft, Brüssel
Amt für Statistik
Amt für Volkswirtschaft
Amt für Lebensmittelkontrolle und Veterinärwesen
Agentur für Internationale Bildungsangelegenheiten (AIBA)
Verein aha - Jugendinformation Liechtenstein (aha)
Amt für Auswärtige Angelegenheiten
Amt für Soziale Dienste
Amt für Kultur
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Amt für Kommunikation
Finanzkontrolle
Schulamt
Stabstelle für Sport
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Vaduz, 3. November 2020
LNR 2020-1621
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Genehmigung eines Verpflichtungskredites und eines Nachtragskredites für die Teilnahme an der EU-Programmperiode 2021-2027 an den Landtag zu unterbreiten.
Liechtenstein nimmt derzeit im Rahmen des EWR-Abkommens an drei EU-Programmen teil, die Ende 2020 auslaufen werden (Erasmus, Europäisches Statistisches Programm, Programm "Rechte, Gleichstellung und Unionsbürgerschaft"). Die neue EU-Programmperiode beginnt 2021 und wird 2027 enden. Bezeichnend für die neue Programmperiode wird eine beachtliche Steigerung der Volumen der EU-Programme und damit die von den EWR/EFTA-Staaten zu zahlenden Beiträge sein.
Die Grundlagen für die Beteiligung der EWR/EFTA-Staaten an EU-Programmen sind im Teil VI, Art. 78ff. EWR-Abkommen (Zusammenarbeit ausserhalb der vier
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Freiheiten) vorgesehen. Art. 78 EWR-Abkommen enthält einen nicht abschliessenden Katalog von Bereichen
1, in denen die Vertragsparteien ihre Zusammenarbeit stärken und erweitern können, und welcher gemäss Art. 87 EWR-Abkommen ausgeweitet werden kann. Anders als in den übrigen Bereichen des EWR-Abkommens ist die Zusammenarbeit nach Teil VI des EWR-Abkommens nicht verpflichtend, sondern erfolgt soweit von den Vertragsparteien gewünscht
2. Es geht daher bei der Übernahme von EU-Rechtsakten, welche ein EU-Programm betreffen, nicht um die Frage der EWR-Relevanz, sondern darum, ob die EWR/EFTA-Staaten ein Interesse daran haben, sich an EU-Programmen in Bereichen ausserhalb der vier Freiheiten zu beteiligen. Der Nutzen einer Beteiligung liegt u.a. darin, dass im Rahmen der EU-Programme Projekte mit liechtensteinischer Beteiligung zur finanziellen Förderung bei der EU eingereicht werden können.
Der Anteil Liechtensteins beträgt bezogen auf das Bruttosozialprodukt 0.04% des jeweiligen Gesamtbudgets.
Die Regierung hat für folgende EU-Programme eine vertiefte Analyse durchgeführt:
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EU Programm | Gesamtkosten (in EUR Mio.) | Anteil Liechtenstein (in EUR Mio.) |
Horizont Europa | 85'542 | 34.2 |
Erasmus | 26'261 | 10.5 |
Fazilität "Connecting Europe" | 19'173 | 7.7 |
Digitales Europa | 7'588 | 3.0 |
EU-Binnenmarktprogramm | 2'252 | 0.9 |
Kreatives Europa | 1'839 | 0.7 |
Europäischer Solidaritätskorps | 1'009 | 0.4 |
Programm Rechte und Werte | 638 | 0.3 |
Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde zudem eine Teilnahme an folgenden EU-Programmen in Betracht geprüft:
EU Programm | Gesamtkosten (in EUR Mio.) | Anteil Liechtenstein (in EUR Mio.) |
Katastrophenschutzverfahren der EU | 1'261 | 0.8 |
Programm EU4Health | 1'946 | n.a. |
In Kapitel 2 dieses Bericht und Antrags werden die von der Regierung zur Teilnahme empfohlenen EU-Programme ausführlich dargestellt. Nicht zur Teilnahme empfohlen werden die EU-Programme "Horizon Europe", "Fazilität Connecting Europe", "Programm Rechte und Werte", "Katastrophenschutzverfahren der EU" sowie "Programm EU4Health". Die Nichtteilnahme wird zusammenfassend wie folgt begründet:
Horizont Europa: Die betroffenen Wirtschaftsverbände äussern ein geringes Interesse an der Programmteilnahme. Die Forschungseinrichtungen würden eine Assoziierung begrüssen, stellen jedoch auch fest, dass die Beitragskosten unverhältnismässig wären. Gemäss den Hochrechnungen werden die Beiträge auch im
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besten Szenario nur teilweise zurückfliessen; eine Quote von 15 - 25% scheint wahrscheinlich.
Fazilität "Connecting Europe": Die Fazilität "Connecting Europe" besteht aus den Bereichen Transport, Energie und Digitales. Aufgrund der Kosten und dem eher indirekten Nutzen im Bereich Transport spricht sich die Regierung gegen eine Teilnahme aus. Inhaltlich wäre eine Teilnahme im Bereich Digitales und Energie für Liechtenstein an sich sinnvoll. Da eine teilweise Programmteilnahme (z.B. nur im Bereich Energie oder Digitales) nicht möglich ist, müssten jedenfalls die gesamten, sehr beträchtlichen Beitragskosten geleistet werden. Daher ist eine Teilnahme nicht zu empfehlen. Liechtenstein verfügt im Bereich CEF Digital über einen Beobachterstatus, sodass zwar keine Projektfinanzierungen aus dem Programm möglich sind, die Teilnahme in Gremien und der Informationsfluss aber gewährleistet ist.
Programm Rechte und Werte: Beim Vorgängerprogramm sind keine Fördermittel nach Liechtenstein zurückgeflossen. Dies könne allenfalls durch Informationstätigkeit verbessert werden. Insgesamt ist eine Teilnahme als Wissensplattform und als Solidaritätsbeitrag zu sehen.
Katastrophenschutzverfahren der EU: Das Amt für Bevölkerungsschutz spricht sich mangels personeller Ressourcen mit dem Hinweis, dass ein Kleinstaat im Katastrophenfall auf Grund seiner begrenzten technischen und personellen Ressourcen mit grosser Wahrscheinlichkeit auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen sein wird, gegen eine Teilnahme aus. Die im EU-Programm vorgesehene Vorsorge- und Koordinationselemente im Sinne einer multilateralen Zusammenarbeit bei Katastrophenereignissen wären von besonderem Interesse. Das Amt für Bevölkerungsschutz weist allerdings darauf hin, dass aufgrund einer Amtsvereinbarung mit Österreich im Katastrophenfall Liechtenstein Zugang zum EU-Katastrophenschutz über Österreich hat.
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Programm EU4Health: Aufgrund des nationalen Budgets und der Personalressourcen ist eine künftige Teilnahme an den EU-Programmen nicht möglich.
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1 | Forschung und technologische Entwicklung, Informationsdienste, Umwelt, allgemeine und berufliche Bildung und Jugend, Sozialpolitik, Konsumentenschutz, kleine und mittlere Unternehmen, Tourismus, audiovisueller Sektor und Katastrophenschutz. |
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2 | Sven Norberg et al., The European Economic Area, EEA Law, Commentary on the EEA Agreement, Fritzes, Stockholm 1993, p. 639. |
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