Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2010 / 130
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Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Aus­gangs­lage
2.Anlass / Not­wen­dig­keit der Vor­lage / Begrün­dung der Vorlage
3.Schwer­punkte der Vorlage
4.Ver­nehm­las­sung
5.Erläu­te­rungen zu den ein­zelnen Arti­keln unter Berück­sich­ti­gung der Vernehmlassung
6.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit / Rechtliches
7.Per­so­nelle, finan­zi­elle, orga­ni­sa­to­ri­sche und räum­liche Auswirkungen
II.Antrag der Regierung
III.Regie­rungs­vor­lagen
1.Gesetz über die Schaf­fung von Patientenverfügungen
2.Gesetz über die Abän­de­rung des Gesetzes über das inter­na­tio­nale Privatrecht
3.Gesetz über die Abän­de­rung des Gerichtsgebührengesetzes
 
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Schaffung eines Gesetzes über Patientenverfügungen (Patientenverfügungsgesetz - PatVG) 
 
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Mit der im Rahmen des Reformprojekts "200 Jahre ABGB" vorgenommenen Rezeption des österreichischen Sachwalterrechts werden wesentliche Instrumente der Rechtsfürsorge aus dem österreichischen Rechtsbestand in die Rechtsordnung Liechtensteins übernommen. Als Ergänzung zu der im ABGB vorgesehenen Vorsorgevollmacht liegt es nahe, auch eine eigenständige Rechtsgrundlage für Patientenverfügungen zu schaffen. Dabei geht es um antizipierte Willenserklärungen, mit denen Patienten rechtzeitig und im Zustand der Einwilligungsfähigkeit über künftige medizinische Behandlungen entscheiden können, falls sie zu einem späteren Zeitpunkt die Einwilligungsfähigkeit alters- oder krankheitsbedingt verlieren.
Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung stehen in einem engen Zusammenhang. Sie verfolgen ein ähnliches Schutzziel, aber auf unterschiedliche Weise: Während dem Betroffenen mit der Vorsorgevollmacht die Möglichkeit eröffnet wird, zu einem Zeitpunkt, in dem er noch über die erforderliche Entscheidungsfähigkeit verfügt, eine Person seines Vertrauens als künftigen Vertreter zu bestimmen, nimmt der Patient mit der Errichtung einer Patientenverfügung diese Entscheidung in zeitlich vorgezogener Weise vorweg. Auch die Patientenverfügung dient also der Stärkung des Selbstbestimmungsrechts und der Patientenautonomie.
Schon nach geltendem Zivil- und Strafrecht hat jeder einsichts- und urteilsfähige Patient grundsätzlich das Recht, eine medizinische Behandlung abzulehnen. Dies ist Teil des Persönlichkeitsschutzes und durch den Straftatbestand der eigenmächtigen Heilbehandlung auch bereits strafrechtlich verankert.
Dennoch besteht in der Literatur und in der Praxis eine beträchtliche Unsicherheit darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen dieses Ablehnungsrecht auch durch Patientenverfügungen ausgeübt werden kann, die in einem zeitlich mehr oder weniger grossen Abstand zum Behandlungszeitpunkt errichtet wurden. Diese Rechtsunsicherheit belastet sowohl die Patienten, die nicht verlässlich mit der Beachtung ihres Willens rechnen können, als auch behandelnde Ärzte, die zu ihrer Berufsausübung und zum Schutz vor zivil- und strafrechtlicher Haftung einen sicheren Rechtsrahmen benötigen.
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Um diese Rechtsunsicherheit zu beseitigen, soll ein Patientenverfügungsgesetz geschaffen werden. Ziel ist es, eine eindeutige und transparente Regelung über die zulässigen Inhalte, die Form und die rechtlichen Wirkungen von Patientenverfügungen zu schaffen. Leitgedanke ist dabei der Schutz und die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts der Patienten in Bezug auf medizinische Heilbehandlungen.
Als Rezeptionsvorlage bietet sich das österreichische Patientenverfügungsgesetz an.1 Da Liechtenstein sowohl das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) als auch das Strafgesetzbuch (StGB) im Wesentlichen aus der österreichischen Rechtsordnung übernommen hat, ist es wegen der systematischen Nähe sowohl zum Zivil- als auch zum Strafrecht sachlich konsequent, auch bei der Schaffung eines Patientenverfügungsgesetzes dem österreichischen Modell zu folgen. Die Rezeption des Sachwalterrechts spricht umso eher für diesen Schritt, als die neuen Bestimmungen des ABGB bereits ausdrückliche Verweisungen auf das spezifisch österreichische Rechtsinstitut der "verbindlichen Patientenverfügung" enthalten.
Das hier vorgeschlagene Patientenverfügungsgesetz versteht sich als behutsame Weiterentwicklung bestehender Grundsätze des Persönlichkeitsschutzes und dient eher der Verdeutlichung und der Bereinigung von Streitfragen als der Schaffung einer gänzlich neuen Rechtslage. Insofern handelt es sich um einen ergänzenden Bestandteil des Reformprojekts "200 Jahre ABGB", welches eine umfassende Modifikation der in Liechtenstein in Geltung stehenden Zivilrechtskodifikation zum Ziel hat.
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Zuständiges Ressort
Ressort Justiz
Betroffene Stellen
Landgericht, Obergericht, Oberster Gerichtshof, Verwaltungsgerichtshof, Staatsgerichtshof, Liechtensteinische Rechtsanwaltskammer, Liechtensteinische Ärztekammer
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Vaduz, 9. November 2010
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Schaffung eines Gesetzes über Patientenverfügungen (Patientenverfügungsgesetz - PatVG) sowie die Abänderung weiterer Gesetze zu unterbreiten.



 
1öBGBl. I 2006 Nr. 55.
 
1.1Das Patientenverfügungsgesetz als Ergänzung des Reformprojekts "200 Jahre ABGB"
Im Rahmen des von der Regierung im Sommer 2007 veranlassten Reformprojekts "200 Jahre ABGB", welches eine umfassende Aktualisierung der in Liechtenstein seit dem 18. Februar 1812 in Geltung stehenden Zivilrechtskodifikation zum Ziel hat, wurde auch das Beistandsrecht einer umfassenden Modifikation unterzogen. Mit der damit einhergehenden Rezeption des österreichischen Sachwalterrechts, welches mit 1. Januar 2011 in Kraft treten wird, wurden wesentliche Instrumente der Rechtsfürsorge für psychisch kranke und geistig behinderte Men-
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schen aus dem österreichischen Rechtsbestand in die Rechtsordnung Liechtensteins übernommen.
Die Schaffung eines Patientenverfügungsgesetzes, das einen verbindlichen Rechtsrahmen für die antizipierte Ausübung des Selbstbestimmungsrechts in Bezug auf medizinische Behandlungsmassnahmen zur Folge hat, steht sowohl mit dem ABGB im Allgemeinen als auch mit dem zivilrechtlichen Reformprojekt im Bereich des Sachwalterrechts im Besonderen in einem engen systematischen Kontext:
Das Recht, über die Zulassung medizinischer Eingriffe am eigenen Körper selbst und autonom zu entscheiden, ist seit jeher ein Element des aus § 16 ABGB ableitbaren Persönlichkeitsschutzes. Jedem einsichts- und urteilsfähigen Patienten ist es überlassen, in medizinische Massnahmen einzuwilligen oder diese abzulehnen. Für den Fall, dass dem Betroffenen die für die Entscheidung nötige Einsichts- und Urteilsfähigkeit fehlt, sieht das ABGB eine substituierende Entscheidung durch einen gesetzlichen Vertreter vor, der an Stelle des Betroffenen handelt und zur Wahrung dessen Wohls verpflichtet ist. Mit der Einführung der entsprechenden Bestimmungen über die Behandlungszustimmung bei Minderjährigen (§ 146c ABGB i.d.F. LGBl. 2010 Nr. 122) und bei Personen mit Sachwalter (§ 283 ABGB i.d.F. LGBl. 2010 Nr. 122) entstehen künftig präzisere Regeln über die Ausübung dieser fürsorglichen Fremdbestimmung durch die gesetzlichen Vertreter des Familienrechts. Neue Rechtsinstitute wie die Vorsorgevollmacht oder die Sachwalterverfügung sollen dazu dienen, auch dem - im Behandlungszeitpunkt - einwilligungsunfähigen Patienten einen verstärkten Einfluss auf die spätere Entscheidungsfindung zu sichern, sei es, indem er seine Wünsche über die Auswahl der Person des Sachwalters rechtzeitig äussern kann (Sachwalterverfügung, § 279 ABGB i.d.F. LGBl. 2010 Nr. 122), sei es, indem er einen selbst gewählten Vertreter (Vorsorgebevollmächtigten, § 284b ABGB i.d.F. LGBl. 2010
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Nr. 122) mit der Besorgung seiner Angelegenheiten für jenen Zeitraum betraut, in dem er selbst seine Einsichts- und Urteilsfähigkeit verliert. Der Anwendungsbereich dieser neuen Rechtsinstitute ist zwar keineswegs auf den Bereich medizinischer Behandlungsentscheidungen begrenzt; er schliesst diese aber jedenfalls ein.
Die Patientenverfügung stellt - bezogen auf medizinische Behandlungen - ein alternatives Rechtsinstitut dar, das dasselbe Schutzziel, nämlich die Stärkung der Patientenautonomie, auf andere Weise zu erreichen versucht.2 Während dem Betroffenen mit der Vorsorgevollmacht die Möglichkeit eröffnet wird, zu einem Zeitpunkt, in dem er noch über die erforderliche Handlungsfähigkeit verfügt, eine Person seines Vertrauens als künftigen Vertreter für die anstehende Entscheidung zu bestimmen, nimmt der Patient mit der Errichtung einer Patientenverfügung diese Entscheidung in zeitlich vorgezogener Weise vorweg. Insofern handelt es sich um einen "antizipierten" Akt der Selbstbestimmung, der - ähnlich wie die Vorsorgevollmacht - die ansonsten eintretende Fremdbestimmung durch einen gerichtlich bestellten Vertreter (Sachwalter) verhindern kann. Aus diesem Grund sieht das Sachwalterrecht in § 269 Abs. 2 ABGB i.d.F. LGBl. 2010 Nr. 122 eine strikte Subsidiarität der Sachwalterbestellung nicht nur gegenüber der Vorsorgevollmacht, sondern auch gegenüber einer verbindlichen Patientenverfügung vor. Schon diese systematische Verknüpfung zwischen dem Sachwalterrecht und dem Recht der Patientenverfügung zeigt die enge Verzahnung beider Rechtsgebiete.
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Im Anschluss an das bereits in der Landtagssitzung vom März 2010 verabschiedete Recht der Sachwalterschaft soll daher - als ergänzender zweiter Schritt - die Schaffung eines Gesetzes über Patientenverfügungen erfolgen.



 
2Zum Stellenwert der Patientenverfügung im Kontext des Sachwalterrechts siehe z.B. Bernat, Planungssicherheit am Lebensende. Anmerkungen zum BG über Patientenverfügungen sowie zur Stellvertretung in Gesundheitsangelegenheiten, EF-Z 2006, 42 ff.; 74 ff.; Kopetzki, Das Patientenverfügungsgesetz im System der Rechtsordnung, in Körtner/Kopetzki/Kletecka-Pulker (Hrsg.), Das österreichische Patientenverfügungsgesetz (2007) 127 (132 ff.); derselbe, Einleitung und Abbruch der medizinischen Behandlung beim einwilligungsunfähigen Patienten. Praktische Auswirkungen der gesetzlichen Neuerungen durch PatVG und SWRÄG, iFamZ 2007, 197; Barth, Ärztliche Behandlungsentscheidung und Recht, in Körtner/Kopetzki ua (Hrsg.), Patientenverfügungsgesetz 108 ff.
 
LR-Systematik
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21
212
2
29
1
17
173
LGBl-Nummern
2011 / 211
2011 / 210
2011 / 209
Landtagssitzungen
15. Dezember 2010
Stichwörter
Pati­en­ten­ver­fü­gungs­ge­setz (PaTVG)
Selbst­bes­tim­mungs­recht von Patienten
Vor­sor­ge­voll­macht