Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Abänderung des Strafvollzugsgesetzes
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In Vollziehung des Vertrages zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Republik Österreich über die Unterbringung von Häftlingen (Staatsvertrag) sitzen liechtensteinische Strafgefangene Haftstrafen über zwei Jahre in der Regel in österreichischen Strafanstalten ab. Dabei kommt für liechtensteinische Strafgefangene in österreichischen Strafanstalten grundsätzlich das österreichische Strafvollzugsrecht zur Anwendung. Nur in spezifischen Regelungsbereichen, wie bei der Unterbrechung der Freiheitsstrafe und bei der Gewährung des Ausgangs, findet das liechtensteinische Strafvollzugsgesetz (im Folgenden "StVG" genannt) Anwendung auf liechtensteinische Strafgefangene in österreichischen Strafanstalten.
Während nach dem österreichischen Strafvollzugsgesetz eine solche Unterbrechung erst in den letzten drei Jahren der Strafhaft beantragt werden kann, lässt das liechtensteinische Strafvollzugsgesetz dies bereits nach den ersten sechs Monaten der Anhaltung zu. Diese Unterschiedlichkeit von liechtensteinischen Strafgefangenen im österreichischen Vollzug führt zu Problemen in österreichischen Haftanstalten.
Um künftig eine Gleichbehandlung mit den österreichischen Insassen zu gewährleisten, plant die Regierung mit der gegenständlichen Vorlage die sogenannte Unterbrechung der Freiheitsstrafe nach Art. 91 StVG (die Möglichkeit, die Strafanstalt unbewacht für bestimmte Zwecke zu verlassen) und die Gewährung des sogenannten Ausgangs nach Art. 92 StVG (dabei handelt es sich um einen zeitlich auf wenige Stunden beschränkten "Freigang" zur Erledigung bestimmter wichtiger Angelegenheiten) vollumfänglich an die österreichische Rezeptionsvorlage anzupassen.
Zudem schlägt die Regierung vor, zweckmässige Bestimmungen jüngerer Novellen zum österreichischen Strafvollzugsgesetz ins liechtensteinische Recht zu übernehmen. Dabei geht es um die Schaffung expliziter Rechtsgrundlagen einerseits für die Durchführung von Kontrollen bei Strafgefangenen bezüglich des Konsums verbotener berauschender Mittel und anderseits für die Videoüberwachung im Landesgefängnis.
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Zuständiges Ministerium
Ministerium für Inneres, Justiz und Wirtschaft
Betroffene Stellen
Landespolizei
Amt für Justiz
Staatsanwaltschaft
Landgericht
Obergericht
Oberster Gerichtshof
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Vaduz, 27. September 2016
LNR 2016-1302
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Abänderung des Strafvollzugsgesetzes an den Landtag zu unterbreiten.
Unter Anwendung des Vertrages zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Republik Österreich über die Unterbringung von Häftlingen
1 (im Folgenden "Staatsvertrag") können in Liechtenstein verurteilte Strafgefangene (in der Folge "liechtensteinische Strafgefangene") zum Zwecke des Vollzuges ihrer Freiheitsstrafe in österreichische Strafanstalten überstellt werden. Aus diesem Staatsvertrag resultiert für Liechtenstein zudem ein Rechtsanspruch auf Überstellung von liechtensteinischen Strafgefangenen nach Österreich.
Dieser Anspruch erlangt insofern Relevanz, wenn ein Strafgefangener eine Freiheitsstrafe von über zwei Jahren zu verbüssen hat, weil das Landesgefängnis in
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Vaduz - ursprünglich als reines Untersuchungsgefängnis konzipiert - aufgrund seiner Kleinheit, der beschränkten Infrastruktur und begrenzten personellen Ressourcen (keine stationären Therapien oder Berufslehre möglich, fehlende Werkstätten, eingeschränkte Freizeitgestaltung, etc.) faktisch gar nicht in der Lage ist, einen modernen Betreuungsvollzug für langjährige Freiheitsstrafen zu gewährleisten. Aufgrund dieser bekannten Umstände werden Strafgefangene zur Verbüssung längerer Freiheitsstrafen seit über 30 Jahren in österreichische Strafvollzugsanstalten überwiesen. Dies gilt besonders auch für den Vollzug von Massnahmen
2.
Eine Totalrevision des StVG erfolgte im Jahr 2007, nachdem das geltende StVG grösstenteils aus dem Jahre 1983 stammte und zu einer Zeit geschaffen wurde, als sich die tatsächlichen Verhältnisse von der Realität des Strafvollzuges im neuen Jahrhundert noch sehr unterschieden haben. So waren bis zum Beginn der Neunzigerjahre vor der Totalrevision beispielsweise die liechtensteinischen Häftlinge noch im Keller des Regierungsgebäudes untergebracht. Im Vergleich zu den Rechtsgrundlagen aus den Achzigerjahren des vorherigen Jahrhunderts mit einem knappen Gesetz von 45 Artikeln und einer Verordnung mit 29 Artikeln wurde mit der Totalrevision das Recht wesentlicher konsistenter geregelt und dadurch auch mehr Rechtssicherheit geschaffen. Als Rezeptionsvorlage diente dabei das österreichische Strafvollzugsgesetz
3, da dieses auf das ebenfalls aus Österreich rezipierte Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung systematisch abgestimmt ist. Bei der Unterbrechung der Freiheitsstrafe und bei der Ausgangsregelung wurden jedoch in Abweichung zu Österreich die liberaleren liechten-
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steinischen Bestimmungen beibehalten, da sich diese aus damaliger Sicht in der Praxis bewährt hatten.
4Basierend auf den Staatsvertrag entscheiden österreichische Vollzugsgerichte unter Anwendung des österreichischen Vollzugsrechts über liechtensteinische Strafgefangene im österreichischen Straf- und Massnahmenvollzug (vgl. Art. 5 Abs. 1 und 3 Staatsvertrag). Die liechtensteinischen Behörden sind nur ausnahmsweise für liechtensteinische Strafgefangene im österreichischen Straf- und Massnahmenvollzug zuständig. Und zwar nur dann, wenn es um Entscheidungen über die Unterbrechung der Freiheitsstrafe (vgl. Art. 5 Abs. 2 Staatsvertrag) geht, wobei in diesen Fällen liechtensteinisches Recht anzuwenden ist.
Gerade die Bestimmung über die Unterbrechung der Freiheitsstrafe (Art. 91 StVG) unterscheidet sich jedoch grundlegend von der in Österreich geltenden Regelung. Das liechtensteinische Strafvollzugsgesetz lässt eine Unterbrechung der Freiheitsstrafe bereits nach sechs Monaten Haft zu und somit viel früher als die österreichische Rezeptionsvorlage, die eine solche Unterbrechung erst in den letzten drei Jahren vor Haftende vorsieht (vgl. im Detail die Ausführungen zu Art. 91 StVG). Dadurch werden Strafgefangene, die von einem liechtensteinischen Gericht verurteilt wurden und ihre Haftstrafe in einer österreichischen Strafanstalt verbüssen, privilegiert. Diese Ungleichbehandlung führt unter Strafgefangenen in österreichischen Strafanstalten zu Unverständnis und Unfrieden, was den ordentlichen Betrieb stört und dem Vollzugspersonal vermehrt Probleme bereitet.
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1 | LGBl. 1983 Nr. 39. |
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2 | §§ 21 StGB (Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher), 22 StGB (Unterbringung in einer Anstalt für entwöhnungsbedürftige Rechtsbrecher) und 23 StGB (Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche Rückfallstäter). |
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3 | Bundesgesetz vom 26. März 1969 über den Vollzug von Freiheitsstrafen und der mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Massnahmen, BGBl. Nr. 144/1969 idF BGBl I Nr. 136/2004. |
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4 | Vgl. Bericht und Antrag Nr. 50/2007, S. 61 ff. |
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