Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Beteiligung des Fürstentums Liechtenstein am Fonds für die Innere Sicherheit für Aussengrenzen und Visa im Rahmen der Schengen Mitgliedschaft
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Das Fürstentum Liechtenstein ist mit Inkraftsetzen der Assoziierungsprotokolle zu Schengen und Dublin am 19. Dezember 2011 dem Schengen-Raum beigetreten. Damit hat sich Liechtenstein auch zur Übernahme künftiger Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands gemäss dem im Assoziierungsprotokoll festgelegten Verfahren verpflichtet. Der vorliegende Bericht und Antrag betrifft die Übernahme einer solchen Weiterentwicklung. Es handelt sich dabei um die Verordnung (EU) Nr. 514/2014 und die Verordnung (EU) Nr. 515/2014 zur Schaffung eines Instruments für die finanzielle Unterstützung für Aussengrenzen und Visa im Rahmen des Fonds für die innere Sicherheit.
In den Schengen-Mitgliedstaaten kommen der gemeinsamen Visumpolitik und dem kohärenten Management der Aussengrenzen zentrale Bedeutung zu. Die Grundsätze dazu basieren auf der Strategie der inneren Sicherheit der Mitgliedstaaten aus dem Jahr 2010. Zur Durchführung dieser Strategie haben die Mitgliedstaaten einen Fonds für die innere Sicherheit für Aussengrenzen und Visa (kurz: ISF-Grenzen) für den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2020 eingerichtet, an dem sich Liechtenstein - wie auch die anderen assoziierten Schengen-Mitgliedstaaten - finanziell zu beteiligen hat. Liechtenstein ist zur Übernahme der gegenständlichen Schengen-Weiterentwicklung verpflichtet und die erwähnten Verordnungen sehen denn auch keine "Ausstiegs-Klausel" (opt-out) vor, d.h. mit der Übernahme der Verordnungen hat Liechtenstein am ISF-Grenzen mit allen Rechten und Pflichten, unter Berücksichtigung der spezifischen Rahmenbedingungen des Landes, teilzunehmen.
Im Unterschied zum Vorläuferfonds, dem Aussengrenzenfonds (Bericht und Antrag Nr. 36/2010), enthält der ISF-Grenzen einige konkrete Neuerungen, die sowohl den Anwendungsbereich als auch die Berechnung der Anteile der einzelnen Staaten betreffen, und damit eine aktive Teilnahme Liechtensteins auch praktisch möglich machen. Der für den Fonds zu erwartende Beitrag Liechtensteins dürfte sich in Abhängigkeit der BIP-Verhältnisse (LI:EU) für den gesamten Finanzierungszeitraum 2014-2020 auf rund 828'000 Euro belaufen. Abgesehen davon stehen Liechtenstein Fördergelder in Höhe von 5 Mio. Euro zur Verfügung, die an eine nationale Ko-Finanzierung gebunden sind. Diese Mittel können gemäss der im nationalen Programm Liechtensteins festgelegten Strategie für Massnahmen
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verwendet werden, die ohnehin heute schon als Schengen-Mitgliedstaat getätigt werden müssen und in Liechtenstein wirksam werden sowie für Massnahmen, die durch die Tätigkeit anderer Mitgliedstaaten die Situation an den Aussengrenzen verbessern.
Die Europäische Kommission (kurz: EU-Kommission) ist sich der speziellen Ausgangslage Liechtensteins (keine Aussengrenzen, Delegation der Visumerteilung an die Schweiz und andere EU-Staaten) bewusst und zeigte sich daher anlässlich des Politischen Dialogs zwischen der Europäischen Kommission und Liechtenstein auch bereit, bei der Beurteilung der Anträge um Fördermittel die Besonderheiten Liechtensteins entsprechend zu berücksichtigen und die administrative Belastung zu reduzieren.
Die Regierung ist überzeugt, mit den vorgesehenen Massnahmen, die einerseits Liechtenstein selber zugutekommen und andererseits dem erklärten Ziel des ISF-Grenzen der gegenseitigen solidarischen Unterstützung und der gerechten Lastenverteilung unter den Mitgliedstaaten Rechnung tragen, das Optimum aus der durch die Schengen-Assoziierung bedingten verpflichtenden Teilnahme Liechtensteins am Fonds herauszuholen.
Zuständiges Ministerium
Ministerium für Inneres, Justiz und Wirtschaft
Betroffene Amtsstellen
Amt für Auswärtige Angelegenheiten
Ausländer- und Passamt
Finanzkontrolle
Landespolizei
Mission des Fürstentums Liechtenstein bei der Europäischen Union in Brüssel
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Vaduz, 3. November 2015
LNR 2015-1499
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Beteiligung des Fürstentums Liechtenstein am Fonds für die innere Sicherheit für Aussengrenzen und Visa im Rahmen der Schengen Mitgliedschaft an den Landtag zu unterbreiten.
Das Fürstentum Liechtenstein ist mit Inkraftsetzen
1 der Assoziierungsprotokolle
2 zu Schengen
3 und Dublin
4 am 19. Dezember 2011 dem Schengen-Raum beigetre-
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ten. Die Protokolle waren am 28. Februar 2008 von beiden Vertragsparteien unterzeichnet worden und am 27. Juni 2008 hatte der Landtag seine Zustimmung zum Schengenbeitritt Liechtensteins erteilt.
5 Aufgrund von Verzögerungen im EU-internen Ratifikationsprozess traten die Assoziierungsprotokolle erst am 1. April 2011 (Dublin) bzw. am 7. April 2011 (Schengen) in Kraft.
Der Schengen/Dublin-Besitzstand (Acquis) wird regelmässig durch neue Rechtsakte und Massnahmen ergänzt, um den wachsenden Herausforderungen im Bereich Sicherheit und Asyl begegnen zu können. Mit dem Beitritt zu Schengen hat sich Liechtenstein zur Übernahme und Umsetzung künftiger Weiterentwicklungen des Schengen/Dublin-Besitzstands gemäss dem im Assoziierungsprotokoll festgelegten Verfahren verpflichtet.
6 Die Europäische Union (kurz: EU) notifiziert Liechtenstein jeweils die Annahme eines neuen Rechtsakts, woraufhin Liechtenstein innert 30 Tagen mitzuteilen hat, ob es den neuen Rechtsakt übernehmen will. Die Übernahme erfolgt im Rahmen eines Notenaustausches zwischen der EU und Liechtenstein, der als völkerrechtliches Abkommen angesehen wird. Für die Genehmigung des Abkommens ist je nach Inhalt des zur Übernahme anstehenden EU-Rechtsakts die Regierung oder der Landtag zuständig. Fällt der Abschluss des Notenaustausches in die Kompetenz des Landtags, so hat Liechtenstein die EU in ihrer Antwortnote darüber in Kenntnis zu setzen, dass die Übernahme der Weiterentwicklung erst nach Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen rechtsverbindlich werden kann.
Der vorliegende Bericht und Antrag betrifft die Übernahme einer solchen Weiterentwicklung, nämlich der Verordnung (EU) Nr. 515/2014 des Europäischen
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Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Schaffung eines Instruments für die finanzielle Unterstützung für Aussengrenzen und Visa im Rahmen des Fonds für die innere Sicherheit (kurz: ISF-Grenzen-Verordnung) sowie der Verordnung (EU) Nr. 514/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Festlegung allgemeiner Bestimmungen für den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds und das Instrument für die finanzielle Unterstützung der polizeilichen Zusammenarbeit, der Kriminalprävention und Kriminalitätsbekämpfung und des Krisenmanagements (kurz: Horizontale Verordnung), letztere soweit sie für die Anwendung der ISF-Grenzen-Verordnung relevant ist. Die Regierung hat die Übernahme der beiden Verordnungen mit Regierungsbeschluss vom 8. Juli 2014 unter Vorbehalt der Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen gutgeheissen.
Mit den oben genannten Verordnungen legen das Europäische Parlament und der Rat der EU allgemeine Bestimmungen für den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds und das Instrument für die finanzielle Unterstützung der polizeilichen Zusammenarbeit, der Kriminalprävention und Kriminalitätsbekämpfung und des Krisenmanagements fest und schaffen ein Instrument für die finanzielle Unterstützung für Aussengrenzen und Visa im Rahmen des Fonds für die innere Sicherheit. Dieser Fonds mit einer Laufzeit vom 1. Januar 2014 bis 31. Dezember 2020 wurde zur gegenseitigen solidarischen Unterstützung der Mitgliedstaaten eingerichtet, um die Durchführung der Strategie der inneren Sicherheit
7 zu fördern und sicherzustellen, dass diese Strategie auch in die Praxis umgesetzt wird. Die Strategie der inneren Sicherheit der EU wurde 2010 vom EU-Rat angenommen und stellt ein gemeinsames Programm zur Bewältigung der sicherheitspolitischen Herausforderungen des Schengen-Raumes dar.
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Bei erstgenannter Weiterentwicklung, der ISF-Grenzen-Verordnung, handelt es sich um eine verbindliche Verordnung, die von der EU im Rahmen des Mehrjährigen Finanzrahmens 2014-2020 im Bereich des Inneren erlassen wurde und zu deren Übernahme Liechtenstein - wie auch die anderen an der Schengen-Zusammenarbeit assoziierten Staaten Norwegen, Island und die Schweiz - im Rahmen seiner Schengen-Assoziierung verpflichtet ist. Die Verordnung legt u.a. die Ziele der finanziellen Unterstützung und die förderfähigen Massnahmen sowie den allgemeinen Rahmen für die Durchführung der Massnahmen fest. Im Weiteren verweist die ISF-Grenzen-Verordnung auf die Bestimmungen der Horizontalen Verordnung. Diese beinhaltet allgemeine Bestimmungen für mehrere weitere Fonds, den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds sowie den Fonds für die finanzielle Unterstützung der polizeilichen Zusammenarbeit, der Kriminalprävention und Kriminalitätsbekämpfung und des Krisenmanagements, an welchen Liechtenstein jedoch nicht teilnehmen muss bzw. kann, da diese Materie nicht Bestandteil des Schengen-Acquis ist.
Die Horizontale Verordnung ist in ihrer Gesamtheit für Liechtenstein keine direkte Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands und deshalb nur insoweit für Liechtenstein bindend, als sie Regeln enthält, die für die Teilnahme am ISF-Grenzen notwendig sind. In dieser Verordnung wird ein einheitlicher Rahmen für den Einsatz der Mittel, auch für jene, welche im ISF-Grenzen zugeteilt werden, geregelt. Obwohl diese Verordnung EU-intern nicht formell als "Schengen-Weiterentwicklung" bezeichnet wurde - dies hätte diverse juristische Fragen über die Teilnahme des Vereinigten Königreiches, Irlands und Dänemarks ausgelöst
8 - wurden die Beteiligungsregeln des Schengen-Assoziierungsprotokolls in -
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der Praxis eingehalten und Liechtenstein wurde vollumfänglich an den Arbeiten im Rat beteiligt. Der Rat hat daher auch diese Horizontale Verordnung im regulären Schengen-Verfahren zur Übernahme notifiziert. Da die Schengen-Teilnahmerechte, wie in Art. 2 Abs. 3 des Schengen-Assoziierungsprotokolls vorgesehen, de facto Anwendung gefunden haben, konnte Liechtenstein die Anwendung des regulären Übernahmeverfahrens auch für diese Verordnung akzeptieren und deren Annahme notifizieren. Da es sich bei den beiden Verordnungen (Horizontale Verordnung und ISF-Grenzen-Verordnung) jedoch um ein Paket handelt, erstreckt sich der Zustimmungsvorbehalt des Landtages auf beide Rechtsakte.
Insgesamt werden für den ISF-Grenzen 2'760 Mio. Euro bereitgestellt. 1'551 Mio. Euro werden den Mitgliedstaaten zugewiesen, die die Grundlage für die nationalen Programme bilden. Im Fall von Liechtenstein ist dies, im grossen Unterschied zum bisherigen Aussengrenzenfonds, ein Mindestbetrag von 5 Mio. Euro. Alle weiteren Mitgliedstaaten erhalten neben diesem gleich grossen Mindestbetrag einen zusätzlichen Betrag in Abhängigkeit von deren Grösse, aber auch weiterer Parameter wie etwa der Länge der Abschnitte einer Aussengrenze. Der genannte mögliche Förderbeitrag von 5 Mio. Euro macht eine aktive Teilnahme am ISF-Grenzen für Liechtenstein interessant, selbst wenn förderfähige Massnahmen aufgrund der besonderen Ausgangslage Liechtensteins (keine Schengen-Aussengrenzen, keine Konsulate) auf den ersten Blick nur schwer ausmachbar sind. Im Unterschied zum Aussengrenzenfonds wird Liechtenstein von Beginn seiner Laufzeit weg in den ISF-Grenzen miteinbezogen und hat bei der Erfüllung der Ziele des Fonds mit seinem nationalen Programm mitzuwirken, welches nicht nur die geplanten Massnahmen nennt, sondern auch die Höhe der finanziellen Mittel, die dafür aus dem Fonds beantragt werden.
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Um die Ausarbeitung der nationalen Programme zu erleichtern, führte jeder Mitgliedstaat mit der Europäischen Kommission im Vorfeld einen sogenannten Politischen Dialog.
9 Dieser konzentrierte sich auf das Gesamtergebnis, das durch die nationalen Programme erzielt werden soll, um den Bedürfnissen und Prioritäten der Mitgliedstaaten in den unter die spezifische Verordnungen fallenden Interventionsbereichen unter Berücksichtigung der Ausgangssituation in dem betreffenden Mitgliedstaat und der Ziele der spezifischen Verordnungen gerecht zu werden.
Der Politische Dialog zwischen der Europäischen Kommission und Liechtenstein am 6. Juni 2013 diente als Gelegenheit, die jeweilige Ausgangslage offen darzulegen und das gegenseitige Verständnis zu fördern. Da im Unterschied zum Vorgängerfonds für Liechtenstein nun auch konkrete Fördermittel zur Verfügung stehen und ein Verzicht auf die Fördergelder rechtlich gesehen nicht möglich ist, hat die EU-Kommission klar zum Ausdruck gebracht, dass sie von einer aktiven Teilnahme Liechtensteins am ISF-Grenzen ausgeht. Die EU-Kommission sieht die Teilnahme Liechtensteins vor allem im Lichte einer gerechten Lastenverteilung und von Solidarität mit den anderen Mitgliedstaaten und zeigte sich anlässlich des Treffens auch bereit, bei der Beurteilung der Anträge um Fördermittel die Besonderheiten Liechtensteins entsprechend zu berücksichtigen.
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1 | vgl. LGBl. 2011 Nr. 563. |
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2 | Liechtenstein hat keinen eigenen Vertrag ausgehandelt, sondern ist über die Protokolle zum Schweizer Vertrag beigetreten. Die Kündigungsklausel erlaubt jedoch ein Aufrechterhalten der Assoziierung Liechtensteins auch bei Kündigung der Abkommen der Schweiz (Art. 11 Abs. 2 Schengen- bzw. Dublin-Assoziierungsprotokoll). |
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3 | Protokoll zwischen dem Fürstentum Liechtenstein, der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Beitritt des Fürstentums Liechtenstein zu dem Abkommen zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands; LGBl. 2011 Nr. 131. |
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4 | Protokoll zwischen dem Fürstentum Liechtenstein, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Beitritt des Fürstentums Liechtenstein zu dem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedsstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags; LGBl. 2011 Nr. 132. |
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5 | vgl. Bericht und Antrag Nr. 79/2008. |
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6 | vgl. Art. 5 des Schengen- bzw. Dublin-Assoziierungsprotokolls. Als Konsequenz einer fehlenden Annahme einer Weiterentwicklung binnen den dafür vorgesehenen Fristen wird ein Verfahren ausgelöst, das im äussersten Fall zur Aussetzung oder Beendigung der Zusammenarbeit führen kann. |
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7 | http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52010DC0673&from=DE |
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8 | Dänemark hat bei der Unterzeichnung des Schengener-Abkommens einen Vorbehalt hinsichtlich der Umsetzung und Anwendung künftiger Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstandes angebracht und entscheidet hierüber von Fall zu Fall. Irland und das Vereinigte Königreich wenden das Schengener Abkommen nur teilweise an bzw. punktuell auf Antrag. |
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9 | vgl. Art. 13 der Horizontalen Verordnung. |
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