Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Totalrevision des Gewerbegesetzes und die Abänderung weiterer Gesetze
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Mit der vorliegenden Totalrevision des Gewerbegesetzes wird das Urteil des EFTA-Gerichtshofs vom 10. Mai 2016 in der Rechtssache E-19/15 EFTA-Überwachungsbehörde v. Liechtenstein umgesetzt. Der EFTA-Gerichtshof hat entschieden, dass Liechtenstein gegen die Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG sowie die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nach Artikel 31 und 36 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum verstossen hat. Hauptkritikpunkte des Urteils bilden die generelle Bewilligungspflicht für die niedergelassenen Gewerbetreibenden und die Ausgestaltung des Meldesystems bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung. Dem Urteil des EFTA-Gerichtshofs soll insbesondere dadurch Rechnung getragen werden, dass die derzeitige Bewilligungspflicht nur noch als Ausnahme für bestimmte Gewerbe gelten soll. Im Grundsatz soll eine blosse Anmeldungspflicht bestehen, mit deren Erfüllung der Gewerbetreibende unmittelbar zur Ausübung des Gewerbes berechtigt ist, wenn und soweit die Ausübungsvoraussetzungen gegeben sind. Im Bereich der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung wird die Meldepflicht auf die qualifizierten Gewerbe reduziert.
Neben der Ausräumung der Kritikpunkte des EFTA-Gerichtshofs und der EFTA-Überwachungsbehörde soll die Revision dem Ziel der Deregulierung Rechnung tragen und gewonnene Erfahrungen aus der Praxis umsetzen.
Die Vorlage dient darüber hinaus der Umsetzung der Verpflichtungen aus der 4. Geldwäscherei-Richtlinie (EU) 2015/849 sowie der Empfehlungen der Financial Action Task Force aus dem Jahr 2012 betreffend die Zuverlässigkeitsprüfung von wirtschaftlichen Eigentümern für einzelne Gewerbe.
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Zuständiges Ministerium
Ministerium für Infrastruktur, Wirtschaft und Sport
Betroffene Stellen
Amt für Volkswirtschaft
Stabsstelle EWR
Finanzmarktaufsicht
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Vaduz, 3. März 2020
LNR 2020-247
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Totalrevision des Gewerbegesetzes sowie die Abänderung weiterer Gesetze an den Landtag zu unterbreiten.
Die liechtensteinische Wirtschaftsordnung geht vom Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit
1 nach Art. 36 Landesverfassung (LV)
2 aus. Danach sind Handel und Gewerbe innerhalb der gesetzlichen Schranken frei. Die sogenannte Wirtschaftsfreiheit und ihre rechtlichen Einschränkungen sind die elementaren Ordnungsprinzipien einer freien Wirtschaftsverfassung. Sie stellen quasi das Betriebssystem der Marktwirtschaft dar. Geschützt ist jede auf Erwerb ausgerichtete privatwirtschaftliche Tätigkeit.
3 Einbezogen sind Handwerk und Industrie sowie der Dienstleistungssektor.
4 Dieses Grundrecht schützt sowohl die Freiheit der Wahl und des Zugangs sowie die Freiheit der Ausübung des Berufes, des ge-
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werbsmässigen Handels und Gewerbes und damit der Wirtschaft allgemein.
5 Die Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit bilden das zentrale Element der Handels-und Gewerbefreiheit.
6 Als weitere Teilgehalte der Berufsausübungsfreiheit gelten die Freiheit der Wahl der Organisation und die freie Wahl der Mitarbeiter,
7 der Grundsatz der Gleichbehandlung der Konkurrenten
8 sowie die Vertragsfreiheit
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Die Handels- und Gewerbefreiheit gilt jedoch nicht absolut. Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit bedürfen, wie andere Grundrechtseingriffe auch, einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage, eines öffentlichen Interesses und müssen verhältnismässig sein. Der Kerngehalt der Handels- und Gewerbefreiheit muss gewahrt werden.
10 Je schwerer der Eingriff, desto höher sind sie Anforderungen an die Voraussetzungen zur Zulässigkeit der Einschränkung.
11 Der Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit ist dann verhältnismässig, wenn er geeignet, erforderlich und zumutbar ist. Der Zweck der Beschränkung darf dabei nicht mit anderen, milderen Mitteln erreicht werden.
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1 | Vgl. Klaus A. Vallender, Handels- und Gewerbefreiheit, in: Andreas Kley/Klaus A. Vallender [Hrsg.], Grundrechtspraxis in Liechtenstein, LPS Bd. 52, Schaan 2012, S. 723 ff. |
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2 | Verfassung des Fürstentums Liechtenstein vom 5. Oktober 1921, LGBl. 1921 Nr. 15. |
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3 | StGH 2008/038, Erw. 7. |
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4 | Klaus A. Vallender, a.a.O., S. 726 ff., Rz. 3. |
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5 | StGH 2015/011, Erw. 3 m.w.H. auf StGH 2006/35, Erw. 5.1; StGH 2013/42, Erw. 3.1; vgl. auch StGH 2008/38. |
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6 | Klaus A. Vallender, a.a.O., S. 728; StGH 2015/011, Erw. 3 m.w.H.; StGH 2014/003 Erw. 3.1. |
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7 | StGH 2008/038, Erw. 7.; StGH 2006/005, Erw. 3. |
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8 | StGH 2013/082, Erw. 3.8.6.; StGH 2013/149, Erw. 6.1 f. |
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9 | StGH 2014/003, Erw. 3.1. |
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10 | StGH 2015/011, Erw. 3 m.w.H. auf StGH 2004/14, Erw. 3a; StGH 2013/42, Erw. 3.1; StGH 2008/38, Erw. 7; Klaus A. Vallender, a.a.O., S. 726 ff., Rz. 3 ff., S. 739, Rz. 29. |
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11 | StGH 2013/082, Erw. 3.8.4.; StGH 2004/14, Erw. 3b. |
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