Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Totalrevision des Gerichtsgebührengesetzes (GGG)
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Um ein effizientes, gut funktionierendes und qualitativ hochstehendes Gerichts-wesen zu gewährleisten, wurden in der laufenden Legislaturperiode bereits ver-schiedene Reorganisationsprojekte im Bereich der Justizverwaltung umgesetzt.
Da sich die Einhebung der Gebühren gemäss bestehendem Gerichtsgebührenge-setz als unverhältnismässig aufwändig und ineffizient erweist, sollen in diesem Bereich Verbesserungen vorgenommen werden.
Konkret kann der mit der Berechnung der Gerichtsgebühren verbundene Aufwand bei geringfügigen Streitwerten ausser Relation zu den eingehobenen Geldbeträ-gen stehen. Zur Vereinfachung der Gebührenermittlung soll daher in Liechten-stein ein Pauschalgebührensystem nach österreichischem Vorbild eingeführt wer-den. Damit lässt sich nicht nur der in diesem Bereich bestehende Verwaltungs-aufwand reduzieren, sondern ergeben sich auch administrative Erleichterungen für die Parteien und deren Vertreter. Die Schaffung eines einheitlichen und nach-vollziehbaren Gerichtsgebührensystems garantiert für die Zukunft gerade auch ein höheres Mass an Rechtsklarheit und an Rechtssicherheit.
Darüber hinaus soll im Rahmen dieser Vorlage dem Umstand entgegengetreten werden, dass alljährlich ein Teil der Gerichtsgebühren für uneinbringlich erklärt wird, weil - aufgrund des damit verbundenen Aufwands - nicht alle im Ausland wohnhaften Gebührenschuldner betrieben werden. So sollen Klagen oder andere gebührenbegründende Eingaben künftig als zurückgezogen erklärt werden, wenn die zu zahlende Gebühr bzw. der allenfalls zu leistende Gebührenvorschuss nicht oder nicht vollständig innert Frist entrichtet worden ist. Aufgrund dieser Mas-snahme kann der Staat mit jährlichen Mehreinnahmen in Höhe von durchschnittlich rund 335 000 Franken rechnen.
Zuständiges Ministerium
Ministerium für Inneres, Justiz und Wirtschaft
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Betroffene Stellen
Staatsgerichtshof
Verwaltungsgerichtshof
Oberster Gerichtshof
Obergericht
Landgericht
Staatsanwaltschaft
Stabsstelle Finanzen
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Vaduz, 18. Oktober 2016
LNR 2016-1431
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Totalrevision des Gerichtsgebührengesetzes (GGG) an den Landtag zu unterbreiten.
Entsprechend ihrem Programm für die Legislaturperiode 2013 bis 2017
1 arbeitet die Regierung an einer umfassenden Justizreform. Zur schrittweisen Verbesse-rung der bestehenden Strukturen werden dabei verschiedene Reorganisations-projekte umgesetzt, von denen ein Grossteil bereits realisiert werden konnte. Als geplante bzw. bereits umgesetzte Einzelmassnahmen lassen sich nennen:
- Neuregelung der Entschädigung der nebenamtlichen Richter und der Ad-hoc-Richter (bereits umgesetzt
2);
- Umstrukturierung beim Kriminal- und beim Obergericht (bereits umgesetzt
3);
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- Vornahme struktureller Anpassungen bei den ordentlichen Gerichten (bereits umgesetzt
4);
- Reform der Verfahrenshilfe (Teil 1: Juristische Personen und Tarif in Verfahrenshilfesachen bereits umgesetzt
5; Teil 2: Verfahrensrechtliche Anpassungen bereits umgesetzt
6);
- Massnahmen zum Zweck der Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren;
- Abänderung des Gerichtsgebührengesetzes.
Dem letztgenannten Projekt, welches Gegenstand dieses Bericht und Antrages der Regierung ist, liegt die nachstehend angeführte Rechts- und Sachlage zugrunde:
Das bestehende Gesetz über die Gerichtsgebühren (Gerichtsgebührengesetz, GGG)
7 geht auf das Jahr 1974 zurück. In allen gerichtlichen Verfahren dürfen Gebühren nur nach den Bestimmungen dieses Gesetzes eingehoben werden.
8 Wie andere Gebühren verfolgen auch die Gerichtsgebühren primär den Zweck, Dienstleistungen des Staats und seiner Institutionen kostenmässig zu decken, soweit die Finanzierung dieser Leistungen nicht aus allgemeinen Steuergeldern angezeigt erscheint.
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Als Bemessungsgrundlage der einzelnen Gerichtsgebühren gilt grundsätzlich
10 der von der gebührenpflichtigen Partei in ihrer Eingabe anzugebende Streitwert. Wird die Bemessungsgrundlage nicht oder so angegeben, dass sie den tatsächlichen Verhältnissen offensichtlich nicht entspricht, ist sie vom Gericht nach freiem Ermessen amtswegig festzusetzen.
11 Wie die nachfolgende Tabelle zeigt, bestehen - je nach Typus des Verfahrens - unterschiedliche Gebührenarten:
Verfahrensart | Gesonderte Gerichtsgebühren für/als: |
Streitiges Zivilverfahren (Bisheriger Art. 16 GGG) | Eingaben | Protokolle | Entscheidungen | Vergleiche |
Rechtssicherungs- und Rechtsöffnungsverfahren (Bisherige Art. 22 und 25 GGG) | Eingaben | Entscheidungen | Vergleiche |
Schuldentriebverfahren (Bisheriger Art. 26 GGG) | Eingaben | Entscheidungen |
Zwangsvollstreckungsverfahren (Bisherige Art. 28 und 31 GGG) | Eingaben | Entscheidungen |
Konkurs- und Nachlassvertragsverfahren (Bisheriger Art. 32 GGG) | Eingaben | Pauschalgebühr | Entscheidungen |
Rechtsfürsorge-(Ausserstreit-) Verfahren (Bisheriger Art. 33 GGG) | Eingaben | Entscheidungen |
Verlassenschaftsverfahren (Bisheriger Art. 37 GGG) | Einantwortungsgebühr |
Strafverfahren (Bisheriger Art. 40 GGG) | Pauschalgebühr |
Neben den dargestellten Gebühren bestehen zudem eigene Gebührenvorschriften für andere gerichtliche Amtshandlungen oder Entscheidungen (wie etwa für
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die Errichtung eines gerichtlichen Testaments oder für die Beglaubigung von Unterschriften).
12Während für Protokolle über Verhandlungen vor dem Obergericht und vor dem Obersten Gerichtshof der doppelte Gebührensatz wie in erster Instanz erhoben wird, wird teilweise auch der doppelte Gebührenansatz für Entscheidungen dieser zweit- bzw. drittinstanzlichen Rechtsmittelinstanzen erhoben.
13Für Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof werden Eingabe- und Entscheidungsgebühren erhoben, deren Höhe sich nach den für das Rechtsfürsorge-(Ausserstreit-)Verfahren geltenden Bestimmungen
14 bemisst. Die im Falle von öffentlichen Verhandlungen vor dem Verwaltungsgerichtshof zusätzlich anfallen-den Protokollgebühren werden dagegen auf Grundlage der für das zivilgerichtliche Verfahren zweiter Instanz geltenden Bestimmungen
15 berechnet. Der Streit-wert richtet sich dabei nicht nur nach den Bestimmungen des Gerichtsgebühren-gesetzes, sondern auch nach § 4 der Honorarrichtlinien der Liechtensteinischen Rechtsanwaltskammer
16.
17Die Gebühren für das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof werden grundsätzlich nach den für das streitige Zivilverfahren vor dem Obersten Gerichtshof geltenden Bestimmungen
18 berechnet. Wie beim Verwaltungsgerichtshof ist im Falle einer öffentlichen Verhandlung auch beim Staatsgerichtshof neben den Eingabe- und -
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Entscheidungsgebühren eine Protokollgebühr zu entrichten.
19 Ist über einen An-trag auf Zuerkennung von aufschiebender Wirkung
20 oder über ein Ansuchen um Verfügung vorsorglicher Massnahmen
21 zu entscheiden, so wendet der Staatsgerichtshof die für das Rechtssicherungs- und Rechtsöffnungsverfahren geltenden Bestimmungen
22 an.
Festgehalten werden kann, dass in Liechtenstein - je nach Verfahrensart - unter-schiedliche Gebühren erhoben werden und es teilweise an klaren gesetzlichen Regelungen - und damit an Rechtssicherheit - fehlt. Für den Gebührenschuldner kann es äusserst schwierig sein, die bestehende Rechtslage nachzuvollziehen und darauf basierend zu wissen, welche Gebühren bzw. welche konkreten Beträge letztlich zu bezahlen sind.
Darüber hinaus bestehen Uneinheitlichkeiten, wenn es um die Berechnung und Einhebung der Gerichtsgebühren geht. Während die Gebühren bei den ordentlichen Gerichten (Landgericht, Obergericht und Oberster Gerichtshof) nach rechtskräftigem Abschluss der Verfahren von der beim Landgericht eingerichteten Gerichtskasse berechnet und eingehoben werden, erfolgt die Festsetzung der Gebühren für das Verfahren vor dem Verwaltungs- oder vor dem Staatsgerichtshof im Rahmen der jeweiligen Gerichtsentscheidung. Bei den öffentlichen Gerichten (Verwaltungs- und Staatsgerichtshof) sind die Gebühren überdies an die Landeskasse zu bezahlen.
23Unterschiede bestehen auch hinsichtlich der Vollstreckbarkeit der jeweiligen Geldforderungen. Während die in den Entscheidungen des Staatsgerichtshofs
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festgesetzten Gebühren von Gesetzes wegen einen Exekutionstitel bilden,
24 für deren Bezahlung uneinheitlich eine vierwöchige oder eine 14-Tages-Frist festgesetzt wird,
25 erlassen die ordentlichen Gerichte einen Zahlungsauftrag (Mahnung) mit vierzehntägiger Zahlungsfrist, nach deren Ablauf die Gebühren erst unmittelbar vollstreckbar sind.
26 Auch der Verwaltungsgerichtshof wendet nach seiner Rechtsprechung eine vierzehntägige Zahlungsfrist an.
27In der Praxis kommt es regelmässig vor, dass der zu tätigende Aufwand aufgrund der Geringfügigkeit des Streitwerts ausser Relation zu den eingehobenen Gerichtsgebühren steht. So etwa bei der Berechnung der Protokollgebühren, die neben dem Streitwert auch abhängig von der Dauer der Verhandlung sind.
28 Bei der Eintreibung der Gerichtsgebühren im Wege der Exekution besteht zudem das Problem, dass im Ausland wohnhafte Gebührenschuldner nicht betrieben wer-den und die geschuldeten Gebühren - bei Zahlungsunwilligkeit dieser Personen - für uneinbringlich
29 erklärt werden.
30 Seitdem der Staatsgerichtshof mit Urteil vom 30. Juni 2008 zu StGH 2006/94 die Bestimmungen über die aktorische Kaution
31 als EWR-widrig aufgehoben hat,
32 können die Gerichte in Zivilverfahren auch nicht mehr amtswegig
33 einen Vorschuss für Gerichtsgebühren vorschrei-
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ben.
34 Sind nun am Ende eines Verfahrens noch Gebühren von einer Person mit Wohnsitz im Ausland zu bezahlen und besteht keine Haftung als Bürge und Zahler
35, so kann der Gebührenanspruch des Staats gegen einen Gebührenschuldner mit Sitz/Wohnsitz im Ausland letztlich nicht durchgesetzt werden. In einem solchen Fall bleibt der liechtensteinische Staat sozusagen auf seinem Anspruch sitzen.
Im Jahr 2015 musste ein Betrag von insgesamt 359 058.76 Franken an fällig gewordenen Gerichtsgebühren für uneinbringlich erklärt werden, was rund 14 % der Gesamteinnahmen an Gerichtsgebühren dieses Jahres (2 578 023.56 Franken) entspricht.
Nachstehende Tabelle gibt einen Überblick über die Einnahmen sowie die Ab-schreibungen vergangener Jahre in diesem Bereich (Angaben in Franken):
Jahr | Angefallene Gerichtsgebühren | | Abgeschrieben wegen Uneinbringlichkeit |
2015 | 2 578 023.56 | 2 218 964.80 | 359 058.76 |
2014 | 3 245 286.09 | 2 737 700.67 | 507 585.42 |
2013 | 2 396 942.67 | 2 098 835.76 | 298 106.91 |
2012 | 2 985 010.51 | 2 679 169.39 | 305 841.12 |
2011 | 2 340 292.02 | 2 136 404.22 | 203 887.80 |
2010 | 3 825 067.05 | 3 478 709.30 | 346 357.75 |
Auffällig erscheint, dass alljährlich ein relativ hoher Betrag an angefallenen Gerichtsgebühren für uneinbringlich erklärt werden muss.
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1 | Im Internet abrufbar unter http://www.regierung.li/files/attachments/Regierungsprogramm_2013-2017.pdf. |
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2 | Bericht und Antrag Nr. 53/2014 und Nr. 93/2014. |
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3 | Bericht und Antrag Nr. 46/2014 und Nr. 70/2014. |
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4 | Bericht und Antrag Nr. 111/2015 und Nr. 139/2015. |
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5 | Bericht und Antrag Nr. 112/2015. |
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6 | Bericht und Antrag Nr. 69/2016 und Nr. 113/2016. |
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7 | LGBl. 1974 Nr. 42. |
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8 | Bisheriger Art. 1 GGG; Art. 56 Abs. 1 des Gesetzes über den Staatsgerichtshof (StGHG; LGBl. 2004 Nr. 32). |
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9 | Bericht und Antrag Nr. 25/2006, S. 4. |
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10 | Insbesondere mit Ausnahme der Fälle des bisherigen Art. 6 GGG. |
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11 | Abs. 2 und 3 des bisherigen Art. 3 GGG. |
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12 | Bisheriger Art. 42 GGG. |
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13 | Siehe hierzu die bisherigen Art. 18 Abs. 5, Art. 19 Abs. 5, Art. 24 Abs. 3, Art. 26 Abs. 3 i.V.m. Art. 35 Abs. 4, Art. 31 i.V.m. Art. 35 Abs. 4, Art. 32 Abs. 2 i.V.m. Art. 35 Abs. 4 sowie Art. 35 Abs. 4 GGG. |
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14 | Bisherige Art. 33 ff. (7. Abschnitt) GGG. |
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15 | Abs. 1 und 5 des bisherigen Art. 18 GGG. |
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16 | Veröffentlicht auf der Homepage der Liechtensteinischen Rechtsanwaltskammer unter http://www.lirak.li/index.php?submenu=Gesetze&src=gendocs&link=Gesetze&category=Main. |
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17 | LES 1998, S. 157 (VBI 1997/45, Leitsatz 1). |
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18 | Bisherige Art. 16 ff. (2. Abschnitt) GGG. |
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19 | LES 1997, S. 73 ff. (StGH 1994/19, Leitsatz 1b). |
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20 | Im Sinne von Art. 52 Abs. 2 StGHG. |
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21 | Im Sinne von Art. 53 Abs. 1 StGHG. |
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22 | Bisherige Art. 22 ff. (3. Abschnitt) GGG. |
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23 | Siehe Näheres hierzu in Art. 37 Finanzhaushaltsverordnung (FHV; LGBl. 2011 Nr. 589). |
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24 | Art. 55 Abs. 2 StGHG. |
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25 | Wille Tobias, Liechtensteinisches Verfassungsprozessrecht, LPS, Band 43, Schaan 2007, S. 723 f. |
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26 | Bisheriger Art. 13 Abs. 4 GGG. |
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27 | Vergleiche beispielsweise VGH 2014/46. |
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28 | Siehe hierzu den bisherigen Art. 18 Abs. 1 GGG. |
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29 | Im Sinne des bisherigen Art. 15 Abs. 4 GGG bzw. von Art. 56 Abs. 2 StGHG. |
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30 | Trotz eines Vollstreckungsabkommens mit Österreich (LGBl. 1975 Nr. 20) und der Schweiz (LGBl. 1970 Nr. 14) können Gebührenforderungen des Landes im gesamten Ausland nicht vollstreckt werden (siehe hierzu etwa zu Österreich in LES 1995, S. 187). Eine Eintreibung der Gebühren im Rahmen eines ausländischen Verfahrens gestaltet sich in der Praxis für Liechtenstein zudem als zu aufwändig. |
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31 | §§ 56 bis 62 der alten Fassung der Zivilprozessordnung (ZPO aF; LGBl. 1912 Nr. 9/1). |
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32 | Aufgrund des Verstosses dieser Regelungen gegen das Diskriminierungsverbot von Art. 4 des EWR-Abkommens (Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit). Dieses gilt in Liechten-stein seit Beschluss des EWR-Rates Nr. 1/95 vom 10. März 1995 (LGBl. 1995 Nr. 70). |
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33 | Siehe hierzu LES 1987, S. 70. |
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34 | Da mit dem Wegfall des § 57b ZPO aF für Parteien keine Verpflichtung mehr zur Leistung einer aktorischen Kaution für Gerichtsgebühren nach den Bestimmungen der ZPO besteht, wird auch der bisherige Art. 12 GGG gegenstandslos. |
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35 | Bisheriger Art. 9 GGG. |
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36 | Berichte der Finanzkontrolle über die Prüfungen der Landesrechnungen der Jahre 2011, 2012, 2013 und 2014 (im Internet abrufbar unter: http://www.llv.li/#/12430/berichte-uber-die-prufung-der-landesrechnung). |
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