Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Abänderung des Personen- und Gesellschaftsrechts (PGR) sowie weiterer Gesetze
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Die gegenständliche Vorlage dient insbesondere der Präzisierung von Bestimmungen unter Berücksichtigung der Praxis, der Beseitigung von Gesetzeslücken sowie von Rechtsunsicherheiten und Rechtsunklarheiten bei der praktischen Anwendung des Personen- und Gesellschaftsrechts (PGR). Ausserdem werden Verweis- und Bezeichnungsfehler behoben.
So werden beispielsweise die Bestimmungen über die Gläubigeraufrufe (Schuldenrufe) vereinfacht und die Möglichkeit zur Abhaltung von Generalversammlungen und Versammlungen anderer Organe ohne physische Anwesenheit der Teilnehmer auch ausserhalb des Covid-19-VJBG vorgesehen. Zudem wird die Verpfändung von Inhaberaktien geregelt und eine absolute Verjährungsfrist im Bereich der Haftung von Organen eingeführt. Des Weiteren erfolgt eine Klarstellung in der Bestimmung über die Stimmrechtsaktien.
Ausserdem wird mit der gegenständlichen Vorlage bestimmten praktischen Bedürfnissen bei der Anwendung des PGR entsprochen. Dies betrifft insbesondere Rechtsunsicherheiten im Zusammenhang mit der Bestimmung des Aufbewahrungsortes für Geschäftsunterlagen oder der Eintragung der Adresse von Liquidatoren oder Mitgliedern der Verwaltung im Handelsregister.
Zudem werden diverse Korrekturen von offensichtlichen Versehen im Gesetzestext vorgenommen. Dabei handelt es sich vor allem um Verweis- oder Bezeichnungsfehler.
Schliesslich wird die Rechtssicherungs-Ordnung (RSO) durch eine ausdrückliche Bestimmung zur Hinterlegung von Unterschriften samt Beglaubigungsermächtigung sowie zur Durchführung von Fernbeglaubigungen ergänzt. Des Weiteren wird im Notariatsgesetz (NotarG) vorgesehen, dass Notare Versammlungsbeschlüsse von Verbandspersonen oder Personengesellschaften auch ohne physische Anwesenheit sämtlicher Teilnehmer beurkunden dürfen.
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Zuständiges Ministerium
Ministerium für Infrastruktur und Justiz
Betroffene Stelle
Amt für Justiz
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Vaduz, 8. Februar 2022
LNR 2022-141
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Abänderung des Personen- und Gesellschaftsrechts (PGR) sowie weiterer Gesetze zu unterbreiten.
Das Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR)
1 wurde in den letzten Jahren mehrfach abgeändert. Es handelte sich teilweise um Abänderungen aufgrund internationaler Vorgaben, wie beispielsweise die Änderung zur Immobilisierung von Inhaberaktien
2, die Änderung im Zusammenhang mit der Einsichtnahme ins Handelsregister
3, die Einführung der Bestimmungen über das Europäische System der -
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Registervernetzung (BRIS)
4 oder die Änderungen der Bestimmungen über die Offenlegung
5. Bereits im Jahr 2016 erfolgte eine umfangreiche Revision des GmbH-Rechts sowie diverser anderer Bestimmungen des PGR
6 und im Jahr 2020 die Einführung des Verzichts auf die prüferische Durchsicht (Review)
7. Die letzte umfangreiche Änderung des PGR erfolgte im Rahmen der Umsetzung der sogenannten Aktionärsrechterichtlinie
8. Ausserdem wurden einzelne Bestimmungen des PGR immer wieder im Zuge der Änderung anderer Gesetze abgeändert, wie beispielsweise mit der Einführung des elektronischen Amtsblattes
9 oder unlängst mit der Reform des Insolvenzrechts
10.
Aufgrund der zahlreichen Gesetzesänderungen sowie des erheblichen Umfanges des PGR (1139 Artikel sowie insgesamt 368 Paragraphen
11) haben sich über die Jahre einzelne Verweis- und Bezeichnungsfehler ergeben.
In der Praxis des Amtes für Justiz (Handelsregister) hat sich ausserdem gezeigt, dass bei in der Vergangenheit erfolgten Änderungen des PGR versehentlich einzelne damit zusammenhängende Anpassungen nicht nachvollzogen wurden, sodass es aufgrund dieser Versehen zu Widersprüchen und daraus entstandenen Rechtsunsicherheiten gekommen ist. Dies betrifft insbesondere die
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Bestimmungen aufgrund der Revision des GmbH-Rechts im Jahr 2016. Zudem gibt es seit der Einführung der Bestimmungen über die Immobilisierung von Inhaberaktien keine Bestimmung darüber, wie die Verpfändung von Inhaberaktien, die bei einem Verwahrer hinterlegt sind, erfolgt. Die entsprechende Bestimmung im Sachenrecht (SR)
12 ist auf beim Verwahrer hinterlegte Inhaberaktien nämlich nicht anwendbar.
Zudem enthält das PGR Vorschriften, die entweder nicht mehr der Rechtswirklichkeit entsprechen oder aus anderen, in der Praxis des Amtes für Justiz (Handelsregister) gelegenen Gründen nachbesserungsbedürftig sind. Das gilt für die Gläubigeraufrufe (Schuldenrufe), die Deklarationspflichten für Verbandspersonen, die kein nach kaufmännischer Art geführtes Gewerbe betreiben, für die Bestimmung des Aufbewahrungsortes für Geschäftsbücher und Geschäftspapiere, die Pflicht von GmbHs zur Bestellung einer Revisionsstelle, die Eintragungspflicht für Treuhänderschaften ohne inländischen Treuhänder sowie die Bekanntmachungen von Eintragungen im Handelsregister durch das Amt für Justiz.
Schliesslich hat die Praxis gezeigt, dass im PGR einzelne Bestimmungen fehlen, die das Amt für Justiz benötigt, um seine gesetzlichen Verpflichtungen durchzusetzen. Dies betrifft beispielsweise die Genehmigung nationaler und internationaler Bezeichnungen im Wortlaut der Firma, die Befugnis zur Aufbewahrung von Dokumenten, bei denen es sich nicht um Eintragungsbelege handelt, sowie Bestimmungen im Zusammenhang mit der Eintragung der Berufs- bzw. Privatadresse von Mitgliedern der Verwaltung oder der Adressen von Liquidatoren.
Weiters sieht das PGR derzeit im Zusammenhang mit der Haftung von Organen juristischer Personen lediglich eine relative, nicht aber eine absolute
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Verjährungsfrist vor. Diesbezüglich ist das ABGB
13 massgeblich, welches in § 1489 eine Verjährungsfrist von 30 Jahren vorsieht, wenn dem Beschädigten der Schade oder die Person des Beschädigers oder Ersatzpflichtigen nicht bekannt geworden oder der Schade aus einem Verbrechen entstanden ist.
Ein weiteres Thema der Gesetzesvorlage betrifft die sogenannten Stimmrechtsaktien: Das liechtensteinische Aktienrecht kennt zwar Stimmrechtsaktien, indem in den Statuten einer Gesellschaft bestimmt werden kann, dass Aktien zu mehreren Stimmen (Pluralaktien) berechtigen (sogenannte offene bzw. echte Stimmrechtsaktien) oder dass Aktien mit verschiedenem Stimmrecht ausgestattet werden können (sogenannte verdeckte bzw. unechte Stimmrechtsaktien). Im letzteren Fall kommt ein Mehrheitsbeschluss in der Generalversammlung nur dann zustande, wenn jede Aktiengruppe ihrerseits einem Antrag mehrheitlich zustimmt. In Bezug auf die verdeckten bzw. unechten Stimmrechtsaktien sowie auf die Beschlussfassung in der Generalversammlung bei Vorhandensein von verdeckten bzw. unechten Stimmrechtsaktien sieht das PGR jedoch nur unklare bzw. unzureichende Regelungen vor.
Schliesslich kennt das PGR keine allgemeine Bestimmung, welche die Abhaltung von Versammlungen oberster oder anderer Organe von Verbandspersonen ohne physische Anwesenheit der Mitglieder ermöglicht, so wie dies im befristet geltenden Covid-19-VJBG
14 vorgesehen ist.
Die Rechtssicherungs-Ordnung (RSO)
15 schliesst zwar die Beglaubigung einer Unterschrift in Abwesenheit des Beglaubigten nicht aus, eine ausdrückliche -
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Vorschrift für die Hinterlegung einer Unterschrift samt Beglaubigungsermächtigung sowie zur Durchführung von Fernbeglaubigungen sieht die RSO jedoch nicht vor.
Das Notariatsgesetz (NotarG)
16 sieht derzeit keine Möglichkeit vor, dass Notare Versammlungsbeschlüsse von Verbandspersonen oder Personengesellschaften ohne physische Anwesenheit sämtlicher Teilnehmer beurkunden können.
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1 | Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR) vom 20. Januar 1926; LGBl. 1926 Nr. 4. |
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2 | Gesetz vom 20. Dezember 2012 über die Abänderung des Personen- und Gesellschaftsrechts; LGBl. 2013 Nr. 67. |
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3 | Gesetz vom 6. November 2020 über die Abänderung des Personen- und Gesellschaftsrechts; LGBl. 2020 Nr. 520. |
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4 | Gesetz vom 3. September 2020 über die Abänderung des Personen- und Gesellschaftsrechts; LGBl. 2020 Nr. 303. |
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5 | Gesetz vom 6. September 2019 über die Abänderung des Personen- und Gesellschaftsrechts; LGBl. 2019 Nr. 258. |
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6 | Gesetz vom 28. September 2016 über die Abänderung des Personen- und Gesellschaftsrechts; LGBl. 2016 Nr. 402. |
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7 | Gesetz vom 4. Dezember 2019 über die Abänderung des Personen- und Gesellschaftsrechts; LGBl. 2020 Nr. 22. |
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8 | Gesetz vom 7. Mai 2021 über die Abänderung des Personen- und Gesellschaftsrechts; LGBl. 2021 Nr. 225. |
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9 | Gesetz vom 3. September 2015 über die Änderung des Personen- und Gesellschaftsrechts; LGBl. 2015 Nr. 275. |
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10 | Gesetz vom 30. September 2020 über die Abänderung des Personen- und Gesellschaftsrechts; LGBl. 2020 Nr. 369. |
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11 | Art. 552 §§ 1 bis 41; Art. 932a §§ 1 bis 170; §§ 1 bis 157 SchlTPGR. |
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12 | Sachenrecht (SR) vom 31. Dezember 1922; LGBl. 1923 Nr. 4. |
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13 | Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) vom 1. Juni 1811, im Fürstentum Liechtenstein eingeführt aufgrund der Fürstlichen Verordnung vom 18. Februar 1812 (ASW). |
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14 | Gesetz vom 5. November 2021 über Begleitmassnahmen in der Verwaltung und Justiz in Zusammenhang mit dem Coronavirus (Covid-19) (Covid-19-VJBG); LGBl. 2021 Nr. 358. |
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15 | Rechtssicherungs-Ordnung vom 9. Februar 1923 (RSO); LGBl. 1923 Nr. 8. |
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16 | Notariatsgesetz (NotarG) vom 3. Oktober 2019; LGBl. 2019 Nr. 306. |
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