Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Abänderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung, des Staatsanwaltschaftsgesetzes, des Rechtshilfegesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes (Bereinigungen von redaktionellen Versehen und Abänderungen zur Vereinfachung des Strafverfahrens)
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Mit dieser Vorlage werden einerseits im Strafgesetzbuch, in der Strafprozessordnung, im Staatsanwaltschaftsgesetz, im Rechtshilfegesetz und im Jugendgerichtsgesetz redaktionelle Fehler, welche im Zuge früherer Revisionen entstanden sind, korrigiert und punktuell inhaltliche Unstimmigkeiten bereinigt.
Andererseits werden in der Strafprozessordnung (StPO)verschiedene Änderungen analog der österreichischen Rezeptionsvorlage vorgenommen, die bislang nicht in Liechtenstein nachvollzogen worden sind und welche eine Vereinfachung bzw. Beschleunigung des Strafverfahrens mit sich bringen:
So wird in § 5 StPO die Bindungswirkung des Strafgerichts an die rechtsgestaltenden Wirkungen einer zivilgerichtlichen oder sonstigen behördlichen Entscheidung normiert.
Gegen Beschlüsse des Landgerichtes im Zusammenhang mit der Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers steht dem Beschuldigten (Angeklagten) das Beschwerderecht an das Obergericht zu; ein weiterer Rechtsmittelzug - wie nach der geltenden Rechtslage - ist zukünftig nicht mehr vorgesehen (§ 26 StPO).
Bei der Überwachung der elektronischen Kommunikation nach § 103 StPO wird der Genehmigungsvorbehalt des Präsidenten/der Präsidentin des Obergerichtes aufgehoben.
Weiters wird durch die Abänderung von § 192 StPO die Anklageschrift künftig nicht mehr verlesen, sondern von der Staatsanwaltschaft frei vorgetragen.
Mit der Abänderung von § 229 StPO wird die Verlesung des Urteils erster Instanz und des Protokolls über die Schlussverhandlung im Rahmen der Berufungsverhandlung nicht mehr zwingend vorgesehen, sondern steht neu im Ermessen des Obergerichtes.
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Im einzelrichterlichen Verfahren wird mit der Anpassung von § 313 StPO die Entscheidungskompetenz über Haftfragen dem zuständigen Richter/der zuständigen Richterin des Landgerichtes zugewiesen, ohne dass hier der Präsident/die Präsidentin des Obergerichtes involviert werden muss.
Entscheidungen über den Verfall (§ 20 StGB), den erweiterten Verfall (§ 20b StGB) oder die Einziehung (§ 26 StGB) werden künftig nur noch vom Einzelrichter/der Einzelrichterin getroffen (§ 356 Abs. 2 StPO).
Die von Gerichten und der Staatsanwaltschaft mehrfach geäusserte Anregung der Schaffung einer Möglichkeit für die Einvernahme von Zeugen/Zeuginnen per Videokonferenz wird durch den neuen § 105a StPO umgesetzt.
Darüber hinaus werden mit der gegenständlichen Vorlage die Opferrechte ausgebaut. Privatbeteiligte im Strafverfahren sollen die Möglichkeit erhalten, auch im einzelrichterlichen Verfahren einen Strafantrag einzubringen (§ 312a StPO). Zudem wird mit der Abänderung von § 258 StPO bei der Geltendmachung der privatrechtlichen Ansprüche die Rechtsmittelbefugnis von Privatbeteiligten klargestellt.
Mit der Revision von § 202 Abs. 5 StPO wird die Möglichkeit zur Berichtigung des Protokolls der Schlussverhandlung vorgesehen und mit der vorgeschlagenen Einfügung des neuen Abs. 6 wird für die jahrelange Praxis, dass bei den Gerichten für die Protokollierung Tonaufnahmegeräte verwendet werden, eine rechtliche Grundlage geschaffen.
Schliesslich erfolgt eine Ausdehnung des Opferschutzes im Strafverfahren. Opfer einer Straftat, die besonders schutzbedürftig sind, können künftig gemäss § 115a Abs. 2 StPO durch eine geeignete sachverständige Person einvernommen werden. Vom Termin der Schlussverhandlung ist die Opferhilfestelle zu verständigen (§ 179 StPO). Durch die Anpassung von § 31b Abs. 3 StPO erhalten Opfer die Möglichkeit, die Einvernahme und Dolmetscherleistungen durch eine Person des gleichen Geschlechts zu verlangen. Mit der Abänderung von § 15 Abs. 2a StPO wird bei der Zusammensetzung des Gerichtes im kriminalgerichtlichen Verfahren sichergestellt, dass zumindest ein Richter oder eine Richterin dem Geschlecht des Opfers der strafbaren Handlung angehören muss.
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Zuständiges Ministerium
Ministerium für Infrastruktur und Justiz
Betroffene Stellen
Gerichte
Staatsanwaltschaft
Amt für Justiz
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Vaduz, 8. März 2022
LNR 2022-278
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Abänderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung, des Staatsanwaltschaftsgesetzes, des Rechtshilfegesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes zu unterbreiten.
Sowohl das österreichische Strafgesetzbuch (öStGB)
1 als auch die österreichische Strafprozessordnung (öStPO)
2 dienen dem liechtensteinischen Straf- und Strafverfahrensrecht als Rezeptionsvorlagen. Revisionen aus dem Rezeptionsland werden dabei nach einer Evaluation in Liechtenstein meist nachvollzogen, sofern sie auch aus liechtensteinischer Sicht zweckmässig sind. Aus der Praxis kann sich zuweilen der Bedarf für entsprechende Anpassungen ergeben, auch wenn dieser im ursprünglichen Gesetzgebungsprozess nicht zwingend gesehen worden ist. Eine -
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weitgehende Angleichung an die österreichischen Rezeptionsvorlagen erleichtert Rückgriffe auf Rechtsprechung und Literatur und hilft mitunter bestehende Lücken zu schliessen.
Mit der gegenständlichen Vorlage soll zum einen den Anregungen aus der Praxis der Gerichte und der Staatsanwaltschaft für eine Vereinfachung und allfällige Beschleunigung des Strafverfahrens sowie dem Ausbau des Opferschutzes Rechnung getragen werden. Zum anderen sollen Redaktionsversehen aus früheren Revisionen bereinigt werden, ohne am Inhalt der jeweiligen Bestimmungen wesentliche Änderungen vorzunehmen.
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1 | BGBl. Nr. 60/1974 idgF. |
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2 | BGBl. Nr. 631/1975 idgF. |
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