Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Entwürfe der Beschlüsse des gemeinsamen EWR-Ausschusses (Verordnung (EU) NR. 1093/2010 (EBA), Verordnung (EU) NR. 1095/2010 (ESMA), Verordnung (EU) NR. 1094/2010 (EIOPA), Verordnung (EU) NR. 1092/2010 (ESRB) des europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010)
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Anfang 2011 nahm das von der EU geschaffene Europäische System der Finanz-aufsicht (ESFS) seine Arbeit auf. Das ESFS wurde als dezentrales, mehrstufiges System aus mikro- und makroprudenziellen Aufsichtsbehörden eingerichtet. Die mikroprudenzielle Säule der Aufsicht auf europäischer Ebene besteht aus der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA), der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) und der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA). Die EBA, ESMA und EIOPA arbeiten als Europäische Aufsichtsbehörden (ESAs) zusammen.
Seit Dezember 2010 befinden sich die vier EU-Verordnungen zur Errichtung des ESFS im EWR-Übernahmeverfahren. Die Verhandlungen für die Übernahme der EU-Rechtsakte - besonders jene bezüglich der Aufsichtsbehörden EBA, ESMA und EIOPA - gestalteten sich angesichts der verfassungsrechtlichen Ausgangslage Norwegens und Islands schwierig.
Im EFTA-ECOFIN-Ministerrat am 14. Oktober 2014 konnte schliesslich eine politische Einigung zwischen der EU-Seite und den EWR/EFTA-Staaten Island, Liechtenstein und Norwegen erzielt werden. In den Schlussfolgerungen des Rates wurde festgehalten, dass aufgrund des im EWR-Abkommen gültigen Zwei-Pfeiler-Modells, die Kompetenz, verbindliche Massnahmen zu setzen, im EFTA-Pfeiler der EFTA-Überwachungsbehörde obliegt. Somit wurde der EFTA-Überwachungsbehörde die Kompetenz übertragen, verbindliche Massnahmen gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden der EWR/EFTA-Staaten und gegenüber Finanzintermediären, die in den EWR/EFTA-Staaten angesiedelt sind, zu erlassen. Die Kompetenz für den Erlass von Massnahmen unverbindlicher Natur, sowohl gegenüber den nationalen Finanzaufsichtsbehörden und Finanzintermediären der EU als auch gegenüber den EWR/EFTA-Staaten, verbleibt weiterhin bei den ESAs im EU-Pfeiler. Die Zuständigkeit für den Erlass von verbindlichen und unverbindlichen Massnahmen wurde somit zwischen den ESAs und der EFTA-Überwachungsbehörde - dem Aufbau des EWR-Abkommens entsprechend - aufgeteilt.
Die EFTA-Überwachungsbehörde kann aufgrund der ihr neu übertragenen Kompetenz direkt auf die nationalen Aufsichtsbehörden der EWR/EFTA-Staaten und in bestimmten Fällen, wie extremen Krisensituationen, sogar auf die Finanzinterme-
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diäre, welche in einem EWR/EFTA-Staat ihren Sitz haben, durchgreifen. Die EFTA-Überwachungsbehörde wird hier auf Grundlage von Entscheidungsentwürfen, welche die ESAs selbstständig oder auf Verlangen der EFTA-Überwachungsbehörde erstellt, tätig.
Der Rechtsweg geht im Fall der EWR/EFTA Staaten nicht an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), sondern direkt an den EFTA-Gerichtshof. Ein Beschwerdeausschuss, wie auf EU-Seite vorgesehen, wird im EFTA-Pfeiler nicht ein-gerichtet.
Die Aufsicht auf Makroebene - die Zuständigkeit für Systemrisiken im globalen Kontext - wird auf europäischer Ebene vom Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) wahrgenommen. Dieser Behörde wird von den EWR/EFTA-Staaten keine eigene Kompetenz zur Setzung von verbindlichen Massnahmen übertragen. Die norwegische und isländische Nationalbank haben Beobachterstatus im ESRB. Diese Funktion wird in Liechtenstein vom Ministerium für Präsidiales und Finanzen ausgeübt, da Liechtenstein keine eigene Nationalbank hat.
Zuständiges Ministerium
Ministerium für Präsidiales und Finanzen
Betroffene Behörden
Finanzmarktaufsicht Liechtenstein, FMA
Stabstelle EWR, SEWR
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Vaduz, 12. April 2016
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag zu den Entwürfen
des Beschlusses betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde; EBA), und zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/78/EG der Kommission (in der Fassung der Abänderung durch die Verordnung (EU) Nr. 1022/2013);
des Beschlusses betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Wertpapier und Marktaufsichtsbehörde; ESMA), zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/77/EG der Kommission;
des Beschlusses betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche
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Altersversorgung; EIOPA) und zur Änderung des Beschlusses Nr. 716/2009/EG und zur Aufhebung des Beschlusses 2009/79/EG der Kommission;
sowie des Beschlusses des Gemeinsamen EWR-Ausschusses betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1092/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Finanzaufsicht der Europäischen Union auf Makroebene und zur Errichtung eines Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB);
zu unterbereiten.
Aufgrund der sehr speziellen Situation und dem Interesse des liechtensteinischen Finanzplatzes, die betroffenen EU-Rechtsakte so schnell wie möglich in Kraft zu setzen, wird dem Hohen Landtag ausnahmsweise ein finaler Entwurf
1 eines EWR-Übernahmebeschlusses in englischer Fassung zur vorherigen Genehmigung vorgelegt. Aufgrund der grossen zeitlichen Verzögerung im EWR-Übernahmeprozess und der Notwendigkeit so schnell wie möglich den EU-Rechtsbestand ins EWR-Abkommen zu übernehmen und auch anzuwenden, ist eine Befassung des Landtags mit bestimmten EWR-Übernahmebeschlüssen vor deren Unterzeichnung im Gemeinsamen EWR-Ausschuss notwendig.
Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Hohe Landtag einerseits mit den Umsetzungsmassnahmen der vom ersten Paket umfassten EU-Rechtsakte bereits befasst wurde. Andererseits kann auf diese Weise sichergestellt werden, dass die EWR-Übernahmebeschlüsse am Tag nach deren Unterzeichnung im Gemeinsamen EWR-Ausschuss in Kraft treten könnten, sofern alle nationalen Zu--
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stimmungsverfahren zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen sind. Aktuell hat Nor-wegen angekündigt, aufgrund der nicht fertiggestellten nationalen Umsetzungsmassnahmen nach der Beschlussfassung im Gemeinsamen EWR-Ausschuss noch ein Verfahren gemäss Artikel 103 EWR-Abkommen anzumelden. Die jeweiligen Übernahmebeschlüsse können erst in Kraft treten, wenn alle drei EWR/EFTA Staaten bereit sind, d.h. in diesem Falle erst, wenn Norwegen den Abschluss dieses (grundsätzlich eine Sechs-Monats-Frist vorsehenden) Verfahrens notifiziert. Der Gemeinsame EWR-Ausschuss wird voraussichtlich Mitte 2016 beschliessen, die EBA-, ESMA-, EIOPA-, und ESRB-Verordnungen - gleichzeitig mit der Übernahme der anderen EU-Rechtsakte des ersten Pakets - in das EWR-Abkommen zu übernehmen.
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1 | Geringfügige Änderungen technischer Natur können sich allenfalls im Zuge der Verfahren auf EU-Seite ergeben. Sollten solche Änderungen vorgenommen werden, wird der Landtag bzw. die EWR-Landtagskommission entsprechend informiert werden und es kann entschieden werden, ob der Landtag erneut befasst werden muss (siehe dazu Seite 11). |
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Nach den negativen Erfahrungen der Finanzkrise im Jahr 2007 und der Eurokrise im Jahr 2009 wuchsen in der EU die Bemühungen zur stärkeren gemeinschaftlichen Regelung der europäischen Finanzmärkte. Ziel war es, die Aufsichtsregelungen zu stärken und ein effizientes, integriertes und nachhaltiges europäisches Aufsichtssystem zu entwickeln. Hierfür werden eine engere Zusammenarbeit und ein engerer Informationsaustausch zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden angestrebt und EU-weite Lösungen für grenzüberschreitende Probleme sowie die kohärente Auslegung und Anwendung von Vorschriften gefördert.
Aufgrund des EWR-Abkommens und der Homogenität des Binnenmarktes war es wichtig, dass auch die EWR/EFTA-Staaten in das Europäische System der Finanz-aufsicht (ESFS) integriert werden. Die Integration in das ESFS spielt vor allem be-
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züglich des gleichberechtigten Zugangs des liechtensteinischen Finanzplatzes zum EU-Binnenmarkt eine Rolle.
Die Frage, wie man diese EU-Verordnungen am besten in das EWR-Abkommen integriert, führte zu lange andauernden Diskussionen. Vor allem Norwegen und Island hatten Schwierigkeiten, eine geeignete Lösung zu finden, da viele angedachte Modelle ihren verfassungsrechtlichen Rahmen gesprengt hätten. Beide Staaten mussten gravierende verfassungsrechtliche Fragen lösen, da eine Kompetenzverschiebung von nationalen Aufsichtsbehörden zu den ESAs für sie verfassungsrechtlich nicht möglich war. Erst nach jahrelangen Verhandlungen konnte auf politischer Ebene im Rahmen des EFTA-ECOFIN-Ministerrats vom Oktober 2014 eine für die EU-Seite und die EWR/EFTA-Staaten akzeptable Lösung gefunden werden. Diese Lösung steht mit der Zwei-Pfeiler-Struktur des EWR-Abkommens in Einklang und ist somit auch für Norwegen und Island verfassungsrechtlich vertretbar.
Auch in Liechtenstein wurden verfassungsrechtliche Fragen abgeklärt. Die liechtensteinische Verfassung erlaubt allerdings die Übertragung von Entscheidungs-kompetenzen an fremde Entscheidungsgremien, wenn der Landtag dazu seine vorherige Zustimmung erteilt.
Aufgrund der sehr speziellen Situation und dem Interesse des liechtensteinischen Finanzplatzes, die betroffenen EU-Rechtsakte so schnell wie möglich in Kraft zu setzen, wird dem Hohen Landtag ausnahmsweise ein finaler Entwurf eines EWR-Übernahmebeschlusses in englischer Fassung zur vorherigen Genehmigung vorgelegt. Aufgrund der grossen zeitlichen Verzögerung im EWR-Übernahmeprozess und der Notwendigkeit so schnell wie möglich den EU-Rechtsbestand ins EWR-Abkommen zu übernehmen und auch anzuwenden, ist eine Befassung des Landtags mit bestimmten EWR-Übernahmebeschlüssen vor deren Unterzeichnung im Gemeinsamen EWR-Ausschuss notwendig. Dies insbesondere vor dem Hinter-
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grund, dass der Hohe Landtag einerseits mit den Umsetzungsmassnahmen der vom ersten Paket umfassten EU-Rechtsakte bereits befasst wurde. Andererseits kann auf diese Weise sichergestellt werden, dass die EWR-Übernahmebeschlüsse am Tag nach deren Unterzeichnung im Gemeinsamen EWR-Ausschuss in Kraft treten könnten, sofern alle nationalen Zustimmungsverfahren zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen sind. Aktuell hat Norwegen angekündigt, aufgrund der nicht fertiggestellten nationalen Umsetzungsmassnahmen nach der Beschlussfassung im Gemeinsamen EWR-Ausschuss noch ein Verfahren gemäss Artikel 103 EWR-Abkommen anzumelden. Die jeweiligen Übernahmebeschlüsse können erst in Kraft treten, wenn alle drei EWR/EFTA Staaten bereit sind, d.h. in diesem Falle erst, wenn Norwegen den Abschluss dieses (grundsätzlich eine Sechs-Monats-Frist vorsehenden) Verfahrens notifiziert. Der Gemeinsame EWR-Ausschuss wird voraussichtlich Mitte 2016 beschliessen, die EBA-, ESMA-, EIOPA-, und ESRB-Verordnungen - gleichzeitig mit der Übernahme der anderen EU-Rechtsakte des ersten Pakets - in das EWR-Abkommen zu übernehmen.