Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Reform des Zustellrechts (Schaffung eines Gesetzes über die Zustellung behördlicher Dokumente [Zustellgesetz; ZustG], Abänderung zustellrechtlicher Bestimmungen in anderen Gesetzen)
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Das Zustellrecht, verstanden als Summe aller Normen, die die förmliche Übermittlung behördlicher Dokumente an einen Empfänger regelt, ist von herausragender verfahrensrechtlicher Bedeutung und stellt gleichsam eine Säule des Rechtstaats dar.
1Erst durch ein funktionierendes Zustellwesen werden die effiziente Abwicklung von Verfahren sowie die effektive Teilnahme daran möglich. Die wirksame Zustellung ist eine Grundvoraussetzung für das Funktionieren rechtstaatlicher Verfahren; ohne sie steht der Rechtstaat still.
Gleichzeitig wird das Zustellrecht wie kaum ein anderer Bereich des Verfahrensrechts vom Fortschritt der Informationstechnologie herausgefordert. Zudem stehen heute eine Vielzahl neuer technischer Möglichkeiten zur Verfügung, die es im Interesse einer effizienten und anwenderfreundlichen Rechtspflege zu nutzen gilt.
Das geltende Zustellrecht Liechtensteins ist veraltet und stark zersplittert
2; darüber hinaus weist es verschiedene Lücken auf, weshalb in der Praxis teilweise erhebliche Rechtschutzdefizite festgestellt werden müssen. Die Reformbedürftigkeit des geltenden Zustellrechts steht daher ausser Zweifel, weshalb die Reform des Zustellrechts auch vom sämtlichen Vernehmlassungsteilnehmern begrüsst wurde.
Mit dem gegenständlichen Bericht und Antrag soll das geltende Zustellrecht einer umfassenden Reform mit dem Ziel der Modernisierung, Harmonisierung und Systematisierung des Zustellwesens zugeführt und damit die Qualität und Effizienz des Rechtschutzes nachhaltig verbessert werden.
Herzstück des neuen Zustellrechts bildet eine eigenständige Kodifikation, ein eigenes Zustellgesetz, das behörden- und verfahrensübergreifend gilt und mit einfachen, klaren und praxiserprobten Vorschriften mehr Rechtssicherheit garantieren und einen Fortschritt im Interesse aller Behörden und Bürger bringen soll.
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Gleichzeitig soll mit der gegenständlichen Zustellrechtsreform eine grundlegende Weichenstellung im Hinblick auf die mittelfristige Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs (auch E-Government) in Liechtenstein vorgenommen werden.
Zuständiges Ressort
Ressort Justiz
Betroffene Stellen
- Staatsgerichtshof
- Verwaltungsgerichtshof
- Fürstlicher Oberster Gerichtshof
- Fürstliches Obergericht
- Fürstliches Landgericht
- Staatsanwaltschaft
- Stabstellen, Kommissionen und Beiräte der Regierung
- Ämter und Dienststellen der Landesverwaltung
- Liechtensteinische Rechtsanwaltskammer
- Liechtensteinische Post AG
- Gemeindeverwaltungen
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Vaduz, 22. April 2008
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag den nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Reform des Zustellrechts (Schaffung eines Gesetzes über die Zustellung behördlicher Dokumente (Zustellgesetz; ZustG), Abänderung zustellrechtlicher Bestimmungen in anderen Gesetzen) zu unterbreiten.
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1 | I.d.S. auch Stumvoll in Fasching/Konecny (Hrsg.), Zivilprozessgesetze2, II/2, Vor ZustG Rz 7 m.w.N.. |
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2 | Die wesentlichsten Bestimmungen befinden sich in der Zivilprozessordnung und stammen aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts. |
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Zustellung im prozessualen Sinne ist der an eine gesetzliche Form geknüpfte beurkundete Vorgang, durch den dem als Empfänger des Dokumentes Bezeichneten (Adressaten) Gelegenheit geboten wird, von einem im Auftrag einer Behörde an ihn gerichteten Dokument Kenntnis zu nehmen.
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Die ordnungsgemässe Zustellung ist somit von herausragender verfahrensrechtlicher Bedeutung, weil von ihr der Eintritt der an den Zugang eines behördlichen Dokumentes geknüpften Rechtsfolgen, insbesondere der Fristenlauf, abhängt. Darüber hinaus hängt die Wahrung der verfahrensrechtlichen Prinzipien des rechtlichen Gehörs sowie des fairen Verfahrens unmittelbar von einem funktionierenden Zustellwesen ab. Ebenso verhält es sich mit der Rechtfertigung der im Prozessrecht vielfach vorgesehenen Säumnisfolgen, die von erheblicher Tragweite sein können.
Das Zustellwesen ist daher nicht blosses Beiwerk, sondern gleichsam Rückgrat des Verfahrensrechts und bedarf daher einer Ausgestaltung und Vollziehung, die seiner Bedeutung gerecht werden.
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3 | Statt vieler: Fasching, Lehrbuch2 Rz 522; Stumvoll in Fasching/Konecny (Hrsg.), Zivilprozessgesetze2, II/2, § 1 ZustG Rz 10 m.w.N.. |
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