Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Abänderung des Gerichtsorganisationsgesetzes und des Besoldungsgesetzes
(Umstrukturierung beim Kriminal- und beim Obergericht)
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Die Regierung plant verschiedene Reorganisationsprojekte im Bereich der Justizverwaltung durchzuführen. Eines dieser Projekte betrifft die Vornahme einer Umstrukturierung beim Kriminal- und beim Obergericht, welche Gegenstand dieses Bericht und Antrags der Regierung ist.
Nach geltender Rechtslage setzen sich die drei Senate des Obergerichtes aus insgesamt dreissig Richtern zusammen. Geschäftsfälle werden dagegen lediglich von elf Richtern des Obergerichtes erledigt, wovon drei die vollamtlichen Senatsvorsitzenden sind. In Bezug auf die nebenamtlich tätigen Oberrichter ist daher eine Verschlankung der Organisationsstruktur des Obergerichtes angezeigt. Gleichzeitig soll aber auch die Möglichkeit zur Beschäftigung von vollamtlichen Beisitzern geschaffen werden, was der Einheitlichkeit der Rechtsprechung des Obergerichtes sowie der Stärkung des Vier-Augen-Prinzips bei der Entscheidungsfindung bzw. der Erhöhung der vollständigen Aktenkenntnis in den Senaten des Obergerichtes dienen soll. Die Regierung plant dazu, dem Landtag die Einführung von zusätzlichen zweihundert Stellenprozenten für das Obergericht vorzuschlagen.
Im Rahmen dieses Gesetzesprojekts soll auch die Organisationsstruktur des Kriminalgerichtes den bestehenden Erfordernissen angepasst werden, indem die Anzahl stellvertretender Kriminalrichter von sechs auf drei reduziert wird. Ausserdem soll eine Reihenfolge in Bezug auf den Einsatz der Stellvertreter des Vorsitzenden des Kriminalgerichtes gesetzlich festgelegt werden. Der nebenamtliche Richter als weiterer, zweiter Stellvertreter des Vorsitzenden soll damit nurmehr im Falle einer Befangenheit, Ausgeschlossenheit, Abwesenheit oder sonstigen Verhinderung (etwa wegen Überlastung infolge Erledigung anderer Geschäfte) des zum ersten Stellvertreter des Vorsitzenden bestellten Landrichter eingesetzt werden.
Zu diesen Zwecken sind das Gerichtsorganisationsgesetz und das Besoldungsgesetz entsprechend anzupassen.
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Zuständiges Ministerium
Ministerium für Inneres, Justiz und Wirtschaft
Betroffene Stellen
Amt für Personal und Organisation
Landgericht
Obergericht
Stabsstelle Finanzen
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Vaduz, 15. April 2014
LNR 2014/496
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Abänderung des Gerichtsorganisationsgesetzes und des Besoldungsgesetzes an den Landtag zu unterbreiten.
Im Rahmen eines umfassenden Justizreformpakets plant die Regierung verschiedene Reorganisationsprojekte im Bereich der Justizverwaltung durchzuführen. Die Reformen bezwecken vor allem, neben einer Steigerung der Qualität der Rechtsprechung, die bestehenden Strukturen schrittweise zu verbessern. Damit ist die geplante Gerichtsreform ein wichtiges Mittel, um die Rechtssicherheit des Einzelnen sowie die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Liechtenstein zu erhöhen. Gleichzeitig soll ein zielgerichteterer und effizienterer Einsatz der Aufwendungen für das Justizwesen stattfinden.
Wie aus dem Regierungsprogramm der Legislaturperiode 2013 bis 2017 hervorgeht, ist ein effizientes, gut funktionierendes und qualitativ hochstehendes Gerichtswesen eine Grundvoraussetzung der Rechtsstaatlichkeit und Teil der wirt-
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schaftlichen Standortvorteile. Eine Stärkung des Gerichtswesens und der Justizverwaltung dient sowohl den Rechtssuchenden als auch der international ausgerichteten Wirtschaft.
Im Rahmen dieses Justizreformpakets ist die Realisierung diverser Einzelprojekte geplant wie beispielsweise:
Neuregelung der Entschädigung der nebenamtlichen Richter und der Ad-hoc-Richter;
Straffung des Strafverfahrens durch Verkürzung des Rechtszuges auf zwei Instanzen;
Abänderung des Gerichtsgebührengesetzes;
Überprüfung des Mitteleinsatzes für den Rechtsschutz (Reform der Verfahrenshilfe).
Der Vornahme einer Umstrukturierung beim Kriminal- und beim Obergericht, welche Gegenstand dieses Bericht und Antrags der Regierung ist, liegt die nachstehend angeführte Rechts- und Sachlage zugrunde:
Im Jahr 2008 wurde eine Totalrevision des Gerichtsorganisationsgesetzes (GOG)
1 vorgenommen, da dieses nicht mehr den Anforderungen an eine moderne Gerichtsorganisation entsprochen hat. Dabei wurde eine rechtliche Grundlage für die bestehende Struktur des Obergerichtes mit drei Senaten geschaffen. Hinsichtlich der Zusammensetzung der Senate wurde gegenüber dem damaligen Ist-Zustand allerdings keine Änderung vorgesehen. Dasselbe gilt für die Organisationsstruktur des Kriminalgerichtes.
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Nach geltender Rechtslage bestehen die drei Senate des Obergerichtes je aus einem Senatsvorsitzenden, einem Stellvertreter des Vorsitzenden sowie vier Oberrichtern und deren Stellvertretern.
3 Insgesamt setzt sich das Obergericht damit aus dreissig Richtern zusammen.
Entscheidungen treffen die Senate des Obergerichtes jeweils in Fünferbesetzung bestehend aus einem Senatsvorsitzenden und vier Oberrichtern.
4 Verglichen mit Österreich, wo die zweitinstanzlich tätigen Oberlandesgerichte in der Regel
5 in Dreiersenaten entscheiden, sind die Spruchkörper des Obergerichtes damit aus personeller Sicht als zu gross zu qualifizieren.
6 Geschäftsfälle werden überdies lediglich von einem beschränkten Kreis - und zwar von insgesamt elf Richtern des Obergerichtes, von denen drei die vollamtlichen Senatsvorsitzenden sind - erledigt.
7 Die Besetzung der Senate des Obergerichtes bei einem Übergewicht auf der Seite der Laienrichter hat sich daher in der Praxis als organisatorisch schwerfällig und administrativ aufwändig erwiesen.
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Dem Bedürfnis nach einer rechtlichen Diskussion über den Entscheidungsstoff kann aufgrund der hohen Arbeitsbelastung der Senatsvorsitzenden
8 sowie der Nebenamtlichkeit der rechtskundigen Oberrichter und deren Stellvertretern nicht entsprochen werden. Dieser Umstand kann Uneinheitlichkeit im Rahmen der Rechtsprechung des Obergerichtes bewirken.
Das Kriminalgericht besteht aus einem Landrichter als Vorsitzenden, einem Landrichter und einem nebenamtlichen Richter als Stellvertreter des Vorsitzenden, einem Landrichter als Beisitzer sowie aus drei Kriminalrichtern und je zwei Stellvertretern für jeden Kriminalrichter.
9 Die Doppelvertretungen der Kriminalrichter und des Vorsitzenden des Kriminalgerichtes bilden eine Ausnahme von den bei den übrigen liechtensteinischen Kollegialgerichten bestehenden Organisationsstrukturen.
Während die Institution des nebenamtlichen Stellvertreters des Vorsitzenden des Kriminalgerichtes insbesondere für die Erledigung von Grossverfahren mit überdurchschnittlichem ausserordentlichen Arbeitsaufwand innert angemessener Frist sinnvoll erscheint, kommt die Hälfte der stellvertretenden Kriminalrichter in der Praxis kaum zum Zug.
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1 | LGBl. 2007 Nr. 348. |
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2 | BuA 2007 Nr. 53, S. 7, 22 und 27. |
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3 | Art. 19 Abs. 2 GOG. |
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4 | Art. 19 Abs. 3 GOG. |
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5 | Lediglich in Arbeits- und Sozialrechtssachen entscheiden die österreichischen Oberlandesgerichte in Fünferbesetzung (§ 11 Abs. 1 österreichisches Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz (ASGG); BGBl. Nr. 104/1985). |
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6 | Ein Vergleich zur Schweiz ist deshalb schwierig, da unterschiedliche kantonale Regelungen betreffend die Besetzung der zweitinstanzlichen Gerichte bestehen. Im Kanton Obwalden, der von der Einwohneranzahl her durchaus mit Liechtenstein vergleichbar ist, wurde beispielsweise aus Effizienzgründen eine grundsätzliche Dreierbesetzung des kantonalen Obergerichtes per 1. Januar 2011 vorgesehen (Art. 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Gerichtsorganisation des Kantons Obwalden; OGS 1997, 30). |
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7 | Neben den vollamtlichen Senatsvorsitzenden und deren Stellvertretern erledigten beim Obergericht im Jahr 2013 insgesamt fünf Oberrichter Geschäftsfälle. Im Jahr 2012 haben neben den vollamtlichen Senatsvorsitzenden und deren Stellvertretern insgesamt drei Oberrichter und eine stellvertretende Oberrichterin - somit gesamthaft zehn Richter - beim Obergericht Geschäftsfälle erledigt. Die Erledigung eines Geschäftsfalles umfasst beim Obergericht das Aktenstudium, die Referatsführung sowie die Ausfertigung der Entscheidung (Protokoll der Landtagssitzung vom 18. April 2002, S. 379 ff. und BuA 2002 Nr. 17, S. 9). |
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8 | Im Jahr 2012 sind beim Obergericht insgesamt 657 neue Geschäftsfälle angefallen. Die Senatsvorsitzenden haben von insgesamt 638 erledigten Geschäftsfällen, 406 (64 %) selbst einer Erledigung zugeführt (siehe Näheres hierzu im Rechenschaftsbericht des Landtags, der Regierung und der Gerichte 2012, S. 349 ff.). Im Jahr 2013 betrug der Neuanfall beim Obergericht insgesamt 737 Geschäftsfälle. Die Senatsvorsitzenden haben von insgesamt 722 erledigten Geschäftsfällen, 478 (66 %) selbst einer Erledigung zugeführt. |
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9 | Art. 7 Abs. 1 GOG. |
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10 | Während zwei der stellvertretenden Kriminalrichter im Jahr 2012 je ein ganztägiges Sitzungsgeld bezogen haben, wurde ein stellvertretender Kriminalrichter mit zwei halbtägigen Sitzungsgeldern entschädigt. Im Jahr 2013 haben ein stellvertretender Kriminalrichter ein ganztägiges, ein stellvertretender Kriminalrichter zwei halbtägige und ein stellvertretender Kriminalrichter gar kein Sitzungsgeld bezogen. |
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