Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Reform des Verfahrenshilferechts
(Teil 2: Verfahrensrechtliche Anpassungen)
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In den letzten Jahren haben sich die Kosten der Verfahrenshilfe wesentlich erhöht, was u.a. auf einen starken Anstieg von Verfahrenshilfefällen zurückzuführen ist. Darüber hinaus hat der Staatsgerichtshof entschieden, dass es gegen die Verfassung und Europäische Menschenrechtskonvention verstösst, wenn juristische Personen in Liechtenstein ganz generell und ausnahmslos von der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Verfahrenshilfe ausgeschlossen werden. Dies bedingte ein Tätigwerden des Gesetzgebers.
Grundsätzlich ist an dem Rechtsinstitut der Verfahrenshilfe festzuhalten, da dies einem modernen und sozialen Staat, der die finanziell schwächer gestellten Personen in ihrer Rechtsverfolgung entsprechend unterstützen soll, entspricht.
In einem ersten Schritt wurden mit Bericht und Antrag Nr. 112/2015 mit Anpassungen des Anwaltstarifs eine Kostensenkung und die Einführung der Verfahrenshilfe für juristische Personen auf den Weg gebracht. Der Landtag hat diese Vorlage in seiner Arbeitssitzung von November 2015 abschliessend beraten und verabschiedet. Die Anpassungen traten auf den 1. Januar 2016 in Kraft.
Mit dem gegenständlichen Bericht und Antrag werden in einem zweiten Schritt nunmehr verfahrensrechtliche Ergänzungen vorgelegt, welche das mit Bericht und Antrag Nr. 112/2015 begonnene Reformwerk abschliessen. Die vorgesehenen Systemanpassungen und verfahrensrechtlichen Ergänzungen umfassen unter anderem folgende Punkte:
Künftig soll die Beigebung eines Verfahrenshelfers zur Vertretung vor Gericht nur noch bei schwieriger Sach- und Rechtslage möglich sein.
Weiterhin wird die Möglichkeit eingeführt, dass mit der Gewährung der Verfahrenshilfe gleichzeitig auch eine Verpflichtung zu einer Ratenzahlung während der aufrechten Verfahrenshilfe ausgesprochen werden kann. Damit wird die betreffende Person ihren finanziellen Möglichkeiten entsprechend in die Pflicht genommen und ihr auch gleichzeitig die Kostenfolgen eines Verfahrens - auch bei gewährter Verfahrenshilfe - im Bewusstsein gehalten.
Sodann ist ein Verfahrenshilfeantrag in Zukunft in Verbindung mit einem verfahrenseinleitenden Schriftsatz beim Prozessgericht erster Instanz zu stellen oder zu
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Protokoll zu nehmen. Damit wird die Beurteilung der Verfahrenshilfevoraussetzungen erleichtert. Gleichzeitig sind dadurch die Rechtsanwälte in der Pflicht, ihre Mandanten vor Antragstellung entsprechend genau und umfassend aufzuklären. Im Ergebnis wird es damit noch besser möglich sein, aussichtslose oder gar mutwillige Verfahren zu erkennen und somit die Anzahl an Verfahrenshilfefällen zu reduzieren.
Weiterhin wird die Verjährungsfrist für die Nachzahlungsansprüche an geleisteter Verfahrenshilfe von drei Jahren auf zehn Jahre verlängert. Kommt die Verfahrenshilfe geniessende Partei innerhalb dieses Zeitraums wieder zu Vermögen, so kann das Land die gewährte Verfahrenshilfe soweit wieder einbringen, als es die finanziellen Möglichkeiten der betreffenden Person zulassen.
Auch wird der Ablauf der Rückforderung (Nachzahlungsverfahren) der geleisteten Beträge neu geregelt. Dies mit dem Ziel, eine für die nachzahlungspflichtige Person möglichst tragbare und für den Staat möglichst effiziente Lösung zu schaffen.
Es wird zwischen den Verfahrenshilfebestimmungen der Zivilprozessordnung und der Strafprozessordnung ein weitgehender Gleichlauf hergestellt.
Schliesslich findet bezüglich der Zuständigkeiten ein Systemwechsel statt. Die bisher bei der Rechtsanwaltskammer gelegenen Zuständigkeiten in Zivil- und Strafsachen werden neu durch das Prozessgericht erster Instanz wahrgenommen.
Zuständiges Ministerium
Ministerium für Inneres, Justiz und Wirtschaft
Betroffene Stellen
Landgericht
Obergericht
Oberster Gerichtshof
Verwaltungsgerichtshof
Staatsgerichtshof
Staatsanwaltschaft
Landeskasse
Liechtensteinische Rechtsanwaltskammer
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Vaduz, 10. Mai 2016
LNR 2016-586
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Reform des Verfahrenshilferechts (Teil 2: Verfahrensrechtliche Anpassungen) zu unterbreiten.
Das Rechtsinstitut der Verfahrenshilfe selbst ist nach wie vor unbestritten und die Abschaffung derselben steht - auch nach der durchgeführten Vernehmlassung - nicht zur Diskussion. Dies hat auch die Landtagsdebatte vom November 2015 zu Bericht und Antrag Nr. 112/2015 gezeigt. Doch soll mit den vorgeschlagenen Neuerungen die Verfahrenshilfe geniessende Partei mehr in die Pflicht genommen werden, die Effektivität der Verfahren in diesem Bereich erhöht und die Kosten des Landes Liechtenstein damit zumindest eingedämmt werden.
Die hier vorgeschlagenen Neuerungen ergänzen die bereits mit Bericht und Antrag der Regierung Nr. 112/2015 vom Landtag im November 2015 behandelten und verabschiedeten und am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Anpassungen
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betreffend die Verfahrenshilfe für juristische Personen und den angepassten Tarif in Verfahrenshilfesachen. Für weitere grundlegende Ausführungen zur Verfahrenshilfe selbst wird auf diesen Bericht und Antrag verweisen (Seite 7 ff.)
1.
Der Bericht und Antrag der Regierung Nr. 112/2015 wurde im Landtag begrüsst. Das Eintreten war unbestritten. Zusammengefasst wurde darüber debattiert, dass die Reduktion der Kosten im Bereich der Verfahrenshilfe dringend weiterzuverfolgen sei. Allerdings solle wirklich mittellosen rechtsuchenden Personen die nötige Unterstützung weiterhin zu Teil werden. Die vorgeschlagene Reduktion des Tarifs wurde als vertretbar angesehen. Die Überarbeitung der Bestimmungen über die Nachzahlung wurde für die weitere Revision gefordert. Insgesamt kann festgehalten werden, dass die Debatte einen klaren Willen zur weiteren Revision zum Ausdruck brachte. Sämtliche Abstimmungen zur Vorlage (Eintreten, Schlussabstimmungen zu den Gesetzen und Antrag auf abschliessende Lesung) erfolgten einstimmig mit 22 Stimmen von 22 anwesenden Abgeordneten.
Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass die mit dieser Vorlage schwerpunktmässig angepassten Gesetze - insbesondere die Zivilprozessordnung (ZPO)
2 und die Strafprozessordnung (StPO)
3 - aus Österreich rezipiert sind. In Österreich sind aktuell aber keine analogen Reformschritte in Arbeit. Die gegenständliche Reform stellt daher keine Rezeption, sondern eine Liechtenstein-spezifische Lösung dar, welche aber auf der ursprünglichen Rezeptionsgrundlage basiert und an jener -soweit möglich - weiter festhält. Da die Konzeption der Verfahrenshilfe im Rezeptionsland Österreich nicht 1:1 mit der Ausgestaltung der Verfahrenshilfe in -
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Liechtenstein vergleichbar ist, ist eine Orientierung an jener Vorlage nur sehr beschränkt möglich.
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1 | Abrufbar unter www.bua.llv.li . |
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2 | Gesetz vom 10. Dezember 1912 über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung), LGBl. 1912 Nr. 9/1. |
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3 | Strafprozessordnung (StPO) vom 18. Oktober 1988, LGBl. 1988 Nr. 62. |
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