Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
1996 / 72
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Ein­lei­tung
1.Aus­gangs­lage
1.1Zugrun­de­lie­gendes EWR-Recht und Not­wen­dig­keit eines Mitwirkungsgesetzes
1.2Begriffs­er­klä­rung "Mitwirkung"
1.3Schwei­ze­ri­sches Mit­wir­kungs­ge­setz als Vorbild
2.Cha­rak­te­ri­sie­rung der Regierungsvorlage
3.Ver­nehm­las­sungs­er­gebnis
4.Finan­zi­elle und per­so­nelle Auswirkungen
5.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit
6.Antrag
7.Erläu­te­rungen zur Regierungsvorlage
Art. 1 (Zweck)
Art. 2 (Geltungsbereich)
Art. 3 (Anspruch auf Vertretung)
Art. 4 (Bestellung)
Art. 5 (Grösse)
Art. 6 (Grundsatz)
Art. 7 (Beson­dere Mitwirkungsrechte)
Art. 8 (Grund­satz der Zusammenarbeit)
Art. 9 (Schutz der Arbeitnehmervertretung)
Art. 10 (Verschwiegenheitspflicht)
Art. 11 (Verfahren)
8.Regie­rungs­vor­lage
Grüner Teil
 
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
für ein Gesetz über die Information und Mitwirkung der Arbeitnehmer in den Betrieben (Mitwirkungsgesetz)
 
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Vaduz, 28. Mai 1996
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1.1Zugrundeliegendes EWR-Recht und Notwendigkeit eines Mitwirkungsgesetzes
Verschiedene EWR-Richtlinien (vgl. unten) beinhalten Mitwirkungsregelungen, welche die Schaffung eines speziellen Mitwirkungsgesetzes (MWG) notwendig machen. Die angesprochenen Regeln betreffen Konsultations- und Informationsrechte der Arbeitnehmer. Das EWR-Abkommen selbst beinhaltet keine generellen und direkten Vorschriften die Mitbestimmung betreffend.
Das EWR-Recht verpflichtet zwar nicht ausdrücklich zur Schaffung eines Mitwirkungsgesetzes. Ein solches ist jedoch erforderlich, soweit es den notwendigen Rahmen für die Umsetzung bestimmter materiellrechtlicher EWR-Vorschriften bietet.
Die massgeblichen Richtlinienbestimmungen, die im dem Landtag gleichzeitig vorgelegten Bericht und Antrag betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz) sowie im Bericht und Antrag zu einem Gesetz über die Abänderung des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (Arbeitsvertragsrecht) als Beilagen enthalten sind, sind die folgenden1:
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(i)
Art. 2 der Richtlinie 75/129/EWG des Rates vom 17. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften über Massenentlassungen (Massenentlassungsrichtlinie);
(ii)
Art. 6 Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (Betriebsübergangsrichtlinie);
(iii)
Art. 6 Abs. 3 Bst. c), Art. 10 Abs. 1 und Art. 11 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Massnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (Gesundheitsschutzrichtlinie);
(iv)
Art. 1 der Richtlinie 92/56/EWG des Rates vom 24. Juni 1992 zur Änderung der Richtlinie 75/129/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen (Änderung der Massenentlassungsrichtlinie).
Zu erwähnen ist ferner die Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen (Betriebsräte-Richtlinie), welche dem Hohen Landtag mit Bericht und Antrag Nr. 62/1995 betreffend die Genehmigung des Beschlusses Nr. 55/95 des Gemeinsamen EWR-
 
(i)
 
Massenentlassungen
 
(ii)
 
Wahrung der Arbeitnehmerrechte bei Betriebsübergängen;
 
(iii)
 
Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer oder deren Vertretung in Fragen des Gesundheitsschutzes, der Organisation der Arbeitszeit und der Nachtarbeit.
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Ausschusses vorgestellt wurde.2 Zur Umsetzung dieser Richtlinie ist ein separates Gesetz vorgesehen.
Ein erst kürzlich ergangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofes zu den Mitwirkungsrechten der Arbeitnehmervertretungen bei Betriebsübergängen3 vermag zu illustrieren, was unter einer sich indirekt ergebenden Umsetzungverpflichtung zu verstehen ist (Beilage 2). In Absatz 28 hält der Gerichtshof folgendes fest:
"Die Richtlinie nimmt zwar nur eine teilweise Harmonisierung der Vorschriften über den Schutz der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Arbeitgebers vor (...). Sie sollte also die nationalen Systeme der Arbeitnehmervertretungen in einem Betrieb nicht vollständig harmonisieren. Die Begrenztheit der Harmonisierung kann den Bestimmungen der Richtlinie, insbesondere ihrem Artikel 6, jedoch nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen. Insbesondere kann sie die Mitgliedstaaten nicht von der Verpflichtung befreien, die Massnahmen zu treffen, die für die Bestellung von Arbeitnehmervertretern im Hinblick auf die Information und Konsultation gemäss Artikel 6 der Richtlinie zweckmässig ist."
Anders ausgedrückt ist eine Richtlinie nicht nur allein nach ihrem Wortlaut umzusetzen. Es sind unter Umständen zusätzliche Massnahmen zu treffen, damit die Richtlinie die ihr zugedachte Wirkung entfalten kann. Eine ordnungsgemässe Umsetzung der Richtlinie besteht mitunter auch in der Einführung spezieller Bestim-
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mungen, die den effet utile, d.h. die praktische Wirksamkeit erst ermöglichen. So kann z.B. die Schaffung bislang nicht existierender Verfahren, entsprechender Verfahrensrechte, Behördenfunktionen und weiterer Gesetzesanpassungen notwendig sein.
Es geht also darum, in Liechtenstein die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen, damit die richtlinienbedingten Mitwirkungsrechte überhaupt wahrgenommen werden können. Die Richtlinien selbst nennen zwar nur die konkreten Mitwirkungsrechte, sie setzen aber gleichzeitig das Bestehen entsprechender institutioneller Rahmenbedingungen voraus.
Ganz im Geiste des Subsidiaritätsprinzips, welches auch und gerade in den arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen des EU-Vertrages zum Ausdruck kommt (vgl. insbes. Art. 118 ff.), liegt die Akzeptanz der nationalen Mitwirkungsstrukturen, indem grundsätzlich das in den einzelnen Ländern individuell Gewachsene respektiert wird.
In einer ersten Zusammenfassung kann festgehalten werden, dass im EWR kein harmonisiertes Mitwirkungsmodell vorgeschrieben wird, sondern dass davon ausgegangen wird, dass ein Modell, welches dem EWR-Recht zur Geltung verhilft, bereits existiert und als solches auch akzeptiert wird. Ist dies wie in Liechtenstein nicht der Fall, so müssen Mitwirkungsstrukturen (im Unterschied zu den materiellen Vorschriften zur Mitwirkung) geschaffen werden, die den gestellten Anforderungen gerecht werden.
Im übrigen ist die Notwendigkeit eines Gesetzes über die Mitwirkung im Betrieb von der Regierung schon früher festgestellt worden. In ihrem Bericht und Antrag vom 15. Juni 1992 betreffend das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, Nr. 46/1992, S. 150, hat sie darauf hingewiesen, dass bestehende Lücken
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geschlossen werden müssen, "um ... die minimalen Rahmenbedingungen und institutionellen Voraussetzungen für den innerbetrieblichen Dialog zu regeln".



 
1Die genannten Berichte und Anträge bezwecken die Einführung der materiellen Konsultations- und Informationsrechte der Arbeitnehmerschaft. Sie beschreiben konkret die Fälle der betrieblichen Mitwirkung und regeln u.a. die Sachbereiche der
 
2In seiner Sitzung vom 31. Oktober hat der Landtag dem Beschluss Nr. 55/95 des Gemeinsamen EWR-Ausschusses die Zustimmung erteilt. Zum Inhalt der Richtlinie, welche für eine eng begrenzte Kategorie von Unternehmen - derzeit sind nur zwei liechtensteinische Unternehmen betroffen - einen "Meinungsaustausch und die Einrichtung des Dialogs zwischen den Arbeitnehmervertretern und der zentralen Leitung" vorsieht, vgl. Bericht und Antrag vom 30. August 1995, Nr. 62/1995.
 
3RS C-382/92, Kommission/Grossbritannien, Urteil v. 8. Juni 1994, Slg. I- 2461. Vgl. das in demselben Kontext ergangene Urteil zur Massenentlassungsrichtlinie RS C-383/92, Kommission/Grossbritannien, Urteil v. 8. Juni 1994, Slg. I-2483.
 
LR-Systematik
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LGBl-Nummern
1997 / 211
Landtagssitzungen
23. Oktober 1997
16. April 1997
16. April 1997