Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2008 / 72
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Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Aus­gangs­lage
2.Schwer­punkte der Vorlage
3.Rechts­ver­gleich
4.Betei­li­gung am neuen Kinder- und Jugendgesetz
5.Ver­nehm­las­sung
6.Abän­de­rungen der Geset­zes­vor­lage zum Kinder- und Jugend­ge­setz seit der Land­tags­sit­zung vom 27. April 2007
7.Finan­zi­elle und per­so­nelle Auswirkungen
8.Erläu­te­rungen unter Berück­sich­ti­gung der Vernehmlassung
II.Antrag der Regierung
III.Regie­rungs­vor­lagen
1.Kinder- und Jugend­ge­setz (KJG)
2.Gesetz über die Abän­de­rung des Strafgesetzbuches
 
Bericht und Antrag   der Regierung   an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein   betreffend
die Gesamtrevision des Jugendgesetzes   vom 19. Dezember 1979   (JuG, LGBl. 1980 Nr. 38)   neu:   Kinder- und Jugendgesetz (KJG)   sowie die Abänderung des Strafgesetzbuches
 
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Das Erfordernis zur Gesamtrevision ergab sich aus dem gesellschaftlich-soziologischen Wandel seit Inkrafttreten des geltenden Jugendgesetzes im Jahr 1980 sowie den gesetzesimmanenten Unstimmigkeiten. Weiters musste der wesentlich veränderten psychosozialen Versorgungslandschaft, den veränderten Bedürfnissen und den heutigen Problemen Rechnung getragen werden. Ethische Vorstellungen, Vorstellungen über Erziehung, Kinderrechte, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sowie den Jugendschutz haben sich geändert. Auch aus internationalen Entwicklungen in der Kinder- und Jugendpolitik ergeben sich neue Massstäbe für ein modernes Kinder- und Jugendgesetz. Die Organisationen mussten den neuen Gegebenheiten angepasst werden.
Ein Spezifikum dieser Reform besteht darin, dass der Partizipation von Anfang an breiter Raum gegeben wurde. Jungen Menschen, Erwachsenen mit Erziehungsaufträgen und Verantwortung für Minderjährige sowie Fachleuten im Kinder- und Jugendbereich wurde vielfältig die Möglichkeit geboten, sich mit ihren Vorstellungen und Wünschen in den Gesetzwerdungsprozess einzubringen. Die Ergebnisse der Vernehmlassung waren insgesamt positiv; viele Anregungen und Vorschläge wurden in die Gesetzesvorlage eingearbeitet.
Die drei Hauptstücke des Jugendgesetzes wurden beibehalten und durch zwei neue Kapitel ergänzt. Den Kern des neuen Gesetzes bilden nunmehr die Kapitel Kinder- und Jugendhilfe, Kinder- und Jugendschutz, Kinder- und Jugendförderung, Interessensvertretungen für Kinder und Jugendliche und Ombudsperson für Kinder und Jugendliche. Die früheren Bestimmungen wurden inhaltlich bereinigt, der Aufbau wurde konsistenter und nachvollziehbarer gestaltet, zeitgemässere Begriffe wurden eingeführt und um die erforderlichen Neuregelungen ergänzt. Neu eingefügt wurden in das Kapitel Kinder- und Jugendhilfe Abschnitte über Pflegeverhältnisse zum Zweck der Adoption und Adoptionen im Ausland, über die Unterstützung straffälliger Minderjähriger sowie über private Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Es werden die Voraussetzungen zur Konstituierung eines Kinder- und Jugendbeirates als Interessensvertretung von Kindern und Jugendlichen auf Landesebene geschaffen. Mit der Ombudsperson wird eine Schlichtungsstelle mit Überwachungsauftrag im Rahmen der UNO-Kinderrechtskonvention eingeführt.
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In seiner Sitzung vom April 2007 ist der Landtag nicht auf die Gesetzesvorlage des Kinder- und Jugendgesetzes eingetreten. Die Diskussion der Eintretensdebatte wurde eingehend analysiert und es wurde eine umfassende Analyse aller Argumente und Kritikpunkte erstellt, welche sowohl der Regierung als auch den Fraktionen zur Verfügung gestellt wurde. Aufgrund der Notwendigkeit einer Aktualisierung der gesetzlichen Grundlage wurde die Vorlage überarbeitet, wobei angebrachte Kritikpunkte und Argumente soweit als möglich berücksichtigt wurden.
Zuständiges Ressort
Ressort Familie und Chancengleichheit
Betroffene Amtsstellen
Amt für Soziale Dienste, Landespolizei, Staatsanwaltschaft, Landgericht
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Vaduz, 27. Mai 2008
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag den nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Gesamtrevision des Jugendgesetzes zu unterbreiten.
1.1Entwicklungen seit dem letzten Jugendgesetz
In den bald 30 Jahren seit Inkrafttreten des Jugendgesetzes im Jahr 1980 hat sich Grundlegendes geändert. Der Bogen spannt sich von den ökonomischen Bedingungen und soziologischen Verhältnissen über die Lebensstile von Kindern und Jugendlichen und deren Familien bis zu den Vorstellungen, wie Kinder zu erziehen seien und welche Rechte ihnen zukommen.
Besonders augenfällig wird diese Entwicklung an den veränderten Vorstellungen über die Rolle von Kindern und Jugendlichen, die sie in der Gesellschaft einnehmen und einnehmen sollen. Es finden nicht nur in internationalen Organisationen Debatten statt, vielmehr finden die veränderten Vorstellungen ihren Niederschlag in politischen Programmen und konkreten Rechtssetzungen.
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Ausgehend von der Erkenntnis, dass es nicht reicht, zu proklamieren, dass Kinder gut behandelt werden sollen, ist weitgehend darüber Konsens erzielt worden, dass Kinder einklagbare Rechte haben müssen. Diese Grundidee wurde in einem nicht dagewesenen Ausmass durch die Verabschiedung der "Kinderrechtskonvention" verwirklicht. 1989 wurde das UNO-Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention) Realität. Damit wurde global anerkannt, dass die Menschenrechte, wie sie etwa in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) formuliert worden sind, speziell auf die Kinder bezogen und also ergänzt werden müssen. In Liechtenstein wurde die Kinderrechtskonvention sieben Jahre später in Kraft gesetzt.
Die Vertragsstaaten haben sich zur Umsetzung dieser Rechte auf gesetzlicher und gesellschaftlicher Ebene verpflichtet. Mit dem Kinder- und Jugendgesetz wird ein Beitrag geleistet, dieser Verpflichtung nachzukommen. Mit der Konkretisierung durch dieses Gesetz ist eine Grundlage für die praktische Umsetzung bereitet.
Nach der Kinderrechtskonvention haben Kinder bis 18 Jahren, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht, ihrer Sprache, ihrer nationalen, ethischen oder sozialen Herkunft, ihrer Religion, ihrer politischen Überzeugung, einer Behinderung oder irgendeiner anderen Lebensbedingung sowohl Anspruch auf besonderen Schutz, Unterstützung und Förderung, als auch das Recht, ihre Bedürfnisse und Interessen zu artikulieren und darin respektiert zu werden. Das Wohl des Kindes hat bei allen Massnahmen im Vordergrund zu stehen.
Damit das Prinzip der Einklagbarkeit der Kinderrechte nicht Makulatur bleibt, sondern gelebte Praxis wird, sind nicht nur staatliche Organe, sondern ist auch das Engagement der Zivilgesellschaft gefordert. Um eine eigene Instanz zu haben, die nicht nur darüber wacht, dass die Kinderrechte in alle gesellschaftliche Bereiche Eingang finden, sondern die auch von Kindern und Jugendlichen selbst oder in ihrem Interesse von anderen Personen angerufen werden kann, wenn es Mängel in der Umsetzung gibt oder Kinderrechte verletzt werden, wird die Funktion einer -
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Ombudsperson eingeführt. Die Schaffung eines Kinderombudssystems war schon Ende der 70er Jahre vom Europarat empfohlen worden.
Neu ist die Auffassung, Kinder und Jugendliche systematisch an gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen und ihnen eine Begegnung mit Erwachsenen auf gleicher Augenhöhe in gelebter Demokratie mit gegenseitiger Wertschätzung und Anerkennung zu ermöglichen. "Partizipation" ist zu einem jugendpolitischen Leitthema geworden. Im Jugendgesetz von 1979 wird die Idee der Partizipation nur in Ansätzen angesprochen. Kinder und Jugendliche wurden damals noch einseitig als schutz- und hilfsbedürftige, unmündige Wesen betrachtet. Dass sie selbst auch etwas in die Gesellschaft einzubringen haben, war vor 30 Jahren ein noch wenig verbreitetes Gedankengut.
Partizipation als kinder- und jugendpolitisches Prinzip wurde in Liechtenstein erstmals im Kinder- und Jugendbericht 1996 als politisches Postulat formuliert. Es wurde schon damals programmatisch die Forderung aufgestellt: "Jugendpolitische Aufgabe wird es sein, einen Rahmen zu schaffen, der der Situation Jugendlicher gerechter wird und ihnen die Möglichkeit gibt, eigene Vorstellungen zu leben. Kinder und Jugendliche wollen dazu gehören und sich dazu gehörig fühlen, dies muss allen von ihnen, auf allen gesellschaftlichen Ebenen ermöglicht werden" 1 .
Die Jugendarbeit hat sich in den letzten Jahren sehr stark dieses Themas der Jugendbeteiligung angenommen und überhaupt hatte sie sich auf das veränderte Verhalten ihrer Zielgruppe einzustellen.
Zur Zeit der Schaffung des Jugendgesetzes war die Jugendarbeit im Umbruch begriffen. In den 70er Jahren hatte langsam die Auflösung der traditionellen katholischen Jungmannschaften und Mädchenvereine der marianischen Kongregation begonnen. Autonome Jugendgruppen entstanden. Die Anzahl der Jugendlichen, die nicht mehr in einem Verein organisiert sein wollten, stieg. Es wurde -
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erkannt, dass man auch etwas für diese Jugendlichen anbieten müsste. Mit der Gründung der beiden Freizeitzentren Vaduz 1973 und Schaan 1974 war der Grundstein für die offene Jugendarbeit gelegt.
Das Jugendgesetz von 1979 war von der Vorstellung geleitet, dass die katholische Kirche wieder vermehrt in der Jugendarbeit tätig werden würde. In demselben Jahr wurde die Jugendarbeitsstelle des Dekanates JAS als Impulsstelle für kirchliche und offene Jugendarbeit gegründet und ein professioneller Jugendarbeiter angestellt. Die Gemeinden standen zu dieser Zeit immer noch im Hintergrund. Das sollte sich bald ändern. In den 1980er und 90er Jahren erfolgte die Professionalisierung der offenen Jugendarbeit in den Gemeinden. Gründe dafür waren einerseits die Jugendunruhen 1980 in Zürich, zunehmende Ängste in Verbindung mit der Drogenthematik, vereinzelt auch Probleme mit autonomen Jugendgruppen. Andererseits ist immer mehr das Bewusstsein entstanden, dass Betreuung und Begleitung im ausserschulischen Bereich Sinn macht.
Mit der Gründung der JAS und dem Entstehen der im Rahmen der offenen Jugendarbeit professionell betriebenen Jugendtreffs der Gemeinden lösten sich die meisten bisherigen Jugendgruppierungen auf. Bis heute Bestand hat die Jungmannschaft Balzers. Auch die Jugendorganisation der Pfadfinderinnen und Pfadfinder Liechtenstein sind seit 1931/1932 über all die Jahre hinweg mit ihren Abteilungen in praktisch allen Gemeinden mit Erfolg tätig geblieben.
1996 wurde der Verein Liechtensteiner Jugendorganisationen VLJ gegründet. Er ist der Dachverband der in der offenen Jugendarbeit Tätigen, der den Zweck verfolgt, die Jugendarbeit gemeindeübergreifend zu koordinieren und deren Qualität sicherzustellen. Er gibt die "Euro bis 26 Jugendkarte" heraus und publiziert die Jugendzeitung "Flash".
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Nach Auflösung der Jugendarbeitsstelle des Dekanates infolge der Errichtung des Erzbistums Vaduz wurde im Jahr 1999 die auf Landesebene tätige neue Jugend- und Informationsstelle "aha - Tipps und Infos für junge Leute" gegründet. Das Tätigkeitsfeld umfasst die drei Bereiche Information und Beratung z.B. bei der Durchführung von Projekten, Veranstaltungen etc., die Lancierung und Durchführung von verschiedensten Jugendprojekten wie Wettbewerbe etc., sowie "Nationalagentur Jugend" mit den Angeboten Jugendbegegnungen, Jugendinitiativen, Europäischer Freiwilligendienst, Workcamps/Arbeitseinsätze im Ausland etc.
Das gewachsene Interesse einer bestimmten Gruppe von Kindern und Jugendlichen an europaweiten Projekten und interkulturellen Begegnungen führte bald zur Gründung des Vereines Europäische Jugendbegleiterinnen/Jugendbegleiter Liechtenstein EJL, dessen Mitglieder als Betreuungspersonen tätig werden.
Auch die verbandliche Jugendarbeit hat sich in den letzten 30 Jahren ausgeweitet. In den traditionellen Sport-, musischen, kulturellen und sozio-kulturellen Vereinen wird immer schon wertvolle Jugendarbeit geleistet, indem eigene Jugendabteilungen unterhalten werden wie z.B. Skiclub, Fussballclub, oder junge Leute aufgenommen werden, z.B. Jugendchor, Jungmusikanten. Die Entwicklung hat sich fortgesetzt. Mit neuen Sportarten entstanden beispielsweise immer mehr Sportvereine.
Die vielfältigen Angebote sowohl der verbandlichen als auch der offenen Jugendarbeit widerspiegeln die Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen. Im Freizeitverhalten ist eine ausgeprägte Individualisierung feststellbar. Mehr den je macht jeder und jede was ihr /ihm Spass macht. Gemäss Jugendstudie 2006 (Amt für Soziale Dienste (Hrsg.): Liechtensteinische Jugendstudie 2006) nimmt für 61 % der Befragten das "Ausruhen, Relaxen, und Faulenzen", (die Jugendlichen sagen "Chillen") eine wichtige Dimension ein. Die meisten jungen Leute sind mit ihrer Freizeit zufrieden, es wird auch deutlich, dass junge Menschen vermehrt unter dem Druck der an sie gestellten Anforderungen stehen und daher einen -
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Ausgleich suchen. Die Aktivitäten spielen sich grossteils (zu 70 %) mit Medien wie Video/TV/DVD sowie Computer, Internet und Handy ab.
Die Jugendstudie hat auch gezeigt, dass das Leben von jungen Menschen nicht sorgenfrei ist. Mobbing, Gewalt und Rechtsradikalismus waren hervorstechende Themen. Aufschluss erhielt man auch über die Konsummuster psychoaktiver Substanzen. Es zeigte sich, dass der Alkohol mit grossem Abstand im Vordergrund steht, sehr viele mit Cannabis in Berührung gekommen sind und dass illegale Drogen (ausser Cannabis) unter Jugendlichen eine nur marginale Rolle spielen.
Die heutigen Konsumgewohnheiten, das Freizeitverhalten, die grosse Mobilität, der Umgang mit Geld, mit der Informationsflut, mit den neuen Medien, usw. galt es in der Revision des Jugendgesetzes zu berücksichtigen.
Der Leitgedanke des geltenden Jugendgesetzes ist noch, dass Kinder und Jugendliche als unmündige Mitglieder der Gesellschaft durch blosse Zugangsverbote vor bestimmten Produkten und Angeboten geschützt werden müssen. Der ihnen zugängliche Markt war damals noch einigermassen überschaubar. Die Situation hat sich in den letzten 30 Jahren grundlegend verändert. Kinder und Jugendliche wachsen immer früher in die Konsumentenrolle hinein und sind mit einem unüberschaubaren Angebot an Waren und Dienstleistungen konfrontiert. Den Kindern und Jugendlichen steht mehr Geld zur Verfügung, sie benutzen Handys und stellen eine umworbene Käuferschicht dar.
Sie haben Zugang zu den neuen Medien und es lässt sich nur beschränkt bestimmen, welche Informationen sie zu welchem Zeitpunkt erhalten. Der Versuch, Kinder und Jugendliche vom Markt fernzuhalten und damit von seinen Verführungen abzuschotten, funktioniert in der heutigen Konsumgesellschaft nicht mehr. Vielmehr ist es wichtig geworden, Kinder und Jugendliche darin zu unterstützen, mit all den Informationen und Angeboten so kritisch umzugehen, dass sie sich selbst dabei möglichst nicht gefährden oder gar schaden und dass sie lernen, mit der Vielfalt der Multioptionsgesellschaft umzugehen.
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Kinder- und Jugendschutz muss daher heute mehr umfassen als Verbote und Strafandrohungen. Die Stärkung der Kinder und Jugendlichen, das Erlernen Gefahren erkennen, vermeiden und bewältigen zu können ist neben dem direkten Schutz der zweite Hauptpfeiler des modernen Kinder- und Jugendschutzes. Die präventive Seite des Kinder- und Jugendschutzes soll auf der Grundlage dieses Gesetzes in Zukunft eine grössere Rolle spielen.
Auch das familiäre, gesellschaftliche und erzieherische Umfeld der Kinder hat sich in den letzten 30 Jahren verändert. Die Familien waren in ökonomischer, soziologischer und psychologischer Hinsicht einem erheblichen Wandel unterworfen 2 . Im Zuge von Industrialisierung und wirtschaftlichem Aufschwung hat die Grossfamilie allmählich an Bedeutung verloren. Als Form existiert sie zwar heute noch, aber es sind viel weniger Menschen in eine grosse Familiengemeinschaft eingebunden. Das betrifft am sichtbarsten das Wohnen, aber auch das Beziehungsgefüge der Familienmitglieder untereinander. Es sind in der Regel viel weniger Verwandte vorhanden und deren Beziehungen gestalten sich meist ohne wirtschaftliches Aufeinanderangewiesensein, sondern sind primär persönlicher Art. Mit anderen Worten, der Familienclan, als sozio-ökonomische Schicksalsgemeinschaft hat nur noch beschränkte Relevanz.
Stattdessen sind die Kernfamilien mit Eltern und Kindern zum Standardmodell geworden. Daneben haben sich immer mehr Menschen in anderen Familienformen organisiert: Wie in allen entwickelten Industrieländern ist auch bei uns die Scheidungsrate sehr stark angestiegen und andererseits leben Paare mit Kindern unverheiratet zusammen. Damit zusammenhängend war in den letzten zwanzig Jahren eine starke Zunahme von allein erziehenden Eltern festzustellen; dadurch und durch die sinkende Kinderanzahl ist die Grösse der in einem Haushalt leben -
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den Familienmitgliedern deutlich reduziert worden. Wir beobachten somit in den letzten 50 Jahren eine stetige Verkleinerung der Familiengrösse.
Der gegenteilige Trend ist jüngeren Datums, dass sich aus Teilsystemen immer wieder neue Zusammensetzungen zu Lebensgemeinschaften bilden, sog. Patchwork-Familien. Der in den 90er Jahren angesagte Untergang der Familie 3 ist nicht eingetreten. Das Bedürfnis nach stabilen Beziehungen, wenn sie auch häufig nicht mehr für ein ganzes Leben angelegt sind, ist nach wie vor ein Grundmotiv für die meisten Menschen. Geändert hat sich nicht der Wert von Familie, geändert hat sich hingegen die Häufigkeitsverteilung der verschiedenen Familienformen; es gibt deutlich mehr "Alleinerziehende" (Geschiedene oder nicht Verheiratete) und mehr Patchwork-Familien mit immer komplexeren Verwandtschafts- bzw. Beziehungsverhältnissen.
Das Erzielen eines Erwerbseinkommens durch Frauen gilt heute als normales Modell. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird breit gelebt. Unterstützung für Familien zur Erleichterung der Vereinbarkeit beruflicher und familiärer Aufgaben wird politisch gefordert. Die Folgen davon sind von grösster gesellschaftlicher Bedeutung. Dadurch sind Frauen finanziell unabhängig geworden. Die Zeit, die für Kinder, Partner und Haushaltsführung zur Verfügung gestellt werden kann, hat hingegen bei Familien abgenommen. Daraus erwächst die Notwendigkeit für ausserhäusliche Betreuung der Kinder durch fremde Personen.
Dieser Strukturwandel hat einen entscheidenden Effekt auf die Familien, deren Ökonomie und Psychologie, deren Organisation und Bedürfnisse.
Die starke Individualisierung hat sich auch auf die Erziehung ausgewirkt. Allgemeine und verbindliche Vorstellungen, wie und wohin Kinder zu erziehen seien, fehlen weitgehend. Erziehungsziele und Erziehungsmethoden müssen vielmehr -
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ausgehandelt werden, einerseits zwischen Erziehenden und Kindern und zwischen den Erziehenden untereinander. Diese Prozesse des Aushandelns sind aufwendig und mitunter mühsam und stellen an alle Beteiligten hohe Anforderungen. Es verwundert nicht, dass viele damit überfordert sind.
Das Zurechtkommen mit der grossen Pluralität der Vorstellungen, mit den logischerweise damit verbundenen Widersprüchlichkeiten und Konflikten fordert Kraft und Kompetenzen. Diese Situation führt bei vielen Menschen, seien es Erwachsene oder seien es Kinder, zu Irritationen und Belastungen.
Jedenfalls ist in den letzten Jahren eine Zunahme gewisser psychischer Störungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen zu beobachten, die vermehrt in jüngerem Alter auftreten. Dementsprechend haben auch die fachlichen Hilfen zugenommen.
Psychische Belastungen und Störungen sind nicht die einzige Reaktion. Es gibt Kinder und Jugendliche, die infolge mangelnder Orientierung und Führung verschiedenste Verhaltensauffälligkeiten entwickeln, die Disziplinlosigkeit an den Tag legen und auch gewalttätig werden. Auf diese Entwicklungen hat das Hilfssystem mit einer Verbreiterung des Angebotes und Spezialisierung reagiert (siehe Pkt. 1.2).



 
1Siehe Bericht der Regierung zur Kinder- und Jugendpolitik in Liechtenstein, Vaduz 1996, S. 26 f.
 
2Vgl. Büchel, M. (Hrsg): Familienbilder - Kontroversen um eine Lebensform, Band 2 der Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft deutschsprachiger Psychologenverbände. Bonn 1995.
 
3vgl. z.B. Büchel, M.(siehe Fussnote 2).
 
LR-Systematik
8
85
852
3
31
311
LGBl-Nummern
2009 / 030
2009 / 029
Landtagssitzungen
18. September 2008
Stichwörter
Adop­tion, im Ausland
Adop­tion, Pflegeverhältnis
För­de­rung, Kinder, Jugend
Jugend­beirat
Jugend­för­de­rung
Jugend­ge­setz
Jugend­ge­setz, Gesamtrevision
Jugend­hilfe
Jugend­liche, Jugend­schutz, Jugendhilfe
Jugend­schutz
Kinder- und Jugend­beirat, Interessensvertretung
Kinder- und Jugendförderung
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Kinder und Jugend­liche, Interessensvertretung
Kinder und Jugend­liche, Ombudsperson
Kinder- und Jugendschutz
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Kinder­hilfe
Kin­der­rechts­kon­ven­tion, UNO, Überwachung
Kin­der­schutz
Ombuds­person für Kinder und Jugendliche
Ombuds­person, Kinder und Jugendliche
Ombuds­person, Sch­lich­tungss­telle, Kinder- und Jugendliche
Pfle­ge­ver­hältnis, Adoption
Sch­lich­tungss­telle, Kinder- und Jugendliche
Straf­ge­setz­buch, Abänderung
UNO-Kin­der­rechts­kon­ven­tion, Über­wa­chung, Ombudsperson