Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Abänderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung, des Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem internationalen Strafgerichtshof und anderen internationalen Gerichten sowie des Naturschutzgesetzes
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Das österreichische Strafgesetzbuch dient dem liechtensteinischen Strafgesetzbuch traditionell als Rezeptionsvorlage. In Österreich wurde mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2015 eine umfassende Reform umgesetzt, die nun mit der gegenständlichen Vorlage in Liechtenstein weitgehend nachvollzogen werden soll. Zum einen werden die Strafdrohungen bei diversen Delikten gegen Leib und Leben sowie den Sexualdelikten erhöht, zum anderen werden die Fahrlässigkeitsdelikte und auch der Untreuetatbestand neu gestaltet sowie eine Reihe von neuen Tatbeständen eingeführt. Als Beispiele dafür können die Delikte des Cybermobbings (§ 107c), der Zwangsheirat (§ 106a), der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung (§ 204a), der grob fahrlässige Tötung (§ 81) und des Ausspähens von Daten eines unbaren Zahlungsmittels (§ 241h) angeführt werden.
Ein wesentliches Ziel der Vorlage ist es auch, die Anforderungen einer Reihe von internationalen Übereinkommen, die von Liechtenstein bereits unterzeichnet oder ratifiziert worden sind, zu erfüllen. So sollen beispielsweise mit der Erweiterung der Erschwerungsgründe in § 33 StGB und der Einführung der neuen Tatbestände der Zwangsheirat und der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung die Voraussetzungen für die Ratifikation des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ("Istanbul-Konvention") geschaffen werden.
Die Einführung eines eigenen Foltertatbestandes in § 312a StGB dient der vollständigen Umsetzung des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Mit der Normierung des neuen Tatbestands des "Verschwindenlassens einer Person" in § 312b StGB wird die Voraussetzung für die Ratifikation des UNO-Übereinkommens zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen geschaffen, das Liechtenstein im Jahr 2007 unterzeichnet hat.
Mit der Aufnahme der neuen Tatbestände "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" (§ 321a), "Kriegsverbrechen gegen Personen" (§ 321b), "Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte" (§ 321c), "Kriegsverbrechen gegen internationale Missionen und Missbrauch von Schutz- und Nationalitätszeichen" (§ 321d), "Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsfüh-
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rung" (§ 321e), "Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Mittel der Kriegsführung" (§ 321f) und "Verbrechen der Aggression" (§ 321k) wird dem Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das für Liechtenstein am 1. Juli 2002 in Kraft getreten ist, und dem Zweiten Protokoll zur Haager Konvention von 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten Rechnung getragen. Durch die Einführung dieser neuen Tatbestände stellt Liechtenstein eine lückenlose nationale Strafgerichtsbarkeit über die Tatbestände des Römer Statuts sicher und unterstreicht damit die Bedeutung und Wichtigkeit der Weiterentwicklung des Völkerstrafrechts.
Abgerundet wird diese umfassende Abänderung des Strafgesetzbuches mit dem Nachvollzug einer Vielzahl von österreichischen Strafrechtsrevisionen der vergangenen Jahre, die bislang noch nicht in den liechtensteinischen Rechtsbestand übernommen worden sind. So sollen bei den gemeingefährlichen strafbaren Handlungen des 7. Abschnitt des Strafgesetzbuches die neuen Tatbestände "Herstellung und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen" (§ 177a) sowie "Unerlaubter Umgang mit Kernmaterial, radioaktiven Stoffen oder Strahleneinrichtungen" (§ 177b) eingeführt werden. Die Umweltdelikte sollen um die Tatbestände "Vorsätzliche Schädigung des Tier- und Pflanzenbestands" (§ 181e), "Grob fahrlässige Schädigung des Tier- und Pflanzenbestandes" (§ 181f), "Vorsätzliche Schädigung von Lebensräumen in geschützten Gebieten" (§ 181g) und "Grob fahrlässige Schädigung von Lebensräumen in geschützten Gebieten" (§ 181h) erweitert werden.
Eine Lücke im Strafgesetzbuch soll auch mit der Einführung von Delikten gegen unbare Zahlungsmittel (Kredit-, Maestro-, Kundenkarten etc. mit Zahlungsmittelfunktion) geschlossen werden. Die neuen Tatbestände lauten insbesondere "Fälschung unbarer Zahlungsmittel" (§ 241a), "Annahme, Weitergabe oder Besitz falscher oder verfälschter unbarer Zahlungsmittel" (§ 241b), "Vorbereitung der Fälschung unbarer Zahlungsmittel" (§ 241c) und "Entfremdung unbarer Zahlungsmittel" (§ 241e).
Mit dieser umfangreichen Abänderung des Strafgesetzbuches wird in vielen Bereichen Kongruenz zur österreichischen Rezeptionsvorlage hergestellt. Dies ermöglicht den Rechtsanwendern, auch auf die dortige Judikatur und Lehre zurückzugreifen.
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Zuständiges Ministerium
Ministerium für Äusseres, Justiz und Kultur
Betroffene Stellen
Gerichte
Staatsanwaltschaft
Landespolizei
Verein für Bewährungshilfe
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Vaduz, 09. Oktober 2018
LNR 2018-1214
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Abänderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung, des Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und anderen Internationalen Gerichten sowie des Naturschutzgesetzes an den Landtag zu unterbreiten.
Das wesentliche Anliegen dieser Vorlage besteht darin, das liechtensteinische (materielle) Strafrecht an internationale Vorgaben sowie gleichzeitig an neue gesellschaftliche Entwicklungen und an veränderte Werthaltungen der Allgemeinheit anzupassen. Den Staat trifft zur Verhinderung von Kriminalität eine besondere Verantwortung. Durch Erlass oder Abänderung der entsprechenden Strafbestimmungen kann diese wichtige staatliche Aufgabe unterstützt werden.
Das österreichische Strafgesetzbuch dient dem liechtensteinischen Strafrecht traditioneller Weise als Rezeptionsvorlage. Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz
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2015
1 wurde das Strafrecht in unserem Nachbarland in vielen Bereichen angepasst, weiterentwickelt und reformiert. Um hier wieder eine möglichst weitgehende Angleichung an die österreichische Rezeptionsvorlage herzustellen und bestehende Lücken zu schliessen, ist für Liechtenstein Handlungsbedarf gegeben.
Ziel dieser Vorlage ist es aber auch, den Umsetzungsverpflichtungen aus verschiedenen Übereinkommen, die Liechtenstein bereits unterzeichnet oder auch schon ratifiziert hat, nachzukommen. Folgende internationale Völkerrechtsinstrumente sollen mit der gegenständlichen Vorlage umgesetzt bzw. ergänzt werden:
Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ("Istanbul-Konvention")
2;
Übereinkommen des Europarates zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch ("Lanzarote-Konvention")
3;
Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe
4;
Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen
5;
Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs
6;
Zweites Protokoll zur Haager Konvention von 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten
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Liechtenstein will seinen internationalen Verpflichtungen nachkommen und glaubwürdig durch die Schaffung effizienter Massnahmen die Vorgaben aus den unterschiedlichen Übereinkommen erfüllen.
Die gegenständliche Vorlage orientiert sich zu diesem Zweck an früheren österreichischen Novellen des Strafgesetzbuches, insbesondere am Strafrechtsänderungsgesetz 2015.
Unter den in dieser Vorlage verwendeten, auf Personen bezogenen Begriffen sind Angehörige des weiblichen und männlichen Geschlechts zu verstehen.