Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Vereinbarung zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Europäischen Union zur Festlegung der Modalitäten seiner Beteiligung am Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office)
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Am 19. Juni 2011 wurde auf Malta das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO) offiziell eröffnet. Das EASO ist Teil des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) und wurde eingerichtet, um die praktische Zusammenarbeit im Asylbereich zu fördern und die EU-Mitgliedstaaten bei der Erfüllung ihrer europäischen und ihrer internationalen Verpflichtungen zum Schutz schutzbedürftiger Menschen zu unterstützen. Das EASO fungiert als Kompetenzzentrum für Asylfragen und unterstützt EU-Mitgliedstaaten, deren Asyl- und Aufnahmesysteme besonderem Druck ausgesetzt sind. Sie werden unterstützt durch die Entsendung von Teams, die dem betroffenen EU-Mitgliedstaat vor Ort praktische Hilfe leisten. Das EASO dient ferner der Koordination von Informationen über die Herkunftsländer von Personen, die international Schutz beantragen, der Koordination des Schulungsangebots für Asylpraktikerinnen und -praktiker auf europäischer Ebene sowie dem Aufbau eines Analyse- und Informationszentrums zur Asylsituation in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten.
Die EU-Verordnung zur Einrichtung des EASO sieht die Möglichkeit vor, dass sich die an der Dubliner Zusammenarbeit teilnehmenden Nicht-EU-Mitgliedstaaten Liechtenstein, Schweiz, Norwegen und Island am EASO beteiligen. Die vier assoziierten Staaten haben ihre Beteiligung am EASO gemeinsam verhandelt. Liechtenstein gewinnt durch die Beteiligung am EASO Gestaltungsmöglichkeiten im Asylbereich und kann sich zudem den Zugang zu wertvollen Informationen sichern.
Der finanzielle Beitrag Liechtensteins und der anderen assoziierten Staaten orientiert sich am Verhältnis des Bruttoinlandprodukts (BIP) Liechtensteins bzw. der anderen assoziierten Staaten zum BIP aller am EASO teilnehmenden Staaten. Dies ist ein üblicher Verteilschlüssel, der bereits bei früheren Abkommen, insbesondere im Rahmen der Schengener Zusammenarbeit, zur Anwendung gekommen ist. Die Vereinbarung sieht vor, dass Liechtenstein an allen Aktivitäten des EASO beteiligt wird und im Verwaltungsrat des EASO als Beobachter Einsitz nehmen kann. Dies bedeutet, dass Liechtenstein fortan die Bemühungen des EASO, das Dublin-System zu stärken und bestehende Mängel in einzelnen Dublin-Staaten zu beheben, aktiv unterstützen kann. Andererseits bedeutet die Teilnahme aber auch, dass Liechtenstein vom EASO Unterstützung erhalten kann, falls das Asylsystem
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in Liechtenstein unter einen besonderen Druck geraten sollte. Auch wenn Liechtenstein kein Stimmrecht in Bezug auf die operativen Einsätze hat, verbleibt es in seiner Autonomie, über die Anzahl und die Profile der zu entsendenden Expertinnen und Experten sowie die Dauer der Entsendung zu entscheiden. Das Unterstützungsbüro verfügt auch sonst über keine Weisungsbefugnisse gegenüber den nationalen Behörden. So ist es dem EASO z. B. explizit untersagt, auf die Entscheidungen einer mitgliedstaatlichen Asylbehörde über einzelne Anträge auf internationalen Schutz Einfluss zu nehmen.
Die EASO-Vereinbarung weist einen statischen Charakter auf: Allfällige rechtliche Weiterentwicklungen der EASO-Verordnung muss Liechtenstein deshalb nicht übernehmen. Falls es angezeigt ist, kann eine Weiterentwicklung durch eine Anpassung der Vereinbarung übernommen werden.
Zuständiges Ministerien
Ministerium für Inneres, Justiz und Wirtschaft
Ministerium für Äusseres, Bildung und Kultur
Betroffene Amtsstellen
Ausländer- und Passamt
Amt für Auswärtige Angelegenheiten
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Vaduz, 22. September 2015
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Vereinbarung zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Europäischen Union zur Festlegung der Modalitäten seiner Beteiligung am Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office) zu unterbreiten.
In den letzten Jahren sind weltweit zahlreiche Krisen und Konflikte ausgebrochen, welche die globalen Migrationsströme massiv ansteigen haben lassen. Gemäss den aktuellsten Berichten des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) ist die Zahl der weltweit vertriebenen Personen im Jahr 2014 auf knapp 60 Millionen Menschen angestiegen und hat einen historischen Höhepunkt erreicht. Es wird erwartet, dass die Zahl der Vertriebenen noch weiter ansteigen wird. Insbesondere die bewaffneten Konflikte in Syrien und im Irak sowie in der Subsahara aber auch in Nordafrika haben zu einer hohen Instabilität und vielen Vertreibungen geführt, wodurch sich auch die Migrationsbewegungen nach Europa enorm verstärkt haben. Jeden Tag flüchten Migrantinnen und Migranten
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vor Krieg und Not auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen. Sie riskieren dabei ihr Leben meist auf gefährlichen Überfahrten auf dem Mittelmeer. Die südlichen EU-Mitgliedstaaten bekommen die Auswirkungen als erste zu spüren; betroffen von den Migrationsbewegungen sind aber auch andere europäische Staaten. Gemeinsame Lösungen und eine engere Zusammenarbeit im Bereich der Asylpolitik sind nötig, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Die EU hat bereits im Jahr 1999 ein Gemeinsames Europäisches Asylsystem (GEAS) beschlossen, das zur Harmonisierung der Asylsysteme in den EU-Mitgliedstaaten beitragen soll. Zu diesem GEAS zählen verschiedene Richtlinien (Aufnahmerichtlinie
1, Qualifikationsrichtlinie
2, Verfahrensrichtlinie
3) sowie die Dublin-III
4- und die Eurodac
5-Verordnungen.
Liechtenstein ist im Rahmen der Assoziierung an Dublin nur von der Dublin-III-Verordnung, der Eurodac-Verordnung und den jeweiligen Durchführungsverordnungen betroffen. Zudem hat Liechtenstein aufgrund der Schengen-Assoziierung die Rückführungsrichtlinie übernommen. Mit der Rückführungsrichtlinie sollen die Verfahren zur Wegweisung illegal anwesender Drittstaatsangehöriger harmonisiert werden. Die Aufnahmerichtlinie, die Qualifikationsrichtlinie sowie die
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Verfahrensrichtlinie sind hingegen nicht Bestandteil des Schengen/Dublin-Besitzstands und daher für Liechtenstein nicht verbindlich.
Um die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten im Bereich des Asylwesens zu fördern, erliessen das Europäische Parlament und der Rat am 19. Mai 2010 die Verordnung (EG) Nr. 439/2010 zur Errichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO)
6. Das Unterstützungsbüro soll dabei die praktische Zusammenarbeit im Asylbereich fördern und die EU-Mitgliedstaaten bei der Erfüllung ihrer europäischen und internationalen Verpflichtungen zum Schutz schutzbedürftiger Menschen unterstützen. Das EASO fungiert als Kompetenzzentrum für Asylfragen und unterstützt zudem EU-Mitgliedstaaten, deren Asyl- und Aufnahmesysteme besonderem Druck ausgesetzt sind. Das EASO kann Unterstützungsteams entsenden, die dem betroffenen EU-Mitgliedstaat vor Ort praktische Hilfe leisten. Es dient ferner der Koordination von Informationen über die Herkunftsländer, der Koordination des Schulungsangebots für Asylpraktikerinnen und -praktiker auf europäischer Ebene sowie dem Aufbau eines Analyse- und Informationszentrums zur Asylsituation in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten.
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1 | Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung), ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 96. |
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2 | Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung), ABI. L 337 vom 20.12.2011, S. 9. |
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3 | Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), ABI. L 180 vom 29.6.2013, S. 60. |
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4 | Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31. |
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5 | Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist und über die Gefahrenabwehr und Strafverfolgung dienende Anträge der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungs-behörden der Mitgliedstaaten und Europols auf den Abgleich mit Eurodac-Daten sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1077/2011 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Grosssystemen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Neufassung), ABl. L 180 vom 29.6.13, S. 1. |
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6 | Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, ABl. L 132 vom 29.5.2010, S. 11. |
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