Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2015 / 24
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Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Aus­gangs­lage
2.Begrün­dung der Vorlage
3.Schwer­punkte der Vorlage
4.Ver­nehm­las­sung
5.Erläu­te­rungen zu den ein­zelnen Bes­tim­mungen unter Berück­sich­ti­gung der Vernehmlassung
6.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit / Rechtliches
7.Per­so­nelle, finan­zi­elle, orga­ni­sa­to­ri­sche und räum­liche Auswirkungen
II.Antrag der Regierung
III.Regie­rungs­vor­lagen
1.1Gesetz betref­fend die Abän­de­rung des Gesetzes über die Krankenversicherung
1.2Gesetz über die Abän­de­rung des Gesundheitsgesetzes
1.3Gesetz betref­fend die Abän­de­rung des Gesetzes über Ergän­zungs­lei­stungen zur Alters-, Hin­ter­las­senen- und Invalidenversicherung
Grüner Teil
 
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Krankenversicherung (KVG) und weiterer Gesetze
 
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Das Gesetz über die Krankenversicherung soll mit dieser Vorlage einer umfassenden Reform unterzogen werden. Die in den letzten Jahren sehr stark gestiegenen Kosten erfordern Massnahmen sowohl auf Seiten der Versicherten als auch auf Seiten der Leistungserbringer. Neben Änderungen am Versicherungsmodell, welche die Eigenverantwortung stärken und so zu einer bewussteren und sparsameren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen führen sollen, beabsichtigt die Regierung, diverse Bestimmungen über das Verhältnis zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen neu zu regeln, insbesondere im Bereich der vertraglichen Gestaltung der Zusammenarbeit und der Sanktionsmöglichkeiten.
Die Regierung hat eine ganze Reihe von Massnahmen einer breiten Vernehmlassung zugeführt. Nach Auswertung der zahlreichen Stellungnahmen kommt die Regierung zum Schluss, dass zusammenfassend die im Folgenden genannten gesetzlichen Änderungen vorgenommen werden sollen.
Im Bereich der Versicherungen sind folgende Massnahmen vorgesehen:
Trennung der obligatorischen Krankenpflegeversicherung in eine Hochkostenversicherung, welche Kosten des Versicherten von über CHF 5'000 pro Jahr übernimmt und eine Grund(kosten)versicherung, welche die Kosten von weniger als CHF 5'000 übernimmt.
Staatliche Beiträge (mit Ausnahme der Prämienverbilligung und des Staatsbeitrags für Kinder) fliessen ausschliesslich in die Hochkostenversicherung.
Erhöhung der Minimalfranchise von derzeit CHF 200 auf CHF 500. Dieser feste Betrag ist von allen erwachsenen Versicherten zu leisten, also auch von Rentnern.
Erhöhung des prozentualen Selbstbehalts von derzeit 10% auf 20% für erwachsene Versicherte unterhalb des gesetzlichen Rentenalters.
Bei Personen oberhalb des gesetzlichen Rentenalters bleibt der prozentuale Selbstbehalt bei 10%. Diese tiefere Kostenbeteiligung der Rentner wird von der Allgemeinheit der Versicherten subventioniert.
Die maximal vom Versicherten zu tragende Kostenbeteiligung (Franchise plus Selbstbehalt bei Wahl der Mindestfranchise) erhöht sich bei erwachse-
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nen Versicherten unterhalb des Rentenalters von derzeit CHF 800 auf CHF 1'400. Personen im Rentenalter haben statt derzeit maximal CHF 400 neu höchstens CHF 950 an Kostenbeteiligung zu leisten (jeweils Franchise plus Selbstbehalt bei Wahl der Mindestfranchise).
Die Neuregelung der Kostenbeteiligung führt zu einer Prämienreduktion von geschätzten CHF 315 pro Jahr für alle Versicherten. Die Mehrbelastung bei hohem Leistungsbezug steigt daher für erwachsene Versicherte nicht um CHF 600, sondern nur um CHF 285 pro Kalenderjahr. Für Rentner steigt die Belastung bei hohem Leistungsbezug um CHF 235. Bei geringem oder keinem Leistungsbezug resultiert eine Ersparnis von bis zu CHF 315 pro Jahr.
Wahlfranchisen sind möglich bis insgesamt maximal CHF 4'000 pro Jahr (CHF 500 Mindestfranchise plus CHF 3'500 zusätzlich). Durch Festlegung maximaler Rabatte auf die Prämien wird von Versicherten mit höheren Franchisen ein Solidaritätsbeitrag zu Gunsten von Versicherten mit geringeren Franchisen eingefordert.
Bei der Ausrichtung der Prämienverbilligung an einkommensschwache Versicherte erfolgt eine Besserstellung der Berechtigten, indem künftig die entrichtete Kostenbeteiligung bei der Förderungsgrundlage anrechenbar und mit 40% bzw. 30% gefördert werden soll. Damit soll erreicht werden, dass einkommensschwache Haushalte gezielt unterstützt werden.
Im Sinne einer Korrektur werden bei der Prämienverbilligung ausserdem die Einkommensschwellen für Ehepaare angehoben.
Verpflichtender Versand einer Rechnungskopie an den Patienten.
Die Prämien der Krankenpflegeversicherung sollen künftig nicht mehr vom Arbeitgeber an die Kassen abgeführt, sondern direkt vom Versicherten bezahlt werden.
Im Bereich der Leistungserbringer werden folgende Massnahmen vorgeschlagen:
Einführung einer im individuellen OKP-Vertrag zwischen dem Krankenkassenverband und dem Leistungserbringer zu regelnden Leistungspflicht, um die Kapazitäten insbesondere bei Ausübung der Tätigkeit in Teilzeit besser steuern zu können. Modelle wie "job sharing", Teilzeitbeschäftigung zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Altersteilzeit sollen da-
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mit geregelt werden. Das "Besetzen" einer Bedarfsplanungsstelle ohne entsprechend erbrachte Leistungen für die Versicherten in der OKP soll damit vermieden werden.
Gesetzlich vorgegebene Befristung von OKP-Verträgen auf vier Jahre im Rahmen der Bedarfsplanung.
Vereinfachungen der Wirtschaftlichkeitsverfahren und Straffung des Instanzenzugs.
Neben diesen Anpassungen im Bereich der Versicherungen und der Leistungserbringer sind Veränderungen am System der Taggeldversicherung vorgesehen, unter anderem um die Diskriminierung durch Mutterschaft zu vermeiden. Es soll derjenige Teil der Prämie, der das "Mutterschaftsrisiko" abdeckt, als Einheitsprämie auf alle Versicherten umgelegt werden. Der restliche (grössere) Teil der Prämie kann wie bis anhin durch individuelle Verträge festgelegt werden, allerdings innerhalb gewisser Leitplanken. Für Angestellte im Rentenalter soll das Problem behoben werden, dass der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist, aber keine Versicherung dafür abschliessen kann.
Im Bereich der Datengrundlagen im Gesundheitswesen werden einige Präzisierungen vorgenommen. Die Kommissionen im Gesundheitswesen werden gestrafft und die Bestimmungen zu Vertrauensärzten werden neu gestaltet.
Zuständiges Ministerium
Ministerium für Gesellschaft
Betroffene Amtsstellen
Amt für Gesundheit
Amt für Soziale Dienste
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Vaduz, 31. März 2015
 
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Abänderung des Gesetzes über die Krankenversicherung (KVG) und weiterer Gesetze zu unterbreiten.
1.Ausgangslage
Die Aufwendungen für Leistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) inklusive der vom Staat getragenen Kosten im stationären Bereich sind seit dem Jahr 2000 um durchschnittlich 6% pro Jahr gewachsen. Wurden von den Kassen und dem Staat im Jahr 2000 noch rund CHF 89 Mio. für obligatorisch versicherte Gesundheitsleistungen aufgewendet, so betrug dieser Wert 2013 über CHF 190 Mio.. Die Aufwendungen haben sich in den vergangenen dreizehn Jahren somit mehr als verdoppelt. Das Liechtensteinische Bruttoinlandsprodukt ist demgegenüber seit dem Jahr 2000 im Durchschnitt um rund 2% pro Jahr angewachsen.1
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Die Entwicklung, wonach ein immer grösserer Anteil der Wirtschaftsleistung für Gesundheitsausgaben aufgewendet wird, ist kennzeichnend für viele industrialisierte Länder. Als Ursachen dafür werden die demographische Entwicklung, die steigende Lebenserwartung und die damit verbundene zunehmende Morbidität (Erkrankungsrate) der Bevölkerung angeführt. Es ist ein Fakt, dass mit steigendem Alter die Gesundheitskosten steigen. Dies gilt auch für Liechtenstein, wo die Kosten des Jahres 2013 abhängig vom Alter nahezu exponentiell ansteigen. Eine einfache Schätzung der Kostenentwicklung aufgrund der sich in Liechtenstein verändernden Alterszusammensetzung der Bevölkerung ergibt, dass allein durch die Veränderung der Altersstruktur eine Kostensteigerung von jährlich 2.7% zu erwarten ist. Da sich die Anzahl der Versicherten ebenfalls erhöht, steigen die Kosten pro Versichertem mit rund 2% pro Jahr etwas weniger stark.2
Das liechtensteinische Gesundheitswesen ist durch einige weitere Besonderheiten gekennzeichnet:
Das Niveau der Gesundheitsausgaben in Liechtenstein ist im internationalen Vergleich sehr hoch. Die aktuellen Pro-Kopf-Kosten Liechtensteins in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung liegen um 40-50% über jenen der direkten Schweizer Nachbarkantone, wo offenbar - auch unter Berücksichtigung aller erklärbaren systembedingten Unterschiede - zu wesentlich niedrigeren Kosten eine qualitativ vergleichbare Gesundheitsversorgung verwirklicht werden kann.
Ein wesentliches Problem des aktuellen Systems der Krankenversicherung in Liechtenstein ist die Kostenillusion, das ist der für die einzelnen Versicherten kaum spürbare Zusammenhang zwischen der Inanspruchnahme
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von Leistungen und den dadurch verursachten Kosten. Nur der geringere Teil der Beiträge der Versicherten hat einen direkten Bezug zur in Anspruch genommenen Leistung. Einem Prämienaufkommen von rund CHF 97 Mio. stehen im Jahr 2013 CHF 10 Mio. aus Kostenbeteiligungen der Versicherten gegenüber. 2013 wurden in Liechtenstein 6.3% der Bruttoleistungen aus Kostenbeteiligungen finanziert, in der Schweiz waren es im selben Jahr 14%3.
Hohe staatliche Subventionierungen verzerren die Kostenwahrnehmung. Das Gesundheitswesen wird in Liechtenstein stark von der öffentlichen Hand subventioniert. Dadurch wird der Zusammenhang zwischen der Inanspruchnahme von Leistungen und den verursachten Kosten verwässert. Vom insgesamt aufzubringenden Finanzierungsbedarf wurde bisher fast die Hälfte aus Beiträgen des Staates (Staatsbeiträge an Kassen und an Spitäler, Prämienverbilligung) aufgebracht.
In Liechtenstein trägt ausserdem bei allen unselbständig Erwerbstätigen die Hälfte der Prämie der Arbeitgeber. Die Schweiz kennt keinen solchen Arbeitgeberbeitrag zur OKP. Geschätzte CHF 25-30 Mio. an Finanzierungsbeiträgen der Versicherten stammen in Liechtenstein von der Arbeitgeberseite. Der Gesamtaufwand der obligatorischen Krankenversicherung (Bruttoleistungen, Staatsanteil Spitäler, Verwaltungsaufwand) wird zu etwas mehr als der Hälfte aus Prämien und Kostenbeteiligungen der Versicherten finanziert. Zieht man ausserdem das Finanzierungsvolumen aus Arbeitgeberbeiträgen mit in Betracht, so tragen die Versicherten effektiv nur 35-40% der Gesamtkosten aus der eigenen Tasche.
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Ein weiteres Merkmal des liechtensteinischen Gesundheitswesens ist die mengenmässig vergleichsweise hohe Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen durch die Bevölkerung. Nachdem es der Regierung in gemeinsamer Anstrengung mit den Verbänden zunehmend gelingt, die Preise im Gesundheitswesen auf Schweizer Niveau anzugleichen, können verbleibende Kostenunterschiede nur durch Mengenabweichungen erklärt werden.
Liechtenstein geniesst ein besonders gut ausgebautes Angebot an ambulanten Gesundheitsdienstleistenden inklusive dem grenznahen Angebot, welches den Versicherten im Rahmen der erweiterten obligatorischen Krankenpflegeversicherung, in Notfällen oder aus medizinischen Gründen durch ärztliche Überweisung offen steht. Bei der durchschnittlichen Ärztedichte im ambulanten Bereich pro 10'000 Einwohner bewegt sich Liechtenstein 2013 mit 28.6 Ärzten im Bereich städtischer Ballungsräume (Zürich: 24.1, Bern: 20.9, Basel Stadt: 40.2)4, während der Schweizer Durchschnitt bei 20.4 (St. Gallen: 16.9, Graubünden: 17.0) niedergelassenen Ärzten pro 10'000 Einwohner liegt. Auch bei anderen Anbietern, etwa den Physiotherapeuten, ist die Angebotsdichte in Liechtenstein besonders hoch. 2013 verfügten 94 Physiotherapeuten über eine Zulassung zur eigenverantwortlichen Berufsausübung. Auf 10'000 Einwohner kamen somit in Liechtenstein im Jahr 2013 25.3 Physiotherapeuten (2011: 23.1). In Nachbarländern lag diese Kennzahl (2011) bei 14.2 (Deutschland), 3.8 (Österreich), im Kleinstaat Luxemburg bei 16.6.5
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Es ist naheliegend, dass in Liechtenstein zu einem gewissen Grad die These der angebotsinduzierten Nachfrage zutreffen dürfte. Diese erklärt den empirisch belegten Zusammenhang zwischen der Pro-Kopf-Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen und der Ärztedichte damit, dass Leistungserbringer im Gesundheitssektor Umfang und Struktur der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen beeinflussen und dabei eigene (Einkommens-)Interessen verfolgen. Sie verhalten sich im Rahmen der bestehenden Anreizsysteme ökonomisch rational, oder einfacher formuliert: Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage.



 
1Quelle: Amt für Statistik, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, Wert 2013 gemäss Schätzrechnung vom März 2015.
 
2Nähere Erläuterungen zur Modellsimulation finden sich im Vernehmlassungsbericht der Regierung zur Abänderung des Gesetzes über die Krankenversicherung (Frist: 1. Oktober 2014, siehe http://www.llv.li/files/srk/Vernehmlassungsbericht%20Krankenversicherung_3.pdf), Abschnitt 3.1.1 auf Seite 15 ff.
 
3Vgl. Bundesamt für Gesundheit, Statistik der obligatorischen Krankenversicherung 2013 (STAT KV 13), Tab. 101d.
 
4Quelle für die Schweiz: Bundesamt für Statistik, Bern, Gesundheitsstatistik; basierend auf Mitglieder-Statistik der Verbindung der Schweizer Ärzte FMH, mit Haupttätigkeit im ambulanten Sektor, Angaben für 2011; für Liechtenstein: Amt für Gesundheit: praktizierende Ärzte ohne Angestellte des Landesspitals, Angaben für 2012.
 
5Quelle: EUROSTAT/ OECD Health Data 2013, Daten für die Schweiz sind dort aktuell nicht publiziert.
 
Stichwörter
Arbeit­nehmer, direkte KK-Prä­mi­en­zah­lung (Reform des Krankenversicherungsgesetzes)
Ehe­paare, Prä­mi­en­ver­bil­li­gung Kran­ken­kasse (Reform des Krankenversicherungsgesetzes)
Hoch­kos­ten­ver­si­che­rung (Reform des Krankenversicherungsgesetzes)
Kos­ten­be­tei­li­gung, maxi­male (Reform des Krankenversicherungsgesetzes)
Kran­ken­kas­sen­prä­mien, Reduk­tion (Reform des Krankenversicherungsgesetzes)
Kran­ken­ver­si­che­rungs­ge­setz, Abän­de­rung (umfas­sende Reform)
KVG (Kran­ken­ver­si­che­rungs­ge­setz), Abän­de­rung (umfas­sende Reform)
Mini­mal­fran­chise, Erhö­hung (Reform des Krankenversicherungsgesetzes)
OKP-Ver­träge, Befri­stung (Reform des Krankenversicherungsgesetzes)
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Prä­mien Kran­ken­kasse, Reduk­tion (Reform des Krankenversicherungsgesetzes)
Prä­mi­en­ver­bil­li­gung für Ehe­paare (Reform des Krankenversicherungsgesetzes)
Reform, umfas­sende, des Krankenversicherungsgesetzes
Selbst­be­halt, Erhö­hung (Reform des Krankenversicherungsgesetzes)
Wahl­fran­chisen (Reform des Krankenversicherungsgesetzes)