Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2022 / 75
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Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Anlass
2.Beant­wor­tung des Postulates
2.3Stei­ge­rung der Unter­richts­qua­lität und des Lernerfolgs
2.4Rolle des Bildungspersonals
2.5Ein­fluss von Klas­sen­grössen auf die Wei­ter­ent­wick­lung der För­de­rung von Inte­gra­tion und Inklusion
2.6Fle­xi­bi­lität für Schul­lei­tungen bei der Ein­tei­lung von Klassen
2.7Aus­wir­kungen von Reduk­tionen der oberen Richt­zahl auf die Klassenbestände
2.8Alter­na­tive wei­ter­füh­rende Möglichkeiten
2.9Fazit
II.ANTRAG DER REGIERUNG
 
Postulatsbeantwortung der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend Klassengrössen an Liechtensteinischen Schulen   
 
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Das Postulat zur Klassengrösse an Liechtensteinischen Schulen vom 18. Oktober 2021 geht von der Prämisse aus, dass eine Reduktion der maximalen Klassengrösse einen Beitrag zur Steigerung der Unterrichtsqualität und des Lernerfolgs bei Schülerinnen und Schülern leisten würde. Diese Annahme erscheint, wie die vorliegende Beantwortung des Postulats durch die Regierung zeigt, lediglich auf den ersten Blick evident, hält einer eingehenden Prüfung jedoch nicht stand, zumal weitere signifikante Indikatoren hinsichtlich Unterrichtsqualität relevant respektive sogar wesentlich bedeutsamer sind.
In diesem Kontext wird in der Beantwortung zunächst aufgezeigt, dass die Klassen in Liechtenstein in der grossen und deutlichen Mehrheit im internationalen Ländervergleich bereits als "klein" zu bezeichnen sind. Die durchschnittliche Anzahl an Schülerinnen und Schülern liegt konstant unter 19. Durch den Besuch von Profilen, Leistungszügen und Wahlfächern sind die Klassengrössen häufig sogar noch tiefer. Eine Rückführung zur Regelung der Parallelklassenbildung anhand von Durchschnittszahlen würde - insbesondere an Gemeindeschulen und Sekundarschulen mit nur einer oder zwei Klassen pro Stufe - zu einer Ungleichbehandlung führen, da erst ab einer Schüleranzahl von 48 und mehr Schülerinnen und Schülern die Regelung ihre Wirkung entfalten würde.
Die Beantwortung des Postulats zeigt zudem, dass die Qualität des Unterrichts primär nicht von der Klassengrösse abhängt, sondern von einer Vielzahl anderer Faktoren, insbesondere vom Betreuungsverhältnis. Dieses ist in Liechtenstein im internationalen Vergleich als "sehr gut" zu bezeichnen. Des Weiteren ist die Entlastung der Lehrpersonen massgeblich für die Unterrichtsqualität, welche in Liechtenstein durch eine Reihe von Massnahmen erreicht werden soll. Hierunter fallen an die Pflichtlektionenzahl anrechenbare Tätigkeiten (z.B. Leitung einer Klasse), Beratung und Unterstützung im Rahmen der Fördermassnahmen, das Betriebliche Gesundheitsmanagement und die intensive Zusammenarbeit mit externen Fachstellen.
Gut ausgebildetes, kompetentes Lehrpersonal und der Einsatz von Hilfskräften im Unterricht haben einen grösseren und positiveren Einfluss auf die Weiterentwicklung der Förderung von Integration und Inklusion als die Bildung noch kleinerer Klassen. Bereits jetzt verfügen die Schulleitungen über einen gewissen
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Handlungsspielraum bei der Zuteilung zu den Klassen sowie der Zuteilung des Förderkontingents (Förderlektionen für die Schülerinnen und Schüler sowie Besprechungslektionen für das Lehrpersonal).
Die Auswirkungen von Reduktionen der oberen Richtzahl auf die Klassenbestände hätten je nach Reduktion einerseits teilweise Konsequenzen auf die Personalsituation an den Schulen, andererseits wären, wie die vorliegende Beantwortung detailliert darstellt, baulich-räumliche, infrastrukturelle sowie administrative Folgen mit einem teils sehr hohen Kostenfaktor unvermeidlich.
Aus diesen Gründen steht aus Sicht der Regierung die allgemeine Anpassung der oberen Richtzahlen der Klassengrössen zum direkten Nutzen für das Lehrpersonal sowie die Schülerinnen und Schüler in keinem Verhältnis. Stattdessen werden dem Hohen Landtag alternative Handlungsfelder aufgezeigt.
Zuständiges Ministerium
Ministerium für Äusseres, Bildung und Sport
Betroffene Stellen
Schulamt, Austrasse 79, 9490 Vaduz-
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Vaduz, 12. Juli 2022
LNR 2022-726
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehende Postulatsbeantwortung an den Landtag zu unterbreiten.
1.Anlass
Das "Postulat zur Klassengrösse an Liechtensteinischen Schulen" der Postulanten Albert Frick, Franziska Hoop, Johannes Kaiser, Wendelin Lampert, Daniel Oehry, Bettina Petzold-Mähr, Sascha Quaderer, Sebastian Schädler, Daniel Seger und Karin Zech-Hoop wurde am 20. Oktober 2021 eingereicht.
"Gestützt auf Artikel 44 der Geschäftsordnung des Landtages vom 19. Dezember 2012, LGBI. 2013 Nr. 9, reichen die unterzeichneten Abgeordneten folgendes Postulat ein und stellen den Antrag, der Landtag wolle beschliessen:
Die Regierung wird eingeladen, die bestehenden Grundlagen für die Festlegung der maximalen Klassengrössen auf allen Schulstufen zu überarbeiten, damit eine Reduktion der maximalen Klassengrössen erfolgen kann.
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Die Regierung wird eingeladen aufzuzeigen, welchen Einfluss kleinere Klassen auf die Weiterentwicklung der Förderung der Integration und Inklusion hat.
Die Regierung wird eingeladen aufzuzeigen, welche Anpassungen des Regelwerkes zur Parallelklassenbildung dazu führen würden, um der jeweiligen Schulleitung mehr Spielraum bei der Entscheidung zu erteilen.
Zusätzlich wird die Regierung eingeladen aufzuzeigen, welche Auswirkungen diese Anpassung hinsichtlich Kosten für alle Gemeinden und das Land Liechtenstein zur Folge hat."
Das Postulat wird wie folgt begründet:
"Die Regeln bezüglich Klassengrössen wurden nicht aus bildungspolitischen, sondern aus rein finanzpolitischen Überlegungen angepasst. Gemäss Bericht und Antrag 08/2016 "Abschlussbericht zum Projekt zur Sanierung des Landeshaushalts" legte die Regierung dem hohen Landtag umfangreiche Anpassungsvorschläge zur Sanierung vor, welche allesamt das Ziel verfolgten, den Staatshaushalt wieder ins Lot zu bringen.
Rückblickend sind die Postulant:innen der Ansicht, dass diese finanziellen Ein-schnitte notwendig waren. Die Umsetzung stellte für alle eine grosse Herausforderung dar, die Höhe der Summe was ausserordentlich und demzufolge war es sehr wichtig, dass alle Bereiche des Staatshaushaltes ihren Beitrag leisteten.
Mit Blick zurück war dieser Weg aus Sicht der Postulant:innen zielführend, denn dies führte dazu, dass die finanzpolitischen Eckwerte wieder eingehalten und der Staatshaushalt heute als saniert betrachtet werden kann.
Die Realisierung von Sanierungsmassnahmen in der Grössenordnung von 200 Mio. CHF basierte auf über 80 Einzelmassnahmen. Als Sanierungsbeitrag der Schulen wurde 2013 die Anpassung der Kriterien für die Bildung neuer Parallelklassen
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vorgenommen. Gemäss damaliger Modellrechnung lag das Potential der Erhöhung der Klassengrössen bei 2 Mio. CHF.
Als Richtwert für die Bildung neuer Parallelklassen wurde ab Sommer 2013 nicht mehr die vorgegebene Durchschnittszahl, sondern der obere maximale Klassen-grössenwert herangezogen. Seitdem dürfen zusätzliche Parallelklassen erst gebildet werden, wenn der obere Richtwert überschritten wird. Damals ging die Regierung davon aus, dass dies zu einer moderaten Erhöhung der durchschnittlichen Klassengrösse führen wird. Sie führte jedoch auch aus, dass damit keine Klassengrössen erreicht werden, die aus pädagogischer Sicht nicht zu verantworten wären.
Nach mehr als 8 Jahren Erfahrung mit diesem System und in Anbetracht der Tat-sache, dass der Staatshaushalt als saniert betrachtet werden kann, stellt sich für die Postulant:innen die Frage, welche Parameter bezüglich Klassengrösse die richtigen sind.
Die Bildungsministerin führt diesbezüglich anlässlich der Beantwortung der kleinen Anfrage der Abgeordneten Bettina Petzold-Mähr zur "Klassengrösse an unseren Schulen" vom 01.09.2021 aus, dass aus pädagogischer Sicht das Betreuungsverhältnis, also die Anzahl Schülerinnen und Schüler pro Lehrperson, die sinnvolle Vergleichsgrösse ist.
Auf die Frage bezüglich optimaler Klassengrösse zitiert die Bildungsministerin die Metastudie von John Hattie aus dem Jahre 2015. Gemäss John Hattie führt eine Reduktion von 25 auf 15 Schüler:innen zu einer Effektstärke von 0.21 und somit zu nur einem sehr geringen positiven Einfluss. Gemäss dieser Studie würde das bedeuten, dass die Klassengrösse damit den 113. Rang bei 150 Faktoren einnimmt.
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Aus Sicht der Postulant:innen ist darauf hinzuweisen, dass die Antwort nur einen Teil der Studienergebnisse darstellt und somit ein verzerrtes Bild der Frage des Nutzens der Klassengrösse darstellt.
Dr. Beat A Schwendimann (Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle des LCH - Dachverband der Lehrer:innen Schweiz) und Dr. Lucius Hartmann (Präsident des VSG -Verein Schweizer Gymnasiallehrer) widmen sich in der Ausgabe Gymnasium Helveticum 03/2020 auch der Frage zur Klassengrösse. Sie nutzen die Studienergebnisse von Hattie zur Argumentation, kommen aber zu anderen Erkenntnissen. Gemäss ihrer Auslegung stellt die Reduktion der Klassengrösse beim Element Strukturen nicht nur eine sinnvolle, sondern auch eine erfolgreiche Massnahme dar. Es gibt viele empirische Studien, die den Einfluss der Klassengrösse auf die Lernleistung untersucht haben.
Zusammenfassend kommen sie zum Schluss, dass in kleineren Klassen bessere Leistungen erbracht werden. Die Forschenden gehen von einem Richtwert von 20 Schüler:innen als Zielgrösse aus. Ausser der Lernleistung beeinflusst die Klassengrösse auch andere wichtige Faktoren, dazu gehören unter anderem die Chancengleichheit, die Belastung und Berufszufriedenheit der Lehrpersonen, die Raumgrösse und die Kosten.
Bildungsfremde Schüler:innen erzielen in kleinen Klassen zwei- bis drei-mal bessere Leistungen
Die Klassengrösse steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der zeitlichen und psychosozialen Belastung von Lehrpersonen
Schülerzentrierte Gruppenaktivitäten benötigen deutlich mehr Platz als der klassische Frontalunterricht und dies ist nur mit einer der Raumgrösse an-gemessenen Klassengrösse machbar
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Wenn selbst der VSG - Verein Schweizer Gymnasiallehrer eine mittlere Klassen-grösse im Gymnasium von 20 und eine maximale Klassengrösse von 22 Schüler:innen fordert, stellt sich für die Postulat:innen die Frage, warum diese Erkenntnisse nicht dazu führen, auch in Liechtenstein Anpassungen bei den maximalen Klassengrössen vorzunehmen.
Der 2021 veröffentlichte Bildungsbericht Liechtenstein des Liechtenstein-Institutes soll als Pilotstudie die Basis für weitere Bildungsberichte dienen, mit dem Zweck Stärken und Schwächen des Bildungssystems zu erfassen, um dieses in Folge zu verbessern.
In Kapitel 3 - Kindergarten und obligatorische Schule - wird zur Weiterentwicklung der Förderung der Integration und Inklusion ausgeführt, dass hier bereits schulgesetzliche Anpassungen angedacht sind, um die Tragfähigkeit dieser Stossrichtung sicherzustellen.
In Kapitel 4 - Effektivität, Effizienz und Equity des Bildungssystems - widmet sich der Bericht dem Einfluss der Klassengrösse. Die ruhigere Arbeitsatmosphäre oder bessere Möglichkeiten zur individuellen Förderung werden darin als wichtige Effekte genannt.
Weder stellt die Klassengrösse eine Stellgrösse dar, die sicher zur Steigerung der Qualität des Unterrichtes und zur Verringerung des Druckes auf Lehrpersonen beitragen kann.
Den Postulant:innen ist bewusst, dass es Länder mit grösseren aber auch mit klei-neren Klassen gibt. Bei der durchschnittlichen Klassengrösse liegt Liechtenstein im Vergleich zur Schweiz im Mittelfeld und im Vergleich zu Luxemburg zurück.
Die Erwartungen an den heutigen Unterricht fordern ein grösseres Platzangebot. Das Sitzen in Reih und Glied ist definitiv "out". Stattdessen sind Gruppentische für
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die Umsetzung kooperativer Aufgaben ebenso gefragt wie Lernnischen, Einzel-pulte, Möglichkeiten für Partnerarbeiten oder aber die Möglichkeit einen Klassenrat (Sitzkreis) durchzuführen im Sinne der Schülerpartizipation.
Fazit: Eine Reduktion der maximalen Klassengrösse wird einen Beitrag zur Steigerung der Unterrichtsqualität und des Lernerfolges bei Schüler:innen leisten. Gemäss VSG ist die Bildungspolitik gefordert, diese wissenschaftlichen Erkenntnisse und Forderungen aufzunehmen und im Schulalltag umzusetzen. Aus diesem Grund sind die Postulant:innen der Überzeugung, dass wir uns in Liechtenstein der Frage widmen müssen, welche Regeln wir bei der Festlegung der Klassengrössen in Zukunft anwenden, wie wir die Flexibilität für Schulleiter:innen erhöhen und welche Mittel wir diesbezüglich freigeben."
Der Landtag hat das Postulat am 01.12.2021 an die Regierung überwiesen.
Stichwörter
Anpas­sung der oberen Richtzahlen
Betreu­ungs­ver­hältnis
Ent­la­stung der Lehrpersonen
Postulat Klassengrösse
Reduk­tion
Stei­ge­rung Unterrichtsqualität