Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2016 / 124
Zurück Druckansicht Dokument als PDF Navigation anzeigen
Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Anlass
2.All­ge­meines
3.Beant­wor­tung des Postulates
II.Antrag der Regierung
 
2.2Begriffsbestimmungen
Wie die Diskussion im Landtag aufgezeigt hat, werden im Zusammenhang mit diesem Postulat die verschiedensten Begriffe verwendet. Dabei kann es sich um
15
Zielsetzungen, um Instrumente oder mögliche Ergebnisse handeln. Deshalb sollten die wichtigsten Begriffe möglichst klar definiert werden.
Der Begriff Bürokratie (frz. bureaucratie) wurde im 18. Jahrhundert in Frankreich geprägt und bereits kurz danach ins Deutsche übernommen. Das Kunstwort ist zusammengesetzt aus bureau und -cratie, das aus griech. krateia, Herrschaft, Gewalt, Macht' gebildet wurde. Wörtlich bedeutet Bürokratie also "Herrschaft der Verwaltung". Bürokratie ist die Wahrnehmung von Verwaltungstätigkeiten im Rahmen festgelegter Kompetenzen innerhalb einer festen Hierarchie. Der Soziologe Max Weber hat die Bürokratie als "rationale" Form der "legalen Herrschaft", auch für Unternehmen, bezeichnet und analysiert. Als Idealtypus der Bürokratie wird bei ihm die Behörde mit beruflichem Verwaltungsstab bezeichnet. Die Legitimation der bürokratischen (legalen) Herrschaft liegt in der rationalen Kompetenz des Vorgesetzten. Damit verhindert die Bürokratie Bevorzugung oder Benachteiligung Einzelner in Form von willkürlichen Entscheidungen, weil sich alle an die gleichen und rational begründeten Spielregeln, bzw. Gesetze (eine gesetzte Ordnung) halten müssen. Der Bürokratiebegriff Webers ist somit ein positiver.
Der Begriff der Bürokratisierung wird in einem negativen Kontext für verschiedene Phänomene verwendet, wie zum Beispiel übertriebene Hierarchisierung, langsame Bearbeitung von Fällen in der Verwaltung, Unpersönlichkeit und Unflexibilität in Bezug auf den Einzelfall, unverständliche Formulare oder zu viele Regeln und daraus folgende übertriebene Komplexität. In der Literatur werden drei Ebenen der Bürokratiekritik unterschieden: Die Aufgabenebene (Umfang der vom Staat bzw. von der öffentlichen Verwaltung wahrgenommenen Aufgaben), die Regulierungsebene (Anzahl und Dichte der Regulierungen bzw. der darin festgelegten materiellen Standards, Qualität der Regulierungen) und die Organi-
16
sationsebene (
Anzahl staatlicher Behörden, horizontale und vertikale Koordination, Merkmale der Ablauforganisation und des Personals, etc.)
Bürokratieabbau als Reformkonzept kann sich somit auf ganz verschiedene Ansätze und Massnahmen beziehen. Als Schlagworte sind Entbürokratisierung oder Bürokratieabbau politisch gut zu vermarkten, da sie an weit verbreitete Ressentiments und an tatsächlich existierende Belastungen von Bürgern und Unternehmen appellieren. Der Begriff Bürokratieabbau steht vor allem für den Abbau von staatlichen Aufgaben, Vorschriften und Personal und weniger für Qualitätssteigerung staatlicher Leistungserbringung. Daher wird kritisiert, dass der Begriff Bürokratieabbau populistisch verwendet wird und Vorurteile verstärkt, anstatt ihre Ursachen zu bekämpfen. Entbürokratisierung wird in der Praxis auch häufig in einem Atemzug mit "Massnahmen zur besseren Rechtsetzung" genannt.
"Bessere Rechtsetzung" (better regulation) hat sich seit den 1990er Jahre in vielen europäischen Ländern als Reformbereich etabliert. Es geht darum, Überregulierung zu vermeiden, die Gesamtzahl der Rechtsvorschriften überschaubar zu halten und die Qualität von Gesetzen zu verbessern. Qualitätsverbesserung bedeutet dabei vor allem, dass der Prozess der Auswahl einer Regelungsalternative auf möglichst umfangreichem Wissen über Effektivität, Effizienz und potentielle Problembereiche basieren soll. "Bessere Rechtsetzung" ist ein normatives Konzept, das im Detail politisch mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt wird. In der Literatur1 werden drei unterschiedliche Problemfelder genannt, auf die durch Ansätze der better regulation reagiert wird:
17
zu viele und zu bürokratische Regulierungen (Zielsetzung: weniger Regulierung);
Wissensdefizite regulativer Massnahmen (Ziel: Rationalisierung, Entpolitisierung und Beachtung wissenschaftlicher Expertise im Gesetzgebungsprozess);
Dominanz spezieller Interessen in Regulierungsprozessen (Ziel: Öffnung des regulativen Entscheidungsprozesses für unterrepräsentierte Interessen).
Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung sind somit weder identisch noch trennscharf voneinander abgrenzbar. Die gemeinsame Schnittmenge beider Konzepte besteht in Massnahmen, die versuchen, Bürokratie - beispielsweise in Form von durch Gesetze verursachten Informationspflichten von Unternehmen oder Bürgern - zu reduzieren, indem staatliche Rechtsvorschriften ex ante oder ex post bestimmten Prüfverfahren unterzogen werden. Beide Konzepte gehen jedoch weit darüber hinaus: Während Bürokratieabbau auch den gesamten Bereich des Vollzugs staatlicher Programme umfasst, versucht "bessere Rechtsetzung" die Strukturen und Prozesse der staatlichen Regelsetzung so zu gestalten, dass sowohl das Verfahren als auch die Ergebnisse (z.B. Gesetze) verschiedenen Anforderungen gerecht werden (z.B. demokratische Legitimität, Wissensbasiertheit, Effizienz).
Deregulierung wird unter Bürokratieabbau hinsichtlich des Abbaus von Regeln genannt. Die Absicht der Deregulierung im weiteren Sinne ist die Liberalisierung der Märkte, mit dem Ziel, Innovationen durch Wettbewerb zu fördern, Investitionen zu fördern und damit neue Arbeitsplätze zu schaffen, in den Unternehmen höhere Effizienz zu erreichen und dem Staat eine Entlastung der öffentlichen Haushalte zu ermöglichen.
18
Ansatzpunkte von Deregulierungen können die Stärke (Verringerung der Anzahl von Spezialvorschriften) und der Umfang (Verringerung der Anzahl der Bereiche) der Regulierung sein. Sie können sich auf Preise, Mengen, Normen, Vorschriften - wie z.B. Umweltschutzbestimmungen - beziehen. Begründet wird Deregulierung mit den Grenzen der Steuerbarkeit komplexer Prozesse. Geht die staatliche Regulierung zu weit, dann ergeben sich daraus negative mikro- und makroökonomische Folgen, die z.B. wirtschaftliche Aktivitäten verhindern oder in eine falsche Richtung lenken. Aus wettbewerbspolitischer Sicht soll mit Hilfe von Deregulierungen eine Beseitigung von marktwirtschaftlichen Verzerrungen erreicht werden.



 
1Bessere Rechtsetzung durch Befristungs- und Evaluationsklauseln? Bertelsmann Stiftung, Gutachten Frank Frick, Dr. Hendrik Brinkmann, Mai 2010, Seite 5 (http://www.bertelsmannstiftung.de/fileadmin/files/BSt/Presse/imported/downloads/xcms_bst_dms_31583_31584_2.pdftzung)
 
3.1Sunset Legislation
"Sunset Legislation heisst, dass neue Programme, Vorschriften usw. mit einem Verfallsdatum versehen werden und der ausdrücklichen Begründung bedürfen, wenn sie nach diesem Datum weiterhin in Kraft bleiben sollen. Es handelt sich also nicht schlicht um Gesetze auf Zeit, um zeitlich befristete Regelungen, sondern man will damit vor allem erreichen, dass das Programm nach einer bestimmten Zeit evaluiert wird und dass auch die Konsequenzen aus den Ergebnissen dieser Analyse gezogen werden, indem man die Auseinandersetzung mit ihnen im Zuge der Entscheidung über Fortführung oder Terminierung des Programms prozedural erzwingt." (Prof. Renate Mayntz, Gesetzgebung und Bürokratisierung (1980), 114)
Sunset Legislation weist somit zwei spezifische Merkmale auf. Einerseits die Bedrohung der vorzeitigen Beendigung, wodurch die Prämisse, dass Rechtsvorschriften grundsätzlich auf Dauer angelegt sind, ins Gegenteil verkehrt wird. In der Theorie soll dabei eine Beweislastumkehr in dem Sinne stattfinden, dass
19
einmal beschlossene Gesetze nicht mehr dauerhaft gelten bzw. der Verfall einer Norm nur verhindert werden kann, wenn der Beweis gelingt, dass sie sich in der Praxis bewährt hat.
Andererseits dient die Befristung aber nicht in erster Linie der Entbürokratisierung und Deregulierung. Vielmehr stellt die Befristung ein Instrument dar, das zur regelmässigen Überprüfung und Bewertung der Effektivität und Effizienz staatlicher Aufgaben verpflichtet. Im Mittelpunkt einer "Sunset Legislation" steht somit nicht der Bürokratieabbau, sondern die Pflicht zur periodischen Evaluationen.
3.1.1 Positive Aspekte von Sunset Legislation
Die Befürworter von Sunset Legislation gehen davon aus, dass durch die Einführung von Verfallsklauseln für Rechtsvorschriften eine unkontrollierte Zunahme von Regelungen verhindert wird, weil veraltete und unnütze Rechtsvorschriften automatisch ausser Kraft treten. Dabei wird angenommen, dass die mit der Befristung verbundene Beweislastumkehr in vielen Fällen zum Auslaufen der Norm führt.
Als weiterer positiver Aspekt wird das mit einer Sunset-Klausel regelmässig verknüpfte Evaluationsverfahren genannt. So kann die vermehrte Nutzung von Verfallsklauseln dazu führen, dass die organisatorischen und instrumentellen Voraussetzungen für die Entbürokratisierungspolitik insgesamt verbessert werden. Die an die Verfallsklauseln gekoppelten Evaluationspflichten können einen wesentlichen Beitrag zur Herausbildung von Expertise und Kultur der Evaluation in der Rechtsetzung und damit zu einer immer besseren Einschätzung von Kosten und/oder Nutzen von Regulierungen leisten.
Stichwörter
Büro­kra­tie­abbau (Postulatsbeantwortung)
Postu­lats­be­ant­wor­tung iS Bürokratieabbau
Sunset-Legis­la­tion (Vor­schriften mit Ver­fall­datum), Postulatsbeantwortung
Vor­schriften mit Ver­fall­datum (Sunset-Legis­la­tion), Postulatsbeantwortung