Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
zur Schaffung eines Strafrechtsanpassungsgesetzes (StRAG)
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Vaduz, 7. November 1984
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frau Abgeordnete
Sehr geehrte Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, Ihnen nachstehenden Bericht und Antrag zur Schaffung eines Strafrechtsanpassungsgesetzes (StRAG) zu unterbreiten:
Die von der Regierung eingesetzte Strafrechtskommission wurde auch mit der Ausarbeitung eines Entwurfs zu einem Strafrechtsanpassungsgesetz betraut. Die Strafrechtskommission legte am 21. Juli 1983 einen Entwurf zu einem Strafrechtsanpassungsgesetz samt Erläuterungen der Regierung vor. Dieser Entwurf wurde am 26. August 1983 von der Regierung an die interessierten Kreise in die Vernehmlassung gegeben. Das Vernehmlassungsergebnis wird im Rahmen der Erläuterungen der Gesetzesvorlage bei den einzelnen Bestimmungen berücksichtigt und dargestellt. Mit der Auswertung der Vernehmlassung wurde ebenfalls die Strafrechtskommission beauftragt, die ihre Stellungnahme am 12. Juni 1984 der Regierung unterbreitete.
Es mussten eine Reihe von Rechtsproblemen angegangen werden. Der liechtensteinische Gesetzgeber hat in den rund 1 1/2 Jahrhunderten nicht nur sehr unterschiedliche legislative Techniken angewandt, sondern auch nicht immer mit der wünschenswerten Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, ob er den Vollzug einer bestimmten Materie der Verwaltung oder der Gerichtsbarkeit zuweisen wollte. Es mussten daher zuerst jene Kompetenzzuweisungen, durch die die Ahndung bestimmter Verstösse nach dem Willen des Gesetzgebers der Verwaltung zugewiesen war, von jenen anderen Kompetenzzuweisungen getrennt werden, denen zufolge die Strafgewalt des Gerichts Platz zu greifen hatte. Nach dieser Trennung der strafrechtlichen Neben-
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vorschriften mussten die Gerichtsmaterien daraufhin untersucht werden, ob und inwieweit sie durch Normen des neuen Strafgesetzbuches gegenstandslos geworden waren. Dabei konnte eine Vielzahl strafrechtlicher Nebenvorschriften fallengelassen werden, weil ihre Straftatbestände ganz oder teilweise durch die neuen Bestimmungen des Strafgesetzbuches gegenstandslos geworden waren. In diesem Zusammenhang seien etwa die Straftatbestände" nach den Artikeln 5, 6 und 7 des Zins- und Wuchergesetzes vom 24. November 1921, LGBl. 1921 Nr. 24, den Artikeln 8, 9 und 10 des Gesetzes betreffend die Einführung der Frankenwährung vom 26. Mai 1924, LGBl. 1924 Nr. 8, der §§ 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60 Absatz 2, 61 und 62 der Schlussabteilung des Personen- und Gesellschaftsrechts vom 20. Jänner 1926, LGBl. 1926 Nr. 4, den Artikeln 1, 3, 4 Absätze 1 und 2 und den Artikeln 5, 6, 7, 8, 9, 10, 12, 14, 16, 25 und 27 des Staatsschutzgesetzes vom 14. März 1949, LGBl. 1949 Nr. 8, stellvertretend für viele andere Strafbestimmungen in strafrechtlichen Nebenvorschriften erwähnt, die nunmehr durch analoge Strafdrohungen im Strafgesetzbuch ihre abschliessende Regelung gefunden haben. Für jene in strafrechtlichen Nebenvorschriften enthaltenen Straftatbestände, die durch das neue Strafgesetzbuch nicht abgedeckt waren und für die eine Aufhebung nicht in Frage kam, mussten einheitliche Kriterien entwickelt werden, mit denen die aufrecht bleibenden Straftatbestände dem Strafensystem des Strafgesetzbuches angeglichen werden konnten. Es liegt auf der Hand, dass sowohl die Rechtssicherheit der Bürger als auch die Tätigkeit der Gerichte ein im Grundsätzlichen möglichst einheitliches Strafensystem erfordern.
Das geltende Strafgesetz teilt die strafbaren Handlungen ihrer Art nach in drei Gruppen ein: Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen. Diese Dreiteilung sollte, wie sich aus der historischen Entwicklung unmittelbar ergibt, ausschliesslich der Regelung der prozessualen Zuständigkeit dienen. Für die Einteilung war also nicht nur die Schwere der Tat, die sich in der Strafdrohung ausdrückt, massgebend, sondern es waren noch andere Erwägungen, wie die Häufigkeit der in
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Frage stehenden strafbaren Handlungen und das Mass, in dem öffentliche Interessen unmittelbar berührt waren, mitbestimmend. Im Gegensatz zu dem durch das neue Strafgesetzbuch geregelten Kernbereich des materiellen Strafrechts, der nur Verbrechen und Vergehen kennt, sind die durch das Strafrechtsanpassungsgesetz geregelten strafrechtlichen Nebenvorschriften, ausser den Verbrechen und Vergehen, tatbestandsmässig auch Uebertretungen, und zwar als besondere Kategorie strafbarer Handlungen ausgewiesen. Es gehört zu den liechtensteinischen Eigentümlichkeiten, dass seit langem Gesetze und Verordnungen die gerichtliche Strafbarkeit auch von Tatbeständen festgelegt haben, die in anderen Staaten nur als Verwaltungsübertretungen Ahndung finden. Der Begriff "Uebertretung" wurde aus der Terminologie des noch geltenden Strafgesetzes übernommen.
Für die Abgrenzung der Verbrechen von den Vergehen ist im Interesse einer möglichst weitgehenden und umfassenden einheitlichen Systematik sowohl für den Kernbereich als auch für den Randbereich des materiellen Strafrechtes die Geltung der Bestimmungen des § 17 StGB auch für den Bereich der strafrechtlichen Nebenvorschriften vorgesehen. Danach sind Verbrechen nur vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind. Alle anderen strafbaren Handlungen sind dagegen, soweit sie in den strafrechtlichen Nebenvorschriften nicht als Uebertretungen bezeichnet sind, Vergehen.
Es waren im weiteren auch die Strafdrohungen der im einzelnen vorgesehenen Straftatbestände an die Strafdrohungen der Regierungsvorlage zu einem Strafgesetzbuch anzupassen. Dies begegnete aus dreierlei Gründen nicht unbeträchtlichen Schwierigkeiten. Erstens waren die in den strafrechtlichen Nebenvorschriften für Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen vorgesehenen Strafsätze zu einem nicht unerheblichen Teil aus dem besonderen Geist oder aus der besonderen Situation der Stunde der Gesetzeswerdung heraus ohne Bedacht-
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nahme auf die vergleichbaren Strafbestimmungen des noch geltenden Strafgesetzes unsystematisch festgesetzt wurden. Zweitens erfolgte die Festsetzung der Strafdrohungen vornehmlich für den Bereich der Uebertretungen vielfach nach einem sehr starren Gefüge, das für die im konkreten Einzelfall zu treffende richterliche Entscheidung nicht jenen Wertungsraum eröffnete, der nach den modernen Erkenntnissen der Strafzumessung unbedingt notwendig ist, um der Schuld des Täters, dem Unrechtsgehalt der Tat und den Erfordernissen der Spezial- sowie Generalprävention angemessen Rechnung tragen zu können. Schliesslich führte der Entstehungszeitraum von 1 1/2 Jahrhunderten, den die Gesamtzahl der in Betracht kommenden strafrechtlichen Nebenvorschriften umfasst, bei den Strafdrohungen zum Teil auch rein rechnerisch zu gegenwartsfremden Ergebnissen. Auf diese Weise ist im Rahmen der strafrechtlichen Nebenvorschriften ein so zersplittertes Durcheinander von Strafdrohungen entstanden, dass es weitgehend der wünschenswerten kriminalpolitischen Symmetrie entbehrte. Um diese wieder herzustellen, mussten für die in den strafrechtlichen Nebenvorschriften enthaltenen Straftatbestände möglichst einheitliche Strafsätze geschaffen werden, wobei sich diese Strafsätze einerseits nach den Strafsätzen der Regierungsvorlage zu einem neuen Strafgesetzbuch für vergleichbare Rechtsgutverletzungen und andererseits nach dem Schweregrad der Rechtsgutverletzung des jeweils in Betracht kommenden Einzeltatbestandes zu orientieren hatten. Darauf waren die in den strafrechtlichen Nebenvorschriften weiterhin vorkommenden Straftatbestände jeweils einem systemkonformen Strafsatz zuzuweisen. Dies geschah der besseren Uebersicht und der leichteren Handhabung wegen nicht durch eine Einzelnovellierung der in Betracht kommenden Nebenvorschriften, sondern durch eine Gesamtnovellierung im Rahmen des Strafrechtsanpassungsgesetzes.
Ein Sonderproblem war, dass eine Reihe bisher geltender Strafdrohungen in einem und demselben Strafsatz sowohl Fälle einer vorsätzlichen wie auch einer fahrlässigen tatbestandsmässigen Handlungsweise
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in sich schlössen. Es hätte zu einer weiteren Zersplitterung und Unübersichtlichkeit der Materie geführt, wenn die bisher einheitlichen Strafsätze in eigene Strafdrohungen für vorsätzliche sowie für fahrlässige Handlungsweisen eingeteilt worden wären. Es wurden daher die einheitlichen Strafdrohungen für vorsätzliches und fahrlässiges Handeln belassen und lediglich bestimmt, dass in solchen Fällen bei fahrlässiger Verwirklichung des Tatbestandes die Strafobergrenze laut den in Betracht kommenden Anhängen zum Strafrechtsanpassungsgesetz auf die Hälfte herabgesetzt werde.
Nicht wenige strafrechtliche Nebenvorschriften enthalten Bestimmungen über Nebenstrafen, Strafverschärfungen und Ehrenfolgen einer Verurteilung, die in den in Betracht kommenden Bestimmungen des Allgemeinen Teiles der Regierungsvorlage zu einem neuen Strafgesetzbuch keine Deckung mehr finden. § 18 der Regierungsvorlage zu einem neuen Strafgesetzbuch sieht nämlich nurmehr eine einheitliche Freiheitsstrafe vor. Eine Verschärfung dieser Freiheitsstrafe wäre unzulässig. Damit stünde es in einem unlösbaren Widerspruch, wenn im Bereiche der strafrechtlichen Nebenvorschriften differenzierte Arten der Freiheitsstrafe weiterhin bestehen und überdies noch Verschärfungen dieser Freiheitsstrafen zugelassen würden. Was im Kernbereich der Strafrechtspflege nicht statthaft ist, darf selbstverständlich auch in den strafrechtlichen Randbereichen nicht rechtens sein. Gemäss § 20 der Regierungsvorlage zu einem neuen Strafgesetzbuch ist als einzige Nebenstrafe der Verfall von Geschenken oder anderen Zuwendungen von Geldeswert vorgesehen, die der Täter für die strafbare Handlung im voraus oder im Nachhinein empfangen hat. Dabei hat an die Stelle eines in natura nicht mehr vorhandenen Geschenkes oder einer in natura nicht mehr verfügbaren Zuwendung die Verpflichtung zur Zahlung eines wertentsprechenden Geldbetrages zu treten. Der Amtsverlust und andere Rechtsfolgen der Verurteilung haben in § 27 der Regierungsvorlage zu einem neuen Strafgesetzbuch eine umfassende Regelung gefunden. Danach tritt ein Amtsverlust nur mit der durch ein inländisches Gericht erfolgten Verurteilung wegen einer oder
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mehrerer mit Vorsatz begangener strafbaren Handlung zu einer mehr als einjährigen Freiheitsstrafe ein. Andere ausserhalb des Strafgesetzbuches gesetzlich vorgesehene Folgen einer strafgerichtlichen Verurteilung sollen nach fünf Jahren enden, soweit die betreffenden Gesetze nicht etwas anderes vorsehen. Auch hier soll die Regelung des strafrechtlichen Kernbereiches auch für den Bereich der strafrechtlichen Nebenvorschriften gelten. Allerdings sind wegen des grossen gesellschaftlichen Bereiches, der durch die strafrechtlichen Nebenvorschriften abgedeckt ist, gewisse Lockerungen dieses starren Systems angezeigt. Es wurden die Grenzen der notwendigen Lockerung so entwickelt, dass auch insoweit eine möglichst einfache und sichere Handhabung der in Betracht kommenden Bestimmungen möglich wird.