Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fuerstentums Liechtenstein
zur Schaffung eines neuen Heimatschriftengesetzes
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Vaduz, 29. Oktober 1985
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
sehr geehrte Herren Abgeordnete,
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag zur Schaffung eines neuen Heimatschriftengesetzes zu unterbreiten.
Bis ins 20. Jahrhundert war die Mobilität der liechtensteinischen Bevölkerung stark eingeschränkt. Reisen ins Ausland waren wenigen vorbehalten. Liechtensteiner, welche das Land verliessen, suchten entweder bei Saisonarbeit oder gar in Kriegsdiensten vorübergehend einen Broterwerb oder sie nahmen in der Hoffnung auf bessere wirtschaftliche Verhältnisse das Wagnis der Auswanderung in nahe oder ferne Länder auf sich. Auf diese Bedürfnisse waren auch die Heimatschriften ausgerichtet.
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Vorläufer der Heimatschriften waren handgeschriebene Schutz- und Geleitbriefe, welche über Jahrhunderte ausgestellt wurden und den Charakter von Empfehlungen hatten. In diesen von einflussreichen Persönlichkeiten ausgestellten Briefen wurden die Behörden ersucht, die Inhaber ungehindert an ein bestimmtes Reiseziel gelangen zu lassen.
Um 1800 wurden in Liechtenstein erstmals amtliche Pässe ausgestellt. In Form und Inhalt entsprachen sie aber noch der Tradition der Schutz- und Geleitbriefe. Die Pässe konnten sowohl an Liechtensteiner als auch an Ausländer ausgestellt werden. Landvogt Schuppler legte in der Zeit von 1808 bis 1827 erstmals ein Passregister an. Ungefähr um 1830 fanden dann erstmals Reisepässe auf amtlichem Formular Verwendung.
1859 verloren mit der Einführung des Wanderbuches für Handwerker und Arbeiter die Pässe vorübergehend ihre Bedeutung. Wanderbuch und Heimatschein genügten als Ausweis für die Nachbarstaaten.
Wesentliches Merkmal des Heimatschriftenwesens bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war, dass niemand Anspruch auf ein Dokument erheben konnte. Die Ausstellung der Heimatschriften konnte an Bedingungen wie die Entrichtung der Auswanderungsablösung gebunden werden. Die Behörden hatten es damit in der Hand, Ausreise und Auswanderung zu kontrollieren und lenken.
Für die Heimatschriften bestanden bis 1947 erstaunlich wenige gesetzliche Vorschriften. Das Heimatschriftenwesen wurde bis 1947 fast ausschliesslich durch Grundsatzentscheide des Landvogtes und später der Regierung geregelt. Eine Uebersicht über die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen ergibt folgendes Bild:
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1848 wurde eine Verordnung erlassen über die Abgabe von Reisepässen an Auswanderer. Diese Verordnung hatte bis 1864 Gültigkeit. Die Verordnung enthielt die Bestimmung, dass für die Auswanderung nach Amerika ein Reisepass oder ein Heimatschein erst ausgestellt werden durfte, wenn die Auswanderer die Ablösungssumme entrichtet hatten.
1858 wurde durch Verordnung festgelegt, dass schulpflichtigen Kindern nur mit Zustimmung des Ortsseelsorgers ein Heimatschein ausgestellt werden durfte. Kinder, die einen Reisepass haben wollten, mussten in Vaduz einen pfarramtlichen Bewilligungsschein vorweisen. Mit diesen Bestimmungen wollte man vor allem für eine bessere Durchsetzung der Schulpflicht sorgen.
1859 wurde die Verordnung betreffend die Einführung der Wanderbücher erlassen. Das Wanderbuch war für Handwerker und Arbeiter bestimmt, diente für die Reise und war dem Arbeitgeber bei Antritt einer Stelle abzugeben. Der Inhaber war verpflichtet, sich fleissig um Arbeit zu bewerben, sich vor Betteln und "bestimmungslosen Herumfagieren"zu hüten und im Falle von Krankheit sich die Verhinderung an der Arbeit durch die Ortsbehörde bestätigen zu lassen. Das Wanderbuch sollte offensichtlich der Bekämpfung des Vagabundenwesens dienen.
Am 11. Mai 1947 erliess der Landtag das heute noch in Kraft stehende Heimatschriftengesetz. Damit erhielt das Heimatschriftenwesen erstmals eine der damaligen Zeit entsprechende umfassende Regelung.