Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Schaffung eines Gesetzes über die Gewährung von Vorschüssen auf den Unterhalt von Familienangehörigen (Unterhaltsvorschussgesetz)
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Vaduz, den 18. November 1988
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
sehr geehrte Frau Abgeordnete,
sehr geehrte Herren Abgeordnete,
Die Regierung unterbreitet Ihnen einen Entwurf für die Erlassung eines Unterhaltsvorschussgesetzes aufgrund nachstehender Überlegungen:
Die Familie hat einen Funktionswandel von einer wirtschaftlichen Schicksalsgemeinschaft (auch zum Zweck der Altersvorsorge) hin zu einer emotional fundierten Lebensgemeinschaft vollzogen. Die Lebensgestaltung der Familien hat sich mit zunehmendem Bildungsniveau und auch durch die Berufstätigkeit der Frauen verändert. Die Anforderungen an die Familien haben sich durch den stetigen Wertwandel, durch soziale und ökonomische Veränderungen stark erhöht. Gleichzeitig haben alternative Lebensentwürfe an Attraktivität gewonnen.
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Zunehmende Verbreitung findet besonders bei jüngeren Paaren das partnerschaftliche Ehemodell, das durch den Wunsch der Frauen und teilweise auch der Männer nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf geprägt ist. Der Trend zu einer Aufgabenteilung zwischen Männern und Frauen auch in der Familie macht sich auch bei uns verstärkt bemerkbar.
Die ökonomische Bedeutung der Ehe ist zurückgegangen, die emotionale, persönliche Bindung zwischen den Partnern ist in den Vordergrund getreten. Dabei vergrössern sich die Erwartungen an Verständnisbereitschaft, Kommunikationsfähigkeit und Konfliktverarbeitung durch den Partner, was zu einer Überforderung der Beziehung und zu einer Vergrösserung der Konfliktanfälligkeit führen kann.
Diese Veränderung des Verhaltens in bezug auf Ehe und Familie geht zu einem grossen Teil auf langfristige Veränderungen zurück, die ein vielschichtiges Geflecht bilden. Wissenschaftliche Erklärungsansätze sprechen vom Einfluss der Modernisierung, Industrialisierung und der Urbanisierung.
Der Wandel von der Grossfamilie, in der mehrere Generationen zusammengelebt haben, hin zur Kernfamilie hat sich auch bei uns vollzogen. Das Zusammenleben mit anderen Verwandten wird immer seltener, auch verheiratete Kinder wohnen kaum noch in einem Haushalt mit Eltern oder Schwiegereltern. Es zeigt sich hierbei eine von allen Generationen bevorzugte Wohn- und Lebensform in der "Intimität auf Distanz", die gemeinsames Haushalten weitgehend ausschliesst, jedoch oft ein Wohnen im gleichen Haus oder in der Nachbarschaft bedeutet.
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Heute ist in Liechtenstein die häufigste Form die 2-Generationen-Familie mit den beiden Eltern und Kindern, gefolgt vom Einpersonen-Haushalt, den Ehepaaren ohne Kinder, den Alleinerziehenden und den Drei- und Mehr-Generationen-Haushalten.
Nicht eheliche Lebensgemeinschaften finden auch bei uns in Liechtenstein immer mehr Verbreitung. Der zahlenmässige Anstieg dieser Lebensform ist vor allem auf die starke Verbreitung unverheirateten Zusammenlebens in den jüngeren Altersstufen zurückzuführen, wobei es sich zumeist um ein voreheliches Zusammenleben handelt, das zu dem Zeitpunkt, an dem ein Kind gewünscht oder erwartet wird, in die Ehe einmündet.
Fällt nun heute ein Partner in dieser Kernfamilie aus, so kann der andere, nunmehr alleinstehende sich nicht ohne weiteres von einem grösseren Familienverband getragen wissen. Während im Bereich der Gesundheits- und Sozial Versorgung entsprechende Institutionen schnell Hilfe anbieten können (zum Beispiel Haushalthilfe, Familienhilfe, Haushilfedienst), so ist der nun alleinstehende Partner mit den Kindern besonders in materieller Hinsicht bei der Deckung des Lebensunterhaltes gefährdet. Kommt dann der zum Unterhalt verpflichtete Partner seinen Verpflichtungen nicht nach, so ist die Hilfe zum Lebensunterhalt im Sinne von Unterhaltsbevorschussung unumgänglich, insbesondere dann, wenn eine alleinerziehende Frau zum Beispiel solange nicht verpflichtet werden soll, einem Erwerb nachzugehen, wie sie sich der Kindererziehung widmen sollte und die Kinder ihrer Obhut und Aufsicht bedürfen.
Durch die zunehmende Zahl von Scheidungen werden alljährlich auch in Liechtenstein immer mehr Kinder zu Scheidungswaisen:
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Entwicklung Ehetrennungen seit 1977 |
Jahr | Gesamtbevölkerung | davon verheiratet, verwitwet, getrennt oder geschieden | davon getrennt oder geschieden (mit prozentuellem Anteil am nicht mehr ledigen Teil der Gesamtbevölkerung )
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1977 | 24 715 | 12 164 | 431 - 3,5 % |
1978 | 25 340 | 12 527 | 456 = 3,6 % |
1979 | 25 808 | 12 837 | 484 = 3,8 % |
1980 | 25 215 | 13 080 | 490 = 3,8 % |
1981 | 26 130 | 13 021 | 475 = 3,6 % |
1982 | 26 380 | 13 338 | 665 = 5,0 % |
1983 | 26 512 | 13 605 | 702 = 5,2 % |
1984 | 26 680 | 13 816 | 748 = 5,4 % |
1985 | 27 076 | 14 049 | 773 = 5,5 % |
1986 | 27 399 | 14 229 | 800 = 5,6 % |
1987 | 27 714 | 14 509 | 829 = 5,7 % |
Zudem nimmt die Zahl der ausserehelich geborenen Kinder zu. Somit haben immer mehr Kinder Anspruch auf Unterhaltsleistungen von jenem Elternteil, bei dem sie nicht leben oder nicht mehr leben. Mit der Bezahlung dieser Unterhaltsbeiträge ist es jedoch oft schlecht bestellt, weil zahlreiche Väter ihrer vertraglich oder gerichtlich festgelegten Pflicht unregelmässig, nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht nachkommen. Viele alleinstehende Mütter sind oft zu schüchtern, zu unerfahren oder resignieren zu schnell, um die ihren Kindern zustehenden Unterhaltsbeiträge mit der Möglichkeit des Schuldbetreibungsrechts einzufordern.
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Aus diesen Gründen ist es notwendig, dass das Gemeinwesen dem Kind vorschussweise auf Rechnung des säumigen Elternteils Unterhaltsbeiträge ausrichtet, auf welche das Kind aufgrund eines Gerichtsurteils oder eines vormundschaftlich genehmigten Vertrages Anspruch hat.