Bericht und Antrag der Fuerstlichen Regierung an den Hohen Landtag
betreffend das Zusatzprotokoll vom 5.Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) und das Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll II)
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Vaduz, den 3. Januar 1989
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
sehr geehrte Frau Abgeordnete,
sehr geehrte Herren Abgeordnete,
Die Regierung gestattet sich, Ihnen nachstehenden Bericht und Antrag betreffend das Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) und das Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll II) zu unterbreiten.
Das humanitäre Völkerrecht ist Teil des in bewaffneten Konflikten anwendbaren Rechts. Es betrifft Regeln der Kriegsführung (ius ad bellum) und lässt das Problem der Rechtmässigkeit eines bewaffneten Konflikts (ius ad bellum) ausser acht. Das humanitäre Völkerrecht dient dazu, die Grundrechte von Opfern bewaffneter Konflikte zu gewährleisten. So haben Verletzte Recht auf medizinische Pflege; Kriegsgefangene sollen in ihrer physischen und moralischen Integrität respektiert werden; Zivilpersonen haben ein Recht auf Schutz. Diese wohl für jeden einzelnen Menschen unbestrittenen Anliegen sind auf der Ebene von Regierungs- und Rotkreuzvertretern in mühsamer Arbeit zu international bindenden Konventionen verarbeitet worden. Hier sind seit dem Zweiten Weltkrieg insbesondere die vier Genfer Abkommen von 1949 zu erwähnen:
Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde,
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Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See,
Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen,
Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Zivilpersonen in Kriegszeiten.
Das Fürstentum Liechtenstein ist im Jahre 1950 Vertragspartei dieser Abkommen geworden (LGBl. 1950 Nr. 19).
Seit 1960 ist es auch Vertragsstaat des Haager Abkommens vom 14. Mai 1954 für den Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten, der zugehörigen Ausführungsbestimmungen und des zugehörigen Protokolls (LGBl. 1960 Nr. 17).
Im Bereich der Vereinbarungen zur Kriegsverhütung ist Liechtenstein im Jahre 1978 dem Vertrag vom 1. Juli 1968 über die Nichtverbreitung von Kernwaffen beigetreten (LGBl. 1978 Nr. 15).
Die vier Genfer Abkommen vom 12. August 1949 stützen sich auf Erfahrungen bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Ereignisse in den letzten Jahrzehnten haben zwar bewiesen, wie wertvoll das Recht der Genfer Abkommen ist, aber sie haben auch aufgezeigt, dass dieses Recht ergänzungsbedürftig ist. So hat sich der Charakter der Konflikte stark verändert: z.B. standen und stehen neue Kampfmittel im Einsatz, und der Guerillakrieg als Kampfmethode ist zu einem weltweiten Phänomen geworden.
Ausserdem ist zu bemerken, dass das eigentliche Recht der Kriegsführung seit dem Haager Abkommen von 1907 kaum mehr ergänzt worden ist.
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So entschloss sich der Schweizerische Bundesrat als Depositär der Genfer Abkommen Ende der sechziger Jahre, eine Diplomatische Konferenz zur Neubestätigung und Weiterentwicklung des in bewaffneten Konflikten anwendbaren humanitären Völkerrechts einzuberufen.
Die vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) einberufenen Regierungsexperten-Konferenzen von 1971 und 1972 erarbeiteten die Entwürfe zu zwei Zusatzprotokollen, die 1973 von der XXII. Internationalen Rotkreuzkonferenz in Teheran angenommen wurden. Diese zwei Entwürfe wurden zusammen mit den Erläuterungen des IKRK der Diplomatischen Konferenz von 1974 bis 1977 als Arbeitsgrundlage vorgelegt.
Nach vier in Genf abgehaltenen Sessionen verabschiedete die Diplomatische Konferenz, deren Arbeit sich auch des Interesses und der Unterstützung der Vereinten Nationen erfreuen konnte, ein Zusatzprotokoll über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I) und ein weiteres über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll II).Die entsprechende Schlussakte vom 10. Juni 1977 wurde von 102 Staaten einschliesslich Liechtensteins unterzeichnet.
Liechtenstein war an allen vier Sessionen der Diplomatischen Konferenz durch eine Delegation unter der Leitung von S.D. Prinz Nikolaus von Liechtenstein vertreten, welcher die beiden Protokolle am 12. Dezember 1977 für Liechtenstein unterzeichnete.
Derzeit sind 75 Staaten Vertragsparteien des Protokolls I und 66 Staaten Vertragsparteien des Protokolls II. Die Genfer Abkommen ihrerseits sind bisher von 165 Staaten ratifiziert worden.
Die Genfer Abkommen und die beiden Zusatzprotokolle bilden zusammen einen "monumentalen" Kodex, in dem der grösste Teil des humanitären Kriegsvölkerrechts niedergelegt ist. In den beiden Protokollen
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sind die zum Genfer Recht gehörenden Regeln über den Schutz der Kriegsopfer mit den Regeln über die Kriegführung, die bisher im Haager Kriegsrecht zu finden waren, zu einer Einheit verbunden. Das neue Genfer Recht bestätigt zum Teil geltendes Recht, zum Teil bringt es eine Ergänzung und Weiterentwicklung, die neuen Formen bewaffneter Konflikte, neuen Mitteln und Methoden der Kriegsführung wie auch neuen Möglichkeiten der Hilfeleistung Rechnung tragen.