Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend das 6. Zusatzprotokoll zur Europäischen Men- schenrechtskonvention vom 28. April 1983 über die Abschaffung der Todesstrafe
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Vaduz, den 26. Juni 1990
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
sehr geehrte Frau Abgeordnete,
sehr geehrte Herren Abgeordnete,
Die Regierung gestattet sich, Ihnen nachstehenden Bericht und Antrag betreffend das 6. Protokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention vom 28. April 1983 über die Abschaffung der Todesstrafe zu unterbreiten.
Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ist am 4. November 1950 in Rom unterzeichnet worden und am 3. September 1953 in Kraft getreten. Sie ist bisher durch zwei Erklärungen und acht Protokolle ergänzt worden.
Liechtenstein hat die EMRK am 8. September 1982 ratifiziert (LGBl. 1982 Nr. 60) und gleichzeitig das Recht auf Individualbeschwerde (Artikel 25 EMRK) und die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes (Artikel 46 EMRK) für jeweils drei Jahre anerkannt. Diese Anerkennungserklärungen sind regelmässig erneuert worden.
Weiters hat Liechtenstein die Protokolle Nr. 2 (Gutachter-Tätigkeit des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte), Nr. 3 und 5 (Verfahrensbestimmungen) ebenfalls am 8. September 1982 sowie Nr. 8 Beschleunigung des Verfahrens vor der Menschenrechtskonvention) am
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28. August 1985 ratifiziert. Die EMRK sowie die Protokolle 2, 3 und 5 sind mit Datum der Ratifizierung und das 8. Protokoll ist am 1. Januar 1990 in Kraft getreten.
Ferner hat Liechtenstein das 1. Protokoll (Ergänzungen der von der EMRK garantierten Rechte und Freiheiten) am 7. Mai 1987 unterzeichnet.
Als die EMRK geschaffen wurde, stand die Entwicklung der Abschaffung der Todesstrafe noch an ihrem Anfang. Artikel 2 der EMRK schützt das Recht jedes Menschen auf das Leben, lässt aber die Todesstrafe ausdrücklich zu.
Das vorliegende Protokoll Nr. 6 verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Abschaffung der Todesstrafe, es macht aber dabei eine Ausnahme für Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr. Das Protokoll steht am Ende einer langen Entwicklung und ist die Krönung der Bestrebungen zur Abschaffung der Todesstrafe in den Mitgliedstaaten des Europarates: Es ist das erste völkerrechtliche Abkommen, das deren Beseitigung für die Vertragsparteien zur rechtlichen Verpflichtung erhebt.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarats und die europäischen Justizminister hatten den entscheidenden Anstoss dazu gegeben. Die Versammlung hat wiederholt Resolution angenommen, in denen die Abschaffung der Todesstrafe in den Mitgliedstaaten gefordert wurde, zuletzt 1980 aufgrund eines Berichts des schwedischen Abgeordneten Lidbom (Resolution 727/1980 und Empfehlung 891/1980).
Die europäischen Justizminister haben an ihrer 11. Tagung im Juni 1978 in Kopenhagen dem Ministerkomitee des Europarates empfohlen, die zuständigen Stellen des Europarates mit der Prüfung der Frage der Todesstrafe zu beauftragen. An ihrer 12. Tagung im Mai 1980 in
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Luxemburg haben sie sich mit den Ergebnissen dieser Arbeiten sowie der Empfehlung 891/1980 der Parlamentarischen Versammlung befasst und als Ziel die Abschaffung der Todesstrafe in Westeuropa gesetzt. In der Empfehlung an das Ministerkomitee des Europarates sprachen sie sich dafür aus, dass entsprechende europäische Normen ausgearbeitet werden sollten.
An der 337. Sitzung der Ministerdelegierten im September 1981 hat das Ministerkomitee das Direktionskomitee für Menschenrechte beauftragt, den Entwurf eines Zusatzprotokolls zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe auszuarbeiten. Den in der Folge ausgearbeiteten Entwurf eines 6. Zusatzprotokolls zur EMRK hat das Ministerkomitee an seiner 354. Sitzung im Dezember 1982 verabschiedet.
Das 6. Zusatzprotokoll ist am 28. April 1983 zur Unterzeichnung aufgelegt worden. In Kraft getreten ist es am 1. März 1985. 14 Staaten haben es bisher ratifiziert, 3 Staaten haben es unterzeichnet. Die Unterzeichnung durch Liechtenstein wird zusammen mit der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde erfolgen.