Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
zur Schaffung eines Waldgesetzes
2
Vaduz, 23. Oktober 1990
P
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
sehr geehrte Frau Abgeordnete,
sehr geehrte Herren Abgeordnete,
Die Regierung gestattet sich, Ihnen nachstehenden Bericht und Antrag zur Schaffung eines Waldgesetzes zu unterbreiten.
Der Wald bildet unterhalb der Waldgrenze das natürliche Endglied in der Vegetationsentwicklung. Die Vielzahl unterschiedlicher Geländeformen und die infolge unterschiedlicher standörtlicher Verhältnisse gebotene Lebensraumvielfalt geben auf kleinem Raum einer reichen Zahl von Waldgesellschaften Lebensmöglichkeiten, die wir in Nachachtung der zu erbringenden Waldfunktionen durch eine naturnahe Waldpflege zu erhalten verpflichtet sind.
Die nun aber seit Jahren stark zunehmende anthropogene Belastung der Umwelt und dabei insbesondere der Luft und des Bodens führt neben weiten Teilen Europas auch in Liechtenstein zu Waldschäden. Die Ergebnisse der Waldschadenuntersuchungen im Rahmen des Programmes "Gesunder Wald" weisen einen zunehmenden Anteil geschädigter Bäume seit dem Jahre 1983 nach. Die Schadenzunahme ist dabei im Berg- und Alpengebiet am grössten. Die Überlagerung der durch Luftschadstoffe wesentlich mitverursachten Walderkrankung auf die
3
ohnehin schweren Lebensbedingungen des Gebirgswaldes zeigt gerade dort ernste Auswirkungen. Die geschwächten Bäume werden nämlich nachgewiesenermassen vermehrt von Krankheiten und Schädlingen befallen und gehen zusätzlich daran ein. Gerade in den Trockenjahren 1984 - 1987 traten überdurchschnittlich viele Infektionskrankheiten auf, welche zu hohen Zwangsnutzungen führten.
Waldschäden mannigfacher Art bedrohen den Wald als naturnahe Lebensgemeinschaft in der langfristigen Erfüllung seiner vielfältigen Aufgaben (Waldfunktionen), gefährden eine ökologisch ausgerichtete Waldwirtschaft und stellen selbst die Walderhaltung in Frage. Sie können zusammen mit den weiterhin wirkenden naturbedingten Gefahren das in den letzten Jahrzehnten Erreichte gefährden. Die gezwungenermassen einseitige Ausrichtung der Waldpflege auf die Eindämmung von Schäden lässt eine wesentliche Einschränkung der Waldpflege nach waldbaulich-ökologischen Grundsätzen befürchten. Die Strukturen der Waldbestände werden langfristig gestört, sodass vor allem im Gebirgswald die Schutzfunktion in Frage gestellt werden muss. Da die Bewohnbarkeit aller am rheintalseitigen Westhang gelegenen Siedlungen und der Alpenweiler in hohem Masse von der Schutzwirkung des Waldes abhängt, kommt der Walderhaltung eine existentielle Bedeutung zu.
Die Waldwirtschaft trägt eine grosse Verantwortung für unseren einzigen erneuerbaren, einheimischen Rohstoff, der zudem kaum Entsorgungsprobleme liefert, im Gegenteil, bei der Produktion noch Sauerstoff erzeugt. Die Wald- und Holzwirtschaft bieten auch in Liechtenstein einer stattlichen Anzahl Personen Beschäftigung auf unterschiedlichen Stufen. Die Wald-
4
und Holzwirtschaft, welche für die Versorgung des Landes mit Holz in normalen Zeiten und in Mangel- und Krisenlagen verantwortlich sind, bilden somit einen wichtigen Bestandteil unserer Volkswirtschaft.
Die heute erweiterte Aufgabe der qualitativen Walderhaltung sowie das immer weiter auseinanderklaffende Verhältnis zwischen Aufwand und Holzertrag bringen die Forstbetriebe, insbesondere den Privatwald und die Alpgenossenschaften, in eine bedrohlich defizitäre Lage, sodass die Ausübung ihrer wichtigsten Aufgaben, die Förderung der Lebenskraft des Waldes und seiner Schutz- und Wohlfahrtswirkungen, nicht mehr sichergestellt ist. Der Erhaltung aller Waldfunktionen, vor allem der Schutzfunktion, kommt jedoch nationale Bedeutung zu, und sie kann nicht mehr allein den Waldeigentümern überbürdet werden.
Im Natur-, Landschafts- und Umweltschutz und als Lebensraum für die jagdbaren Tierarten spielt der Wald die massgebende Rolle. Durch seine Ausdehnung und räumliche Verteilung, durch seine noch mehrheitlich naturnahen Strukturen und durch seine Vielfalt an unterschiedlichen Kleinlebensräumen prägt er nicht nur das Landschaftsbild, sondern bietet einer vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt den notwendigen Lebensraum. Die Bemühungen der letzten Jahrzehnte um den Schutz der Pflanzen- und Tierarten konnten gerade im Wald auch deutlichen Erfolg zeitigen, wo die Voraussetzungen dafür grossflächig in entsprechenden Lebensräumen vorhanden waren oder durch eine naturnahe Waldpflege neu geschaffen wurden. Unsere Wälder waren nämlich ehemals durch Übernutzung, Kahlschlag, Waldweide und sonstige waldschädigende Nebennutzungen nicht nur als solche gefährdet, sondern stellten auch den darin lebenden Pflanzen- und Tierarten die Ueber-
5
lebensfrage. Die Wahlordnung vermochte diesen übertriebenen Nutzungen weitgehend zu begegnen und damit auch wieder günstige Lebensbedingungen für Pflanzen- und Tierarten und insbesondere für das Schalenwild zu schaffen. Eine ganz andere Entwicklung kennzeichnet das landwirtschaftlich genutzte Gebiet seit dem Beginn der Fünfzigerjahre. Die Meliorationen und Zusammenlegungen, der Einsatz von Maschinen, Düngern und Pestiziden haben zu einem Schwund und einer Verarmung der Lebensräume von Wildpflanzen und Wildtieren geführt, die sich am Verschwinden und dem Niedergang mancher Arten der offenen Landschaft drastisch nachweisen lassen. Anhand dieser gegenläufigen Entwicklung lassen sich mit eindringlicher Deutlichkeit die Grenzen dessen erkennen, was reine Artenschutzbestimmungen für sich allein zu leisten vermögen. Diese Erkenntnisse müssen aber auch Anlass genug sein, im Rahmen von Überlegungen um den Wald und die Waldbewirtschaftung der Zukunft die wildlebenden Pflanzen- und Tierarten ihrer Daseinsberechtigung wegen gebührend einzuschliessen.
Für den erholungssuchenden Menschen erweist sich der Wald als Naturoase von ständig zunehmender Bedeutung. Denn mit seiner ursprünglichen Schöpfungsgestalt birgt der Wald eine gesundmachende Kraft für den Geist des Menschen, die es zu beachten und bewahren gilt.
Eine äusserst restriktive Anwendung von Fremdstoffen (Chemikalien, Düngern, Pestiziden) im Wald gewährleistet ausserdem nicht nur die Erhaltung von qualitativ hochwertigem Trinkwasser, sondern die Erhaltung von Waldqualität im ökologischen Sinne schlechthin.
6
Alle diese Wohlfahrtswirkungen des Waldes lassen sich nicht messen. Es sind immaterielle Leistungen, welche ein gesunder Wald allein durch seine Existenz und sein Erscheinungsbild erbringt. Nutzniesser dieser immateriellen Leistungen des Waldes ist der Mensch landesweit. Auch deshalb ist die Walderhaltung eine Staatsaufgabe höchster Priorität.