Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
zur Ehe- und Familienrechtsreform
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Vaduz, 26. Februar 1991
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
sehr geehrte Frau Abgeordnete,
sehr geehrte Herren Abgeordnete,
Die Regierung gestattet sich, Ihnen nachstehenden Bericht und Antrag zur Ehe- und Familienrechtsreform zu unterbreiten.
Ausgehend vom Bericht der Regierung an den Landtag zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 3. Mai 1988 und der dazu geführten Landtagsdebatte vom 25. Mai 1988 kann zusammenfassend festgehalten werden, dass im wesentlichen Übereinstimmung über die Verwirklichung des sogenannten "Partnerschaftsprinzips" im Zusammenhang mit der in Betracht kommenden Neuregelung der persönlichen Rechtsbeziehungen der Ehegatten herrschte. Dies insbesondere deshalb, weil sich die diesbezüglichen Vorschriften der novellierten schweizerischen und österreichischen Rechtsordnungen inhaltlich weitestgehend gleichen und nur gewisse Unterschiede in wenigen wichtigen Detailbestimmungen bzw. in der Terminologie aufweisen. Es erschien daher im grossen und ganzen unbedenklich, die liechtensteinische Ehe-
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und Familienrechtsreform auf der Grundlage einer Rezeption des schweizerischen oder aber des österreichischen Rechts weiterzuführen. Hingegen wurde in bezug auf die güterrechtliche und erbrechtliche Seite der Reform auf gewichtige Unterschiede zwischen der schweizerischen und österreichischen Lösung hingewiesen. Denn nach der schweizerischen Lösung sollte auf der Grundlage des gesetzlichen Güterstandes der Errungenschaftsbeteiligung eine Aufteilung im Verhältnis von 1 : 1 nicht nur im Falle der Auflösung der Ehe kraft Richterspruches, sondern auch bei einer solchen von Todes wegen eintreten. Auch bei aufrechter Ehe sollte daher nach dem Tode eines Ehegatten dem überlebenden anderen Ehegatten zunächst die halbe eheliche Errungenschaft zufallen. Nur die zweite Hälfte fiele daher in den Nachlass und würde vom gesetzlichen Erbrecht und Pflichtteilsanspruch erfasst. Die österreichische Lösung sieht dagegen eine güterrechtliche Auseinandersetzung der Ehegatten im Sinne einer Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse ausschliesslich nach einer Eheauflösung kraft Richterspruches vor. Wird jedoch die Ehe durch den Tod aufgelöst, so fällt das Gesamtvermögen des verstorbenen Ehegatten in den Nachlass und der überlebende Ehegatte kann daran nur nach Massgabe seines gesetzlichen Erbrechtes bzw. Pflichtteilsrechtes partizipieren. Dazu wurde im Bericht der Regierung an den Landtag zur Reform des Ehe- und Familienrechts vom 3. Mai 1988 (Nr. 11/1988) unter gewissenhafter Abwägung aller dafür und dagegen sprechenden Umstände die Auffassung vertreten, dass der österreichischen Regelung mit Rücksicht auf die Interessen der Kinder, die im
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Zuge einer Familienrechtsreform nicht vernachlässigt werden dürften, der Vorzug zu geben sei. Dies vor allem auch unter Bedachtnahme auf die Tatsache, dass der in die Gesetzesänderung einzubeziehende Normenbestand seit dem Jahre 1812, also seit mehr als 175 Jahren, im wesentlichen auf einer Rezeption österreichischen Rechts, nämlich des ÖABGB, beruhe und auch heute noch immer darauf aufbaut. Die schweizerische güter- und erbrechtliche Lösung würde daher in einem weit umfangreicheren Masse Gesetzesänderungen notwendig machen als eine Reform durch Rezeption österreichischen Rechts. Im Bericht vom 3. Mai 1988 an den Landtag vertrat die Regierung ferner die Auffassung, dass einer grossen Reform "in einem Zuge" gegenüber einer Reform "in mehreren kleineren Schritten" der Vorzug zu geben sei. Dies insbesondere aus der Erwägung heraus, dass eine Reform in mehreren kleineren Schritten teilweise mehrfache Änderungen einzelner Bestimmungen, je nach Massgabe des Fortschreitens der Reform, notwendig mache. In diese Gesamtreform sei im übrigen auch das Recht der unehelichen Kinder miteinzubeziehen, da ihre im gegenwärtigen Recht enthaltenen Diskriminierungen nicht länger aufrecht erhalten werden könnten. Mit Rücksicht auf die in Angriff zu nehmende Gesamtreform des liechtensteinischen Ehe- und Familienrechts empfehle es sich schliesslich auch, die bereits vorliegenden Gesetzesentwürfe zur Abänderung des Vormundschafts-, Beistandschafts- und Kuratelsrechts (vom 23. September 1986) einerseits sowie des gesetzlichen Erbrechts der Ehegatten, des Pflichtteilsrechts sowie des Rechts der Ehepakte und des ehelichen Güter
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rechts (vom 25. November 1986) andererseits nicht weiterzuverfolgen.
Dieser Vorschlag fand nicht die Zustimmung des Landtages. Dieser vertrat vielmehr die Auffassung, dass die Reform des Vormundschaftsrechts einschliesslich jener des Rechts der Beistandschaft und der Kuratelen so vordringlich sei, dass damit nicht länger zugewartet werden könne. Dieser Reformschritt müsste daher gegenüber der allgemeinen Ehe- und Familienrechtsreform, selbst unter Inkaufnahme des Risikos nochmaliger Änderungen, vorweggenommen werden. Auf diese Weise kam es zur Beschlussfassung des Gesetzes vom 18. Oktober 1988 über die Abänderung des Dritten und Vierten Hauptstückes des Ersten Teiles des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches und der Schlussabteilung des Personen- und Gesellschaftsrechtes, LGBl. 1988 Nr. 49. Dies allerdings vorbehaltlich einer in Angriff zu nehmenden Gesamtreform.
Gegenstand dieses Berichtes ist nunmehr die abschliessende Gesamtreform. Diese soll im Sinne des Berichtes der Regierung vom 3. Mai 1988 an den Landtag aus Gründen der liechtensteinischen Rechtstradition und unter Bedachtnahme auf die Herkunft des zu ändernden Normenbestandes soweit als möglich auf der Grundlage der österreichischen Ehe- und Familienrechtsreform erfolgen. Die schweizerische Lösung soll dagegen nur für jenen Normenbereich beibehalten werden, in denen sich das liechtensteinische Recht schon heute nach schweizerischen Vorbildern orientiert. Nur auf diese Weise kann eine allen Bewohnern in gleicher Weise dienliche und auch
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gerichtlich durchsetzbare einheitliche Kodifikation sichergestellt werden, die unsaubere und daher konfliktsträchtige Nahtstellen hintanhält.
Unabhängig davon, ob nun die neuen liechtensteinischen gesetzlichen Bestimmungen auf der Rezeption österreichischen oder aber schweizerischen Rechts beruhen, soll die Reform in erster Linie die Grundsätze des Partnerschaftsprinzips und der Gleichberechtigung von Mann und Frau verwirklichen. Deshalb wird auch so weit als möglich eine geschlechtsneutrale Fassung der in Betracht kommenden Gesetzesbestimmungen angestrebt.
Auf dieser Grundlage erfasst die liechtensteinische Ehe- und Familienrechtsreform im wesentlichen drei Normenbereiche, nämlich in bezug reiner Persönlichkeitsrechte das Personen- und Gesellschaftsrecht, in Ansehung der Bestimmungen über die persönlichen Rechtswirkungen der Ehe sowie über das Trennungs- und Scheidungsfolgenrecht das Ehegesetz und schliesslich in bezug auf das Kindschafts- und Vormundschaftsrecht, das Erbrecht und eheliche Güterrecht das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch.
Ergänzungsbedürftig sind weiters die Vorschriften über das zivilgerichtliche Verfahren, soweit die geänderten neuen Bestimmungen zusätzlichen Rechtsschutz seitens der Gerichte vorsehen.