Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend den Beitritt des Fürstentums Liechtenstein zum Übereinkommen zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA)
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Vaduz, den 11. Juni 1991
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
sehr geehrte Frau Abgeordnete,
sehr geehrte Herren Abgeordnete,
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehend den Bericht und Antrag betreffend den Beitritt des Fürstentums Liechtenstein zum Übereinkommen zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) vom 4. Januar 1960 zu unterbreiten.
Im ersten umfassenden Bericht der Regierung an den Landtag über das Fürstentum Liechtenstein und die Europäische Integration vom 7. November 1989 (Nr. 45/1989) wurde aufgrund detaillierter Analyse in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht die Notwendigkeit der Teilnahme Liechtensteins am europäischen Integrationsprozess klar bejaht und die Wünschbarkeit, Partner bei einem anfälligen Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den EFTA-Staaten zu sein, festgehalten. Im Bewusstsein, dass die Entwicklung der europäischen Integration von vielen nicht planbaren Faktoren abhängig ist - es wurde insbesondere hingewiesen auf die Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa, auf eine längerfristig nicht auszuschliessende Bewerbung des Zoll Vertragspartners Schweiz um eine EG-Mitgliedschaft sowie auf die mögliche Veränderung der Europäischen Gemeinschaft selbst - hatte sich die Regierung grundsätzlich für ein Offenbleiben für verschiedene Lösungen ausgesprochen und eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Europäischen Gemeinschaft grundsätzlich als notwendig erachtet.
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In Übereinstimmung mit dem Zollvertragspartner, der Schweiz, und im Einverständnis mit den übrigen EFTA-Mitgliedstaaten, hat eine liechtensteinische Verhandlungsdelegation seit Beginn der Aufnahme der vom Präsidenten der EG-Kommission, Jacques Delors, vorgeschlagenen Gespräche bezüglich einer strukturierteren Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den EFTA-Ländern und in der Folge an den Verhandlungen zur Schaffung eines Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) teilgenommen. Im Einverständnis mit allen Verhandlungspartnern, den sechs EFTA-Mitgliedstaaten und der Europäischen Gemeinschaft, war Liechtenstein bei der Aufnahme der offiziellen EWR-Verhandlungen am 20. Juni 1990 siebter Verhandlungspartner auf EFTA-Seite, im Hinblick darauf, Vertragspartner des EWR-Vertrages zu werden.
Dieser Sonderstellung unter den EFTA-Mitgliedstaaten und der dadurch besonderen rechtlichen und institutionellen Situation bewusst, war liechtensteinischerseits der Wunsch und die Bereitschaft ausgesprochen worden, Modalitäten und Zeitpunkt einer Verstärkung und vertraglichen Verankerung der Beziehungen mit der Europäischen Freihandelsassoziation im Lichte des weiteren Verlaufes der EWR-Verhandlungen zu fixieren.
Mit dem Abschluss der zwei dreiseitigen Zusatzabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) bzw. den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), der Schweiz und Liechtenstein zu den Freihandelsabkommen der EFTA-Länder mit den Europäischen Gemeinschaften 1972 war für Liechtenstein eine erste Integrationsetappe gegeben, welche kontinuierlich weiterentwickelt wurde. Die im Laufe der Zeit wachsende Mitarbeit hat eine formelle und volle EFTA-Mitgliedschaft vorbereitet, wobei die Europäische Integrationsdynamik im allgemeinen, nicht zuletzt aber die EWR-Verhandlungen im besonderen diesen Wunsch zusätzlich verstärkt haben.
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Nachdem der bilaterale Zoll vertrag mit der Schweiz diese ermächtigt, für Liechtenstein Handels- und Zollverträge abzuschliessen, und auch Grundlage für das Protokoll über die Anwendung des Übereinkommens zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation auf das Fürstentum Liechtenstein war, wurde in zwei Verhandlungsrunden eine Ergänzung des Zollvertrags durch einen Artikel 8bis vereinbart, welche eindeutig festlegt, dass Liechtenstein im Rahmen der vom Zollvertrag abgedeckten Bereiche auch selbst Vertragspartner von Zoll- und Handelsübereinkommen und Mitglied von internationalen Organisationen werden kann, sofern auch die Schweiz diesen Übereinkommen bzw. Organisationen angehört (vgl. Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag vom 12. April 1991, Nr. 6/91).
Die EFTA wird, unabhängig vom Zustandekommen des EWR-Vertrages, auch in Zukunft im europäischen Integrationsprozess eine wichtige Rolle wahrnehmen. Beim Zustandekommen des EWR-Vertrages wird sie neue und zusätzliche Funktionen zu übernehmen haben. Wenn nicht alle EFTA-Staaten dem EWR-Vertrag beitreten, wird die EFTA für die dem EWR-Vertrag nicht beitretenden Staaten auch künftig als Basis für die Integration dienen. Auch in souveränitätspolitischer Sicht stellt sich für die Regierung der Beitritt zur EFTA als logischer und konsequenter Schritt im Rahmen der liechensteinischen Integrationsbemühungen dar.
Am 1. März 1991 hat die Regierung dem EFTA-Ministerrat ihren Antrag auf Vollmitgliedschaft in der EFTA, d.h. auf den Beitritt zum Übereinkommen zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (Stockholmer Konvention) unterbreitet. In zwei Treffen zwischen Vertretern der EFTA und Liechtensteins wurden sodann die näheren Einzelheiten und Bedingungen für den Beitritt festgelegt und dem EFTA-Rat gemäss Art. 41 Abs. 1 der Stockholmer Konvention zur Beschlussfassung vorgelegt.
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Dieser Beschluss wurde am 22. Mai 1991 in Wien anlässlich der regulären EFTA-Ratstagung auf Ministerebene genehmigt und tritt voraussichtlich am 1. September 1991 in Kraft, sobald Liechtenstein und, sofern notwendig, die Mitgliedstaaten ihre verfassungsgemäss notwendigen Verfahren vollendet haben.