Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fuerstentums Liechtenstein
zum Gesetz über die Abänderung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (Arbeitsvertragsrecht)
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Vaduz, 3. November 1992
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frau Abgeordnete,
Sehr geehrte Herren Abgeordnete,
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag zu einem Gesetz über die Abänderung des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (Arbeitsvertragsrecht) zu unterbreiten:
Art. 69 des EWR-Abkommens verpflichtet die Vertragsstaaten, die Anwendung des Grundsatzes der Gleichstellung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern bei der Entlöhnung für gleiche Arbeit sicherzustellen. Gemäss ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofe der EG kann diese Bestimmung direkt vor den nationalen Gerichten und öffentlichen Behörden geltend gemacht werden und zwar sowohl bei gleicher wie gleichwertiger Arbeit. Diese Interpretation durch den EG-Gerichtshof ist gemäss Art. 6 EWR-Abkommen zu übernehmen.
In Ausführung dieses Grundsatzes wurden in das EWR-Abkommen zwei bedeutende EG-Richtlinien zur Gleichstellung einbezogen. Es ist dies die Richtlinie vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (75/117/EWG) und die Richtlinie vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zuganges zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug
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auf die Arbeitsbedingungen (76/207/EWG). Richtlinien sind nach EWR-Recht Erlasse, die die EWR-Staaten zur Rechtssetzung verpflichten.
Die beiden umzusetzenden Richtlinien werden abgekürzt Lohngleichheitsrichtlinie und Benachteiligungsverbotsrichtlinie genannt. Art. l der Lohngleichheitsrichtlinie schreibt die Beseitigung jeder Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in bezug auf sämtliche Entgeltungsbestandteile und -bedingungen vor. Art. 2 der Richtlinie bestimmt, dass der Anspruch auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeit klagbar wird. Art. 3 verpflichtet die Mitgliedstaaten, alle mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts unvereinbaren Diskriminierungen zwischen Männern und Frauen, die sich aus Rechts- oder Verwaltungsvorschriften ergeben, zu beseitigen. Art. 4 bestimmt, dass auch mittels Gesamtarbeitsverträgen vom Gebot des gleichen Lohns bei gleicher Arbeit nicht abgewichen werden darf. Die restlichen Artikel (Art. 6 bis 10) verpflichten die Mitgliedstaaten zur Umsetzung der genannten Grundsätze.
Noch weiter als die Lohngleichheitsrichtlinie wirkt die Richtlinie über das Benachteiligungsverbot. Sie erfasst nicht nur den Lohn, sondern will die Bedingungen, die zu einer tatsächlichen Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt führen, durch Rechtsvorschriften beseitigen. Art. 2 der Richtlinie verbietet ausdrücklich jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Art. 3 dehnt das Diskriminierungsverbot auch auf den Zugang (einschliesslich der Auswahlkriterien) zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen aus. Art. 4 verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Regelung der Gleichbehandlung in bezug auf den Zugang zu allen Arten und Stufen der Berufsberatung, der Berufsbildung, der beruflichen Weiterbildung und Umschulung. Art. 5 bestimmt, dass das Diskriminierungsverbot auch hinsichtlich der Arbeitsbedingungen wie auch der Entlassungsbedingungen zu gelten hat. Die Art. 6 bis 11 befassen sich mit der
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Durchsetzbarkeit und staatlichen Umsetzung des in den vorstehenden Artikeln aufgestellten Diskriminierungsverbots.