Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
1992 / 65
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Ein­lei­tung
I.Aus­gangs­lage
II.Ver­nehm­las­sung
1.Im Allgemeinen
2.Im Besonderen
III.Kom­men­tie­rung der Gesetzesvorlage
IV.Finan­zi­elle Auswirkungen
V.Antrag
Regie­rungs­vor­lage
 
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag
zum Gesetz über die Abänderung der Zivilprozessordnung (Verfahrenshilfe)
 
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Vaduz, 1. September 1992
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
sehr geehrte Frau Abgeordnete,
sehr geehrte Herren Abgeordnete,
Die Regierung gestattet sich, Ihnen nachstehenden Bericht und Antrag zum Gesetz über die Abänderung der Zivilprozessordnung (Verfahrenshilfe) zu unterbreiten.
I.Ausgangslage
 
1.
 
Die liechtensteinische Zivilprozessordnung, eingeführt und kundgemacht mit LGBl. 1912 Nr. 9 (ZPO), beruht im wesentlichen auf einer Rezeption der österreichischen Zivilprozessordnung vom 1. August 1895, ÖRGB1. 1895 Nr. 113 (ÖZPO). Sowohl die ZPO als auch die ÖZPO sind in der Folgezeit mehrfach novelliert worden, so dass Unterschiede aufgetreten sind. Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang insbesondere auf die unterschiedliche Ausgestaltung des Berufungsverfahrens im liechtensteinischen und im österreichischen Zivilprozess (vgl. Hans W. Fasching, Der Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und seine Stellung im Berufungssystem des liechtensteinischen Zivilprozesses, LJZ 1983, S. 101 ff) sowie auf das sogenannte "soziale Prozessrecht", welches in Liechtenstein noch immer als "Armenrecht" ausgestaltet ist, während es in Oesterreich seit dem Jahre 1973 anstelle des Armenrechts die "Verfahrenshilfe" gibt. Trotz der eingetretenen Veränderungen sind die verfahrensbeherrschenden Grundsätze sowie der Aufbau und Ablauf des Zivilprozesses in Liechtenstein und in Oesterreich im grossen und ganzen gleich geblieben, so dass es in den übereinstimmenden Bereichen auch nach wie vor möglich ist, auf die österreichische Lehre und Rechtsprechung zurückzugreifen. Dies entspricht denn auch der ständigen Rechtsprechung der liechtensteinischen Gerichte und findet im übrigen durch die Auslegungsbestimmungen der §§ 6 und 7 ABGB, welche auch für das Verfahrensrecht gelten, eine Stütze (LES 1989, S. 157 ff und 145 ff). Ob und inwieweit die zwischenzeitig erfolgten Aenderungen der österreichischen Zivilprozessordnung für den liechtensteinischen Zivilprozess nutzbar gemacht werden könnten, ist in einem anderen Zusammenhang zu klären.
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2.Nach Auffassung der Informations- und Kontaktstelle für Frauen, des Frauenhauses Liechtenstein und des Vereins Bildungsarbeit für Frauen ist die Ersetzung des Armenrechts durch die Verfahrenshilfe vordringlich und kann nicht bis zu einer Totalrevision der liechtensteinischen ZPO aufgeschoben werden. Die Informations- und Kontaktstelle für Frauen, das Frauenhaus sowie der Verein Bildungsarbeit für Frauen richteten daher an die Regierung am 9. September 1991 folgendes Schreiben:
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"An die Informations- und Kontaktstelle für Frauen, das Liechtensteiner Frauenhaus und die Kursleitung des Vereins Bildungsarbeit für Frauen gelangen seit Bestehen immer wieder Frauen, deren Problem insbesondere darin besteht, dass sie nicht über die notwendigen Mittel verfügen, um ihre Rechte - sei es in Eheangelegenheiten oder in sonstigen Rechtssachen - durchzusetzen. Deshalb verzichten diese Frauen oft auf ein Verfahren oder begnügen sich mit einer Notlösung, die ihnen gar nicht oder nur teilweise zu ihrem Recht verhilft. Der Grund liegt hauptsächlich darin, dass gerade in Eheangelegenheiten der betroffene Ehegatte nicht bereit ist, Geld locker zu machen, damit seine Frau einen Anwalt bevorschussen kann.
Es hat sich gezeigt, dass die in der Zivilprozessordnung vorgesehenen Bestimmungen über das Armenrecht in solchen Fällen völlig untauglich und unzureichend sind. Es hat sich aber auch gezeigt, dass der unentgeltliche Beratungsdienst durch die Gerichtspraktikantinnen, die sich in den meisten Fällen redlich bemühen, letztlich nicht befriedigen kann.
Wir haben uns in den benachbarten Kantonen und auch im Kanton Zürich sowie in Oesterreich erkundigt und es ist uns erklärt worden, dass es dort seit Jahren die Verfahrenshilfe für solche
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Fälle als Selbstverständlichkeit gibt. Verfahrenshilfe wird dort allen Personen bewilligt, die ausserstande sind, die Kosten der Führung eines Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, wenn das beabsichtigte Verfahren nicht von vornherein mutwillig oder aussichtslos erscheint. Wir haben festgestellt, dass es in der österreichischen ZPO eine ausführliche Regelung über die Verfahrenshilfe gibt, welche in etwa unseren Vorstellungen entspricht und nach unseren Erkundigungen auch in unsere Zivilprozessordnung hineinpassen würde, oder als Vorlage für eine eigenständige liechtensteinische Regelung dienen könnte.
Angesichts des ausgewiesenen Bedarfes für eine solche Verfahrenshilfe ersuchen wir die Regierung, dringend dafür zu sorgen, dass auch in unserer Zivilprozessordnung möglichst rasch eine solche Verfahrenshilfe aufgenommen wird. Unseres Erachtens hilft es wenig, wenn die Gesetze in materieller Hinsicht in bezug auf die Rechtstellung der Frauen verbessert werden, wenn auf der anderen Seite nicht auch die Instrumente dafür geschaffen werden, um diese Rechte durchzusetzen. Wir legen Wert auf die Feststellung, dass ein Grossteil der Frauen, besonders diejenigen ohne eigenes Vermögen und Einkommen, auf eine Verfahrenshilfe dringend angewiesen sind.
Wir hoffen sehr, dass Sie die Dringlichkeit für die Einführung der Verfahrenshilfe ebenso sehen
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wie wir und dass diesem Ersuchen, das ein eigentliches Sozialpostulat darstellt, möglichst bald entsprochen wird."
 
3.
 
Es ist vorweg festzuhalten, dass sich für eine Verfahrenshilfe liechtensteinischen Rechts am besten eine Regelung eignet, wie sie in Oesterreich vorgenommen worden ist. Denn die liechtensteinische und österreichische ZPO sind zueinander näher verwandt als die in Betracht kommenden Schweizer Verfahrensgesetze. Die ÖZPO-Novelle BGB1. 1973 Nr. 569 führte zur Umgestaltung der §§ 63 bis 73 ÖZPO unter Beachtung folgender Grundsätze.
 
4. a)
 
Das diskriminierende Wort "Armenrecht" wurde durch den nicht diskriminierenden und neutralen Ausdruck "Verfahrenshilfe11 ersetzt, welcher in einer durchaus akzeptablen Art und Weise die vom Gesetzgeber gewollte Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Institution des staatlichen Rechtes signalisiert.
 
b)
 
Der demütigende Hürdenlauf zur Erlangung des Armenrechtszeugnisses als der unabdingbaren Voraussetzung für die Inanspruchnahme der vom Staat gewährleisteten Wohlfahrtseinrichtung wurde beseitigt. An die Stelle des Armenrechtszeugnisses trat eine Selbstauskunft des Verfahrenshilfewerbers in Form eines Vermögensbekenntnisses. Allerdings erwiesen sich in diesem Zusammenhang gewisse Schutzbestimmungen erforderlich, um die Gemeinschaft der Rechtsangehörigen, welche letztlich für die Kosten der Verfahrenshilfe aufzukommen hat, vor unzutreffenden Selbstauskünften und damit vor missbräuchlichen Inanspruchnahmen der Verfahrenshilfe zu schützen.
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c)
 
Der Kreis der zur Inanspruchnahme der Verfahrenshilfe berechtigten Personen wurde gegenüber dem seinerzeitigen Armenrecht beträchtlich erweitert. War die Gewährung des Armenrechts an die Voraussetzung geknüpft, dass der Antragsteller einen Zivilprozess nicht ohne Gefährdung des "notdürftigen Unterhaltes" für sich und seine Familie hätte führen können, so sollte die Verfahrenshilfe schon bei der Gefährdung des "notwendigen Unterhalts" bewilligt werden können.
 
d)
 
Der Katalog der Begünstigungen, die mit der Gewährung der Verfahrenshilfe verbunden werden konnten, wurde gegenüber den durch das Armenrecht gewährten Begünstigungen beträchtlich erweitert. Insbesondere sollte im Rahmen der Verfahrenshilfe die Beigabe eines Rechtsanwalts ohne besondere zusätzliche Förmlichkeiten bei hinlänglicher Schwierigkeit der Sache auch in jenen Fällen bewilligt werden können, in denen prozessual die Vertretung der Partei durch einen Rechtsanwalt nicht zwingend vorgeschrieben war.
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e)
Den zur Verfahrenshilfe beigegebenen Rechtsanwälten wurde für den Fall des Obsiegens der die Verfahrenshilfe geniessenden Partei der prozessuale Kostenersatzanspruch unmittelbar gegen den Prozessgegner eingeräumt (§ 41 ZPO). Für den Fall der ganzen oder teilweisen Prozessniederlage der die Verfahrenshilfe geniessenden Partei hatte allerdings der als Verfahrenshelfer bestellte Rechtsanwalt entweder keinen oder nur einen teilweisen Ersatzanspruch (§§ 40, allenfalls 43 ZPO). Es musste daher die öffentliche Hand zur Entschädigung des die Verfahrenshilfe leistenden Rechtsanwalts eintreten.
 
4.
 
Die Institution der Verfahrenshilfe hat sich im österreichischen Rechtsbereich nach der Ueberwindung gewisser Anlaufschwierigkeiten durchaus bewährt. Die anfänglichen Probleme beruhten im wesentlichen auf einem Informationsdefizit der Bevölkerung. Die neue Institution war aber nicht nur unbekannt, sondern man begegnete ihr anfänglich auch mit jenem Misstrauen, welches schon gegen das alte Armenrecht bestanden hatte. Mittlerweile aber ist die Bevölkerung hinlänglich aufgeklärt und hat von der Verfahrenshilfe in zunehmendem Masse Gebrauch genommen.
 
5.
 
Im Fürstentum Liechtenstein steht jenen Teilen der rechtsuchenden Bevölkerung, welche zur Verfolgung oder Verteidigung ihrer Rechte vor Gericht auf eine soziale Hilfe angewiesen wären, abgesehen von einer einzigen Ausnahme, nur das Annenrecht mit allen aus dem Jahre 1912 stammenden Beschränkungen zur Verfügung. Die einzige Ausnahme, stammend aus der ZPO-Novelle LGBl. 1987 Nr. 27, zog im übrigen auch keine Erweiterung, sondern im Gegenteil eine Einschränkung des Armenrechts nach sich. Die Neufassung des § 63 Abs. l ZPO sprach ausdrücklich aus, dass nur natürliche Personen beim Zutreffen der sonstigen Voraussetzungen Anspruch auf die Gewährung des Armenrechts hätten. Diese Einschränkung erscheint auch aus heutiger Sicht durchaus sinnvoll, denn in einer prozessrechtlichen sozialen Institution, welche an den Begriff der Unterhaltsgefährdung anknüpft, besteht eine Anwendungsmöglichkeit nur bei natürlichen Personen. Verbandspersonen müssen dagegen ausser Betracht bleiben, da sie keine Unterhaltsansprüche kennen.
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In bezug auf die Defizite des sozialen Schutzes im Zivilprozess für natürliche Personen gilt das, was bereits im Zusammenhang mit der Entwicklung des österreichischen Zivilprozesses offenkundig geworden ist und letztlich dazu führte, die alte Institution des Armenrechts durch die neue Institution der Verfahrenshilfe zu ersetzen. Es bleiben jene schutzwürdigen Personen auf der Strecke, die zwar zu reich für das Armenrecht alter Prägung, aber zu arm für die Durchsetzung oder Verteidigung ihrer Rechte im Zivilprozess sind. Dadurch bleiben nicht wenige Angehörige der Rechtsgemeinschaft sozusagen ohne Recht, weil es nicht für alle, sondern nur für einen Teil der Bürger zugänglich
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ist. Es sollte daher die gegenwärtige unbefriedigende Situation verbessert und die Zivilprozessordnung in der Weise sozialer gestaltet werden, dass die alte Institution des Armenrechts durch die neue Institution der Verfahrenshilfe ersetzt wird. Dabei kann dem österreichischen Vorbild gefolgt werden, da der liechtensteinische Zivilprozess auf der Grundlage einer Rezeption des österreichischen Zivilprozesses beruht. Die vorgeschlagenen Neuregelungen lassen sich daher ohne besondere Schwierigkeit in den alten Normenbestand einfügen, wobei die besonderen Gegebenheiten und Verhältnisse zu berücksichtigen sind.
LR-Systematik
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LGBl-Nummern
1994 / 010
Landtagssitzungen
20. Dezember 1993
24. Juni 1993