Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend Abänderung der Gesetze über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, die Invalidenversicherung, Ergänzungsleistungen der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, die betriebliche Personalvorsorge und die Familienzulagen (im Zusammenhang mit dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum)
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Vaduz, den 6. Oktober 1992
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
sehr geehrte Frau Abgeordnete
sehr geehrte Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend Anpassung von Sozialversicherungsgesetzen in Zusammenhang mit dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum zu unterbreiten.
Das Sozialversicherungsrecht der EG und des EWR hat zwei Hauptziele:
a) | die Koordination der unterschiedlichen Sozialversicherungssysteme als eine Grundvoraussetzung des freien Personenverkehrs und |
b) | die schrittweise Verwirklichung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen als Teilbereich der sogenannten horizontalen und flankierenden Politiken. |
Die beiden Bereiche lassen sich kurz wie folgt erläutern:
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A) Die Koordination der unterschiedlichen nationalen Sozialversicherungssysteme
Unterschiedliche nationale Systeme der Sozialen Sicherheit behindern die Freizügigkeit der Arbeitskräfte, indem das Verlassen eines Landes sehr oft den Verlust von sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen zur Folge haben kann, ohne dass dieser Verlust im neuen Wohn- oder Arbeitsland durch einen entsprechenden Versicherungsschutz ausgeglichen würde. Die Regelung der sozialversicherungsrechtlichen Bereiche ist daher eine Grundvoraussetzung des freien Personenverkehrs. Im Mittelpunkt steht dabei der Schutz des Versicherten bzw. die Aufrechterhaltung der von ihm erworbenen Ansprüche und die Honorierung seiner Anwartschaften.
Die EG und nun auch der EWR regeln diese Grundvoraussetzung des freien Personenverkehrs, ohne dabei die Sozialversicherungssysteme der einzelnen Länder anzugleichen oder gar zu vereinheitlichen. Vorgesehen ist stattdessen die Koordination der unterschiedlichen nationalen Systeme im Sinne eines multilateralen Sozialversicherungsabkommens, das im übrigen an die Stelle allfällig bestehender bilateraler oder multilateraler Sozialversicherungsabkommen unter den EWR-Staaten tritt.
Art. 29 des EWR-Abkommens (EWRA) enthält die wesentlichen Grundprinzipien der internationalen Koordinierung unterschiedlicher Sozialversicherungssysteme und verweist im übrigen auf Anhang VI des Abkommens, der die massgeblichen Bestimmungen für die Soziale Sicherheit des EWR im Zusammenhang mit dem freien Personenverkehr enthält. Wesentlicher Inhalt dieses Anhangs VI zum EWRA sind die geltenden Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr.
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574/72 zur Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern. Während die Verordnung Nr. 1408/71 im wesentlichen die materiellen Belange regelt, befasst sich die Verordnung Nr. 574/72 mit den Verfahrensbestimmungen, die zur Anwendung der erstgenannten Verordnung notwendig sind. Diese Einteilung in materielle und formelle Bestimmungen ist bei Sozialversicherungsabkommen üblich, bei denen in der Regel zwischen dem eigentlichen Abkommen und der dazugehörigen Verwaltungs- oder Durchführungsvereinbarung unterschieden wird.
Die Verordnungen Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 beziehen sich in ihrem sachlichen Geltungsbereich auf die Bereiche Invalidität, Alter, Tod (Hinterlassenenleistungen) , Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten, Krankheit und Mutterschaft, Arbeitslosigkeit und Familienzulagen. Im persönlichen Geltungsbereich finden sie Anwendung auf Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer EG-Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind oder als Flüchtlinge oder Staatenlose im Gebiet eines EG-Staates wohnen, sowie auf die Familienangehörigen und Hinterlassenen dieser Personen. Wie bereits erwähnt und wie vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften immer wieder betont wurde, ist unter Koordinierung
nicht die Schaffung eines gemeinsamen Systems oder gemeinsamer Leistungen der Sozialen Sicherheit für die Wanderarbeiter zu verstehen,
sondern die Anwendung der verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften unter Ausschaltung
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a) | der Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit |
b) | der Hindernisse für die Aufrechterhaltung der Anwartschaften und |
c) | der Hindernisse für die Ausrichtung der Leistungen an Berechtigte, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnen. |
Im wesentlichen beruht die in der Verordnung Nr. 1408/71 enthaltene Koordination auf folgenden Grundsätzen: