Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
1995 / 45
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Ein­lei­tung
1.Aus­gangs­lage
2.Inhalt der Beschlüsse Nr. 25/95 und 33/95 des Gemein­samen EWR-Ausschusses
3.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit
4.Per­so­nelle und finan­zi­elle Konsequenzen
5.Antrag
Grüner Teil
 
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Beschlüsse Nr. 25/95 und 33/95 des Gemeinsamen EWR-Ausschusses
 
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Vaduz, 31. Mai 1995
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
sehr geehrte Frauen und Herren Landtagsabgeordnete
Die Regierung gestattet sich, Ihnen den nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Beschlüsse Nr. 25/95 und 33/95 des Gemeinsamen EWR-Ausschusses zu unterbreiten.
1.Ausgangslage
Wie aus seinem ersten Artikel hervorgeht, strebt das für Liechtenstein am 1. Mai 1995 in Kraft getretene Abkommen vom 2. Mai 1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWRA), LGB1. 1995 Nr. 68, die Schaffung eines "dynamischen und homogenen" Wirtschaftsraums an. Dieses Ziel wird dadurch erreicht, dass ein Teil des Wirtschaftsrechts der Europäischen Gemeinschaft (EG), der sogenannte acquis communautaire, in den EWR übernommen wird.
Die Übernahme des acquis communautaire in den EWR findet ihren Ausdruck darin, dass eine ganze Reihe von Richtlinien, Verordnungen, Entscheidungen und anderen EG-Rechtsakten in den insgesamt 47 Protokollen und 22 Anhängen des EWRA aufgeführt sind. Bei diesen EG-Rechtsakten handelt es sich um das "Sekundärrecht" des EWR, dessen fortlaufende Weiterentwicklung die entscheidende Voraussetzung für den von Art. 1 EWRA angestrebten dynamischen und homogenen Wirtschaftsraum ist.
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Zuständig für die Weiterentwicklung des Sekundärrechts ist der in Art. 92 EWRA vorgesehene Gemeinsame EWR-Ausschuss ("Joint Committee"). Die Zuständigkeit des Gemeinsamen EWR-Ausschusses wird in Art. 98 EWRA geregelt. Danach besteht seine Hauptaufgabe darin, Änderungen oder Ergänzungen der Anhänge des EWRA zu beschliessen. Wesentlich ist, dass der Gemeinsame EWR-Ausschuss keine eigenständigen bzw. originären Rechtssetzungsbefugnisse besitzt. Er ist also nicht dazu berechtigt, sich an die Stelle des nationalen Gesetzgebers zu setzen, wobei der Begriff "Gesetzgeber" in einem weiten Sinne zu verstehen ist.
Um die Kompetenzen der nationalen Parlamente der EFTA-EWR-Staaten (dies sind derzeit Island, Norwegen und Liechtenstein) zu achten, ist in Art. 103 EWRA ein besonderer Mechanismus eingerichtet worden. Art. 103 EWRA ermöglicht es den Regierungen der EFTA-EWR-Staaten, die Übernahme eines jeden neuen EG-Rechtsaktes in den EWR von einer Zustimmung des nationalen Parlaments abhängig zu machen. Dass ein solches Verfahren gewählt wird, ist den anderen EWR-Vertragsparteien spätestens bei der Beschlussfassung im Gemeinsamen EWR-Ausschuss mitzuteilen. Der Grund hierfür besteht insbesondere darin, dass eine Einschaltung der nationalen Parlamente der EFTA-EWR-Staaten in der Regel zu einem verzögerten Inkrafttreten der betreffenden Beschlüsse des Gemeinsamen EWR-Ausschusses führt. Aus diesem Grunde haben die Regierungen der EFTA-EWR-Staaten nach der Beschlussfassung im Gemeinsamen EWR-Ausschuss auch unverzüglich das nationale Parlament einzuschalten.
Nach liechtensteinischem Verfassungsrecht bedarf der Abschluss bestimmter völkerrechtlicher Vereinbarungen der Zustimmung des Landtages. Welche Akte einer solchen Zustimmung bedürfen, wird in Art. 8 Abs. 2 der Landesverfassung (LV) festgelegt. Danach bestehen sieben Kriterien, die eine Unterscheidung zwischen zustimmungsbedürftigen und nicht zustimmungebedürftigen völkerrechtlichen Vereinbarungen treffen. Zustimmungsbedürftig sind
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nur die eigentlichen "Staatsverträge"; nicht zustimmungsbedürftig sind dagegen die blossen "Verwaltungsvereinbarungen".
Die Regierung hat von Beginn an die Auffassung vertreten, dass die Beschlüsse des Gemeinsamen EWR-Ausschuss, durch die (insbesondere) die Anhänge des EWRA geändert oder ergänzt werden, als völkerrechtliche Vereinbarungen und nicht etwa als "Beschlüsse internationaler Organisationen" im Sinne von Art. 3 des Kundmachungsgesetzes, LGB1. 1985 Nr. 41, anzusehen sind. Damit hat sich die Frage gestellt, welche Beschlüsse des Gemeinsamen EWR-Ausschuss als "Staatsverträge" im Sinne von Art. 8 Abs. 2 LV der Zustimmung des Landtages bedürfen. Über diese Frage haben zwischen der Aussenpolitischen Kommission und der Regierung ausführliche Gespräche stattgefunden.
In diesen Gesprächen hat die Regierung aufgrund eingehender rechtlicher Untersuchungen und Abklärungen die Auffassung vertreten, dass nicht etwa alle Beschlüsse des Gemeinsamen EWR-Ausschusses der Zustimmung des Landtages bedürfen, sondern nur solche, die - vereinfacht ausgedrückt - für Liechtenstein aus rechtlichen, tatsächlichen oder finanziellen Gründen von besonderer Bedeutung sind. Die Regierung ist ferner stets von der Prämisse ausgegangen, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den Prärogativen des Landtages und jenen Erfordernissen gefunden werden muss, die eine Mitgliedschaft im EWR zwangsläufig mit sich bringt. In diesem Zusammenhang sei nochmals sowohl an Art. 1 EWRA als auch an den Sinn und Zweck des besonderen Mechanismus von Art. 103 EWRA erinnert, der einer generellen und pauschalen Anrufung dieses Artikels eindeutig entgegensteht.
Um zu einer tragfähigen, rechtssicheren und auf Dauer angelegten Praxis zu kommen, haben sich die Aussenpolitische Kommission und die Regierung an ihrer gemeinsamen Sitzung vom 15. Mai 1995 darauf verständigt, dass die von der Regierung bezeichneten Masstäbe (rechtliche, tatsächliche oder finanzielle Bedeutung für Liechtenstein) bei der Beurteilung der Zustim-
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mungsbedürftigkeit von Beschlüssen des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Anwendung finden sollen. Die grundsätzliche Klärung der Frage, wann ein Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschuss gemäss Art. 8 Abs. 2 LV der Zustimmung des Landtages bedarf, sollte nach Auffassung der Regierung durch den Staatsgerichtshof erfolgen. Die Regierung hat einen entsprechenden Antrag bereits gestellt (vgl. unter 3.).
Unter erstmaliger Beteiligung Liechtensteins als gleichberechtigter EWRVertragspartei sind am 19. Mai 1995 die Beschlüsse Nr. 24/95 bis 36/95 des Gemeinsamen EWR-Ausschusses gefasst worden. Gestützt auf die Ergebnisse der gemeinsamen Sitzung mit der Aussenpolitischen Kommission vom 15. Mai 1995 hat die Regierung bei zwei Beschlüssen einen Vorbehalt gemäss Art. 103 EWRA angebracht. Es handelt sich um die Beschlüsse Nr. 25/95 und 33/95. Nachdem diese beiden Beschlüsse dem Landtag zur Zustimmung vorzulegen sind, unterbreitet die Regierung nunmehr den vorliegenden Bericht und Antrag.
Landtagssitzungen
22. Juni 1995