Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
1996 / 104
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Ein­lei­tung
1.Aus­gangs­lage
2.Antrag
3.Regie­rungs­vor­lage
 
Stellungnahme der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Vorbehalte des Fürstentums Liechtenstein zum Europäischen Übereinkommen vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechts und betreffend Artikel 1 der Regierungsvorlage zum Durchführungsgesetz
 
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Vaduz, den 1. Oktober 1996
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehende Stellungnahme betreffend die Vorbehalte des Fürstentums Liechtenstein zum Europäischen Übereinkommen vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechts sowie betreffend die in der 1. Lesung des Gesetzes zur Durchführung des Europäischen Übereinkommens vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechts im Landtag vorgebrachten Argumente zu unterbreiten.
1.Ausgangslage
Mit Bericht und Antrag vom 27. Februar 1996 (Nr. 25/1996) hatte die Regierung dem Landtag die Zustimmung zum erwähnten Übereinkommen beantragt. Im dortigen Antrag, Seite 23 f., wurde folgende Formulierung aufgenommen:
"Aufgrund der bisherigen Ausführungen stellt die Regierung den Antrag, der Hohe Landtag wolle
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a) dem Europäischen Übereinkommen vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechts,
der Anbringung eines Vorbehalts zu Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b mit folgendem Wortlaut:
"Das Fürstentum Liechtenstein schliesst gemäss Artikel 6 Absatz 3 des Übereinkommens die Anwendung von Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe b aus."
der Anbringung eines Vorbehalts zu den Artikeln 8 und 9 des Übereinkommens mit folgendem Wortlaut:
"Das Fürstentum Liechtenstein schliesst gemäss Artikel 17 Absatz 1 des Übereinkommens in den von den Artikeln 8 und 9 erfassten Fällen die Anerkennung und Vollstreckung von Sorgerechtsentscheidungen aus den in Artikel 10 Absatz 1 Buchstaben a und b vorgesehenen Gründen aus."
seine Zustimmung erteilen
sowie
b) beiliegende Gesetzesvorlage in Behandlung ziehen."
Aufgrund der in der Landtagssitzung vom 2. Mai 1996 erfolgten Diskussion zur Frage der Vorbehalte hat die Regierung die Ständige Vertretung Liechtensteins beim Europarat mit Schreiben vom 9. Mai 1996 beauftragt, beim Rechtsdienst des Europarates eine Stellungnahme einzuholen. Diese ist am 21. Juni 1996 eingetroffen. Anschliessend erfolgte die weitere Bearbeitung der vorliegenden Stellungnahme. Die Regierung ist aufgrund der nochmaligen Überprüfung zu folgendem Ergebnis gekommen:
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1. Aufgrund der Stellungnahme des Rechtsdienstes des Europarates gelten zu Kapitel "2.3 Anerkennung und Vollstreckung (Teil II, Art. 7 - 12)" im Bericht und Antrag Nr. 25/1996 neu folgende Ausführungen, wobei die Änderungen im Vergleich zum bisherigen Text unterstrichen sind:
"Die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Wiederherstellung des Sorgerechts sind im Teil II geregelt. Die rasche Wiederherstellung des Sorgerechts nach einem unzulässigen Verbringen ist davon abhängig, wie leicht eine im ersuchenden Vertragsstaat ergangene Sorgerechtsentscheidung im Zufluchtsstaat vollstreckt werden kann (Art. 7). Hier muss festgehalten werden. dass es sich bei Art. 7 um einen allgemeinen Grundsatz bezüglich der Bedingungen für die Anerkennung und Vollstreckung handelt. Man will damit zum Ausdruck bringen, dass Entscheidungen über das Sorgerecht rasch vollstreckt werden müssen, um von praktischem Nutzen zu sein. Art. 7 ist jedoch nicht isoliert, sondern immer in Verbindung mit den übrigen Artikeln des Übereinkommens (z.B. Art. 8 oder 9) und unter Berücksichtigung seines Zwecks anwendbar.
Um die Dringlichkeit von Massnahmen zur Wiederherstellung des Sorgerechts hervorzuheben, sieht das Übereinkommen vor, dass die sorgeberechtigte Person innerhalb von sechs Monaten nach der Entführung bei einer zentralen Behörde Antrag stellen muss (Art. 8 und 9). Wartet sie länger als sechs Monate, so gelten für die Vollstreckung strengere Bedingungen (Art. 10). Ferner kann jede Person, die in einem Vertragsstaat eine Sorgerechtsentscheidung erwirkt hat und diese in einem anderen Vertragsstaat anerkennen lassen möchte, zu diesem Zweck - selbst als vorbeugende Massnahme - einen Antrag an die zentrale Behörde eines Vertragsstaats richten (Art. 4 und 10). Es ist darauf hinzuweisen, dass in solchen Fällen die Anforderungen für die Vollstreckbarkeitserklärung sehr streng sind und eine inhaltliche Überprüfung
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des Sorgerechts nicht ausgeschlossen ist. Dies geht aus Art. 10 Abs. 1 Bst. a hervor, wonach die Vollstreckbarkeitserklärung verweigert werden kann, wenn die Wirkungen der Entscheidung mit den im ersuchten Staate geltenden Grundwerten des Familien- und Kindschaftsrechts offensichtlich unvereinbar sind. Noch weiter geht Bst. b, wo - im Sinne der clausula rebus sic stantibus -eine Überprüfung im Hinblick auf geänderte Umstände als zulässig erklärt wird."
2. Bezüglich der Ausführungen unter Kapitel 3.3 "Vorbehalte Liechtensteins", Seite 15 f. des Berichts und Antrags Nr. 25/1996, gelten bezüglich des Vorbehalts zu den Artikeln 8 und 9 folgende Ausführungen, wobei die Änderungen im Vergleich zum bisherigen Text unterstrichen sind:
"Die Voraussetzungen für die Rücksendung eines entführten Kindes bzw. eines nach Beendigung des Besuchsrechts zurückgehaltenen Kindes sollen auf ein Minimum beschränkt sein. Der Anerkennung und Vollstreckung der ausländischen Sorgerechtsentscheidung sollten grundsätzlich keine Versagungsgründe entgegenstehen. Diese für manche Vertragsstaaten nicht akzeptable Rechtslage wird durch Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens dadurch gemildert, dass sich jeder Vertragsstaat vorbehalten kann, in den von Art. 8 und/oder Art. 9 erfassten Fällen die Anerkennung und Vollstreckung von Sorgerechtsentscheidungen aus den in Art. 10 vorgesehenen Gründen, die in dem Vorbehalt bezeichnet sind, zu versagen.
Die Regierung tritt dafür ein, anlässlich der Ratifikation des Übereinkommens durch Liechtenstein von diesem Recht auf einen Vorbehalt in der Weise Gebrauch zu machen, dass auch auf die in der vorliegenden Bestimmung geregelten Fälle die Versagungsgründe des Art. 10 Abs. 1 Bst. a, b und d des Übereinkommens (Ordre public - Widrigkeit und "geänderte Verhältnisse"
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Unvereinbarkeit von Entscheidungen) zur Anwendung kommen sollen. Durch die restriktive Fassung dieser Versagungsgründe ("... offensichtlich unvereinbar ..." bzw. " ...offensichtlich nicht mehr dem Wohl des Kindes entsprechend..." oder "...Versagung muss dem Wohl des Kindes entsprechen...") ist ohnedies sichergestellt, dass von diesen beiden Versagungsgründen nur sehr sparsam Gebrauch gemacht werden kann. Es handelt sich um eine Ausnahmevorschrift, von der sowohl aus Gründen der Rechtssicherheit als auch einer möglichst geringen Störung des internationalen Entscheidungseinklangs ohnedies nur sehr selten Gebrauch gemacht wird. Entscheidend für die Geltendmachung des Versagungsgrundes des Ordre public ist, dass die Anerkennung oder Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung zu einem Ergebnis führen würde, das für die liechtensteinische Rechtsordnung untragbar wäre. Ferner ist es geboten, die Möglichkeit offenzuhalten, die Anerkennung oder Vollstreckung einer ausländischen Sorgerechtsentscheidung im Hinblick auf die geänderten Verhältnisse dann abzulehnen, wenn aufgrund dieser Änderungen die Wirkungen der ursprünglichen Entscheidung mit dem Wohl des Kindes offensichtlich nicht mehr vereinbar sind.
Der Vorbehalt zu Art. 10 Abs. 1 lit. d kann dann von Bedeutung sein, wenn der theoretisch denkbare Fall eintritt, dass zwei sich widersprechende Sorgerechtsentscheidungen aus verschiedenen Vertragsstaaten vorliegen, die Voraussetzungen gemäss Art. 9 aber erfüllt sind und die Versagungsgründe gemäss Art. 10 somit nicht zur Anwendung gelangen. Man läuft also Gefahr, mit einem Problem konfrontiert zu werden, welches sich nur über den Versagungsgrund des Art. 10 Abs. 1 lit. d vernünftig lösen lässt. Ob ein entsprechender Fall tatsächlich eintritt, ist offen. Falls es aber dazu kommen sollte, ist man durch die Anbringung des Vorbehaltes darauf vorbereitet, und es steht grundsätzlich ein Lösungsansatz zur Verfügung.
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Dass aber auch andere Vertragsstaaten, die von der Vorbehaltsmöglichkeit nach Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens nicht Gebrauch gemacht haben, nun liechtensteinischen Entscheidungen gegenüber - gleichsam als Retorsionsmassnahme - die Versagungsgründe nach Art. 10 Abs. 1 Bst. a, b und d des Übereinkommens zur Anwendung bringen können, muss und kann in Kauf genommen werden (siehe Art. 17 Abs. 2).
Wortlaut des liechtensteinischen Vorbehalts:
"Das Fürstentum Liechtenstein schliesst gemäss Artikel 17 Absatz 1 des Übereinkommens in den von den Artikeln 8 und 9 erfassten Fällen die Anerkennung und Vollstreckung von Sorgerechtsentscheidungen aus den in Artikel 10 Absatz 1 Buchstaben a, b und d vorgesehenen Gründen aus.""
3. Ausserdem gestattet sich die Regierung vorzuschlagen, dass neu im Antrag die Ermächtigung der Regierung aufgenommen wird, die Vorbehalte zu den Artikeln 6, 8 und 9 zurückzunehmen, falls sie gegenstandslos werden.
4. Die im Bericht und Antrag Nr. 25/1996 enthaltene Regierungsvorlage zur Schaffung eines Gesetzes zur Durchfüllung des Europäischen Übereinkommens vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechts ist vom Landtag in der Sitzung vom 2. Mai 1996 in 1. Lesung behandelt worden. Aufgrund der dortigen Diskussion und des Hinweises darauf, dass die Funktion der zentralen Behörde einem Ressort bzw. einer Amtsstelle nicht ohne entsprechende Verordnung zugeteilt werden sollte, schlägt die Regierung folgende Neuformulierung zu Art. 1 des Durchführungsgesetzes vor, wobei die Änderungen im Vergleich zum bisherigen Text unterstrichen sind:
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"Artikel 1
Zentrale Behörde
Zentrale Behörde im Sinne von Art. 2 des Europäischen Übereinkommens vom 20. Mai 1980 über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des Sorgerechts ist die Regierung. Vorbehalten bleibt die Delegation durch die Regierung an ein Ressort oder eine Amtsstelle auf dem Verordnungswege."
LR-Systematik
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LGBl-Nummern
1997 / 024