Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
1996 / 144
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Ein­lei­tung
1.Aus­gangs­lage
1.1All­ge­meines
1.2For­de­rung nach All­ge­mein­ver­bind­lich­keit von Gesamt­ar­beits­ver­trägen und Postulat vom 3. Oktober 1994
2.Lösung
2.1All­ge­meines
2.2Gesetz­liche Fern­wir­kung des GAV
3.Schluss­fol­ge­rungen
4.Ver­nehm­las­sung
5.Erläu­te­rungen zu Art. 105
6.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit
7.Per­so­nelle und finan­zi­elle Auswirkungen
8.Antrag
9.Regie­rungs­vor­lage
Grüner Teil
 
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
über die Abänderung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (Fernwirkung von Gesamtarbeitsverträgen)
 
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Vaduz, 26. November 1996
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag zum Erlass eines Gesetzes über die Abänderung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches vom 1. Juni 1811 zu unterbreiten:
1.1Allgemeines
Durch das Gesetz vom 13. Dezember 1973 über die Revision des 26. Hauptstückes des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (LGBl. 1974 Nr. 18) wurde aus dem schweizerischen Obligationenrecht das Arbeitsvertragsrecht in das liechtensteinische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch übernommen. Das Arbeitsvertragsrecht ist seither in § 1173a Art. 1 - 113 ABGB geregelt.
Im dritten Abschnitt des Arbeitsvertragsrechts ist unter den Art. 101 bis 108 der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) geregelt. Gesamtarbeitsverträge sind Verträge zwischen einzelnen oder mehreren Arbeitgebern oder deren Verbänden einerseits und Arbeitnehmerverbänden andererseits. Durch den Gesamtarbeitsvertrag stellen die Vertragspartner gemeinsam Bestimmungen über Abschluss, Inhalt und Beendi-
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gung der einzelnen Arbeitsverhältnisse der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf (§ 1173a Art. 101 ABGB).
Das Fürstentum Liechtenstein kennt also das Institut des Gesamtarbeitsvertrages, welches - mit einfachen Worten ausgedrückt - bezweckt, das dispositive Arbeitsvertragsrecht oder das einseitig zugunsten des Arbeitnehmers abänderbare Vertragsrecht in eine für beide Gesamtarbeitsvertragsparteien verbindliche Form zu giessen. Dem liechtensteinischen Recht jedoch unbekannt ist (von der Möglichkeit des Erlasses eines Normalarbeitsvertrages mit Verordnung abgesehen) die Möglichkeit einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung solcher Vereinbarungen. So kam es und kommt es in der Praxis vor, dass Arbeitnehmer, die nicht Mitglied des Liechtensteinischen Arbeitnehmerverbandes sind, zu schlechteren Bedingungen beschäftigt werden als es der (in der Regel bestehende) Gesamtarbeitsvertrag vorsieht. Dies ist insofern von besonderer Bedeutung, als in Liechtenstein alle Arbeitgeber im Bereich der Industrie und des Gewerbes von Gesetzes wegen einem Verband angeschlossen sind (Gesetz betreffend die Errichtung einer Gewerbegenossenschaft vom 22. Januar 1936, LGBl. 1936 Nr. 2 und Gesetz vom 14. Dezember 1983 betreffend die Liechtensteinische Industrie- und Handelkammer, LGBl. 1984 Nr. 8), nicht jedoch die Arbeitnehmer, deren Beitritt zum Liechtensteinischen Arbeitnehmerverband (LANV) grundsätzlich freiwillig erfolgt. Dies bewirkt, dass Gesamtarbeitsverträge, welche zwischen den Arbeitgeberverbänden und dem LANV abgeschlossen werden, auf jeden Fall für sämtliche Arbeitgeber zur Anwendung gelangen, nicht jedoch für nichtorganisierte Arbeitnehmer.
Diese Situation hat bereits öfters dazu geführt, dass Arbeitgeber, welche an sich einem Gesamtarbeitsvertrag für ihr Gewerbe unterstehen, Arbeitnehmer, welche nicht Mitglied des LANV waren, zu schlechteren als in den Gesamtarbeitsverträgen vorgesehenen Bedingungen beschäftigt haben. Dies auch dann, wenn ein Gesamtarbeitsvertrag eine sogenannte Gleichstellungsabrede enthält, welche den Ar-
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beitgeber gegenüber dem Koalitionspartner verpflichtet, sämtliche Arbeitnehmer in seinem Betrieb unter den gleichen Bedingungen, nämlich jenen des Gesamtarbeitsvertrages, anzustellen. Solche Gleichstellungsabreden sind jedoch ein schwaches Instrument, da sie gemäss der schweizerischen Lehre zum Arbeitsvertragsrecht nur schuldrechtliche Wirkung zwischen den vertragsschliessenden Parteien haben, den sogenannten Aussenseitern (nichtorganisierte Arbeitnehmer) aber keine Leistungsansprüche gegenüber ihren Arbeitgebern verschaffen (Manfred Rehbinder: Schweizerisches Arbeitsrecht, 11. Auflage, Bern 1993, Seite 194).
Aufgrund der nicht ganz vergleichbaren kollektivarbeitsrechtlichen Situation in Liechtenstein gegenüber jener in der Schweiz, wo nicht automatisch alle Arbeitgeber von Gesetzes wegen einem Verband angeschlossen sind, besteht eine gewisse Rechtsunsicherheit bezüglich der Anwendbarkeit von Gesamtarbeitsverträgen auf Aussenseiter.
Die Rechtssprechung zu der gegenständlichen Thematik ist uneinheitlich, tendiert jedoch überwiegend zur Verneinung einer Anwendbarkeit von Gesamtarbeitsverträgen auf nichtorganisierte, also dem LANV nicht angeschlossene Arbeitnehmer. So hat das Landgericht in einem Urteil aus dem Jahre 1995 sinngemäss festgehalten, dass die Nichtregelung der Allgemeinverbindlichkeit von Gesamtarbeitsverträgen wohl ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers darstelle und es Gerichten somit verwehrt sei, über eine Lückenfüllung im Sinne von Art. 1 Abs. 3 PGR Rechtsregeln aufzustellen. Die Festlegung einer Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen muss nach Auffassung des Gerichtes, auch wenn dieser Umstand die Ansprüche des Klägers bedauerlicherweise nicht zu befriedigen vermögen, dem Gesetzgeber überlassen bleiben. Die Zwangsmitgliedschaft der liechtensteinischen Gewerbetreibenden in einer Kammer vermag die Allgemeingültigerklärung bzw. eine ihr zugrunde liegende Normsetzung nicht zu ersetzen.
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In einem neueren Beschluss vom 17.02.1996 zu 1 AG 22/95 hat das Landgericht die Frage, ob dem Aussenseiter ein unmittelbar klagbarer Anspruch zukommen, als ein Auslegungsproblem des GAV selbst behandelt. Beim Abschluss des zu beurteilenden GAV habe "die übereinstimmende Auffassung unter den Sozialpartnern bestanden, dass der Gesamtarbeitsvertrag auch für die Arbeitnehmer, die nicht Mitglied des LANV sind, gelten soll". Mit der Schlussfolgerung, eine Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen im Fürstentum Liechtenstein sei eigentlich gar nicht erforderlich, hat sich das Gericht von der herrschenden Lehre in der Schweiz und von der Rechtsprechung des Obergerichts entfernt.
Dieses hat in seiner Entscheidung vom 9. Februar 1994 zu 3 AG 36/93 folgendes festgehalten:
"Nach der aus dem Schweizer Recht übernommenen Bestimmung des Art. 105 Abs. 1 in § 1173a ABGB gelten die Bestimmungen des Gesamtarbeitsvertrages über Abschluss, Inhalt und Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse während der Dauer des Vertrages unmittelbar für die beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer und können nicht wegbedungen werden. In den Genuss der sogenannten normativen Wirkung des Gesamtarbeitsvertrages kommen nur die Beteiligten, also die Mitglieder der vertragsschliessenden Parteien und die ihnen durch Anschluss gleichgestellten Aussenseiter. Anders als im österreichischen Recht gibt es keine Fernwirkung des Gesamtarbeitsvertrages auf alle in einem beteiligten Betrieb tätigen Arbeitnehmer".
Ferner hält das Obergericht in der selben Entscheidung fest, dass auch mit der Konstruktion eines Vertrages zugunsten Dritter für die nichtorganisierten Arbeitnehmer nichts zu gewinnen sei, weil im Hinblick auf die in Art. 102 in § 1173a ABGB normierte Freiheit der Organisation der Berufsausübung ein Interesse des LANV, auch Nichtmitglieder in den Genuss einer durch den GAV erreichten Bes-
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serstellung gelangen zu lassen, nicht zu unterstellen sei. Es könne nicht davon ausgegangen werden, der LANV habe sich im Rahmen des GAV (auch) Leistungen an Nichtmitglieder versprechen lassen.
Diese Rechtssprechung entspricht demnach auch der oben bereits erwähnten schweizerischen Lehre, wonach grundsätzlich zwischen normativen und schuldrechtlichen Bestimmungen eines Gesamtarbeitsvertrages unterschieden werden muss. Die normativen Bestimmungen ordnen die Rechtsstellung der einzelnen Verbandsmitglieder. Er enthält Mindestarbeitsbedingungen zugunsten der Arbeitnehmer und wirkt zwingend und unmittelbar auf die Arbeitsverhältnisse der Tarifgebundenen ein. Die schuldrechtlichen Bestimmungen des GAV jedoch verpflichten lediglich die Parteien des Gesamtarbeitsvertrages selbst. Wie bereits weiter oben ausgeführt, handelt es sich gemäss schweizerischer Lehre bei Gleichstellungsabreden um schuldrechtliche Bestimmungen, was bedeutet, dass nichtorganisierte Arbeitnehmer aus diesen Gleichstellungsabreden keine direkt durchsetzbaren Rechte gegenüber ihren Arbeitgebern ableiten können.
LR-Systematik
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LGBl-Nummern
1997 / 203
Landtagssitzungen
18. September 1997
15. Mai 1997
15. Mai 1997