Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
zu einem Gesetz über die Kundmachung der in Liechtenstein anwendbaren Schweizerischen Rechtsvorschriften sowie der Anpassung von Art. 67 Abs. 2 der Verfassung
1
Vaduz, den 26. März 1996
P
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag zu einem Gesetz über die Kundmachung der in Liechtenstein anwendbaren Schweizerischen Rechtsvorschriften sowie die Anpassung von Art. 67 Abs. 2 der Verfassung zu unterbreiten.
Am 30. Oktober 1995 hat der Staatsgerichtshof, nachdem er die Praxis der Kundmachung der in Liechtenstein anwendbaren schweizerischen Bundesgesetzgebung in der Vergangenheit bereits verschiedentlich in Frage gestellt hatte, ein weiteres Grundsatzurteil gefällt. Dieses Urteil beinhaltet insbesondere:
die Rückweisung des Antrages des Obergerichtes auf Prüfung und Aufhebung von Art. 27 und Art. 28 des Zollvertrages;
die faktische Erklärung der Nichtanwendbarkeit der Anlage I des Zollvertrages mangels verfassungsmässiger Kundmachung;
2
die Ausserkraftsetzung der Anwendbarkeit der in Liechtenstein anwendbaren schweizerischen Lebensmittelgesetzgebung auf der Grundlage der heutigen Kundmachung nach einer Frist von sechs Monaten;
die Aufhebung von Art. 2 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zum Zollvertrag;
die teilweise Aufhebung von Art. 28 Abs. 1 des Staatsgerichtshofgesetzes.
Der Antrag des Obergerichtes, Art. 27 und Art. 28 des Zollvertrages zu prüfen und aufzuheben, ist vom Staatsgerichtshof dagegen - ungeachtet allenfalls sachlich und rechtlich zutreffender Gründe - als unzulässig zurückgewiesen worden: dem Staatsgerichtshof komme nach geltendem Recht eine Prüfung staatsvertraglicher Vorschriften nicht zu.
Zulässig sei der Antrag des Obergerichtes jedoch im Kern in der Frage der verfassungs- und gesetzmässigen Kundmachung und damit der Rechtsgeltung und Verbindlichkeit des aufgrund der Anlage I des Zollvertrages laut Bekanntmachung vom 28. August 1979, LGBl. 1979 Nr. 47, in Liechtenstein anwendbaren schweizerischen Lebensmittelrechtes. Die Dringlichkeit einer raschen und umfassenden Rechtsbereinigung und Neukundmachung der aufgrund des Zollvertrages anwendbaren Bundesgesetzgebung sei nicht allein nach 15 Jahren seit der letzten nicht nachgeführten undifferenziert mit über 400 Erlassen erfolgten Kundmachung von 1979 und 5 Jahren nach Ablauf der mit Art. 19 des Kundmachungsgesetzes gesetzten Frist dringendst: geboten, sondern sei mit dem seit 1. Mai 1995 in Kraft getretenen Beitritt Liechtensteins zum EWR unausweichlich.
Das Lebensmittelrecht entspreche in der mit der Bekanntmachung vom 28. August 1979, LGBl. 1979 Nr. 47, erfolgten Verweispublikation nicht den verfassungs- und gesetzmässigen Erfordernissen der gültigen und rechtswirksamen Kundmachung. Der Staatsgerichtshof erachte es im Interesse der Rechtssicherheit nicht weiter vertretbar, die Anwendung nicht verfassungs- und gesetzmässig
3
kundgemachter Rechtsvorschriften zu schützen und die überfällige Rechtsbereinigung noch weiter aufzuschieben. Es sei daher zu entscheiden gewesen, dass die Positionen des angefochtenen Stammgesetzes des in Liechtenstein anwendbaren schweizerischen Lebensmittelrechtes mangels verfassungsmässiger Kundmachung nicht anzuwenden seien. Mit der Bestimmung der gesetzmässig zulässigen Höchstfrist von sechs Monaten für die Rechtskraft der Aufhebung sollte die Möglichkeit der Bereinigung nicht allein des aufgehobenen schweizerischen Lebensmittelrechtes, sondern des Zollvertragrechtes in seiner Gesamtheit wahrgenommen werden.
Der Staatsgerichtshof sei sich der Tragweite der komplexen Entscheidung bewusst. Er wolle jedoch damit einen bedeutsamen, unvermeidlichen Wendepunkt in der allzu langen, andauernden Rechtsunsicherheit des Zollvertragsrechtes im Umfange der Bekanntmachung, LGBl. 1979 Nr. 47, im Sinne seiner wiederholten Empfehlungen im Interesse des Rechtsstaates an der Schwelle zur europäischen Integration setzen.