Bericht und Antrag der Regierung an dein Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend das WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen vom 15. April 1994
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Vaduz, den 21. Mai 1996
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehend den Bericht und Antrag betreffend das WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen vom 15. April 1994 zu unterbreiten.
Das plurilaterale Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen befindet sich im Anhang des Abkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO), welchem Liechtenstein am 1. September 1995 beigetreten ist. Es wird als plurilateral bezeichnet, weil es im Gegensatz zu den von der WTO erfassten Abkommen nur für eine Anzahl von Staaten, die es ratifiziert haben oder ihm allenfalls später beitreten, und nicht für alle WTO-Mitglieder verbindlich ist. Obwohl der Text in das WTO-Abkommen eingegliedert ist, gelten bezüglich Änderungen, Beschlussfassung und Beitrittsbedingungen eigene Regeln. Das Übereinkommen entstammt der Tokio-Runde.
Für Liechtenstein gilt das ursprüngliche Abkommen der Tokio-Runde über das öffentliche Beschaffungswesen auf der Grundlage des Zollvertrages von 1923 seit dem 27. April 1992. Das im Rahmen der Uruguay-Runde überarbeitete Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen trat für 21 Vertragsstaaten, darunter die Schweiz, am 1. Januar 1996 in Kraft. Die liechtensteinische Regierung, die Gruppenwasserversorgungen Liechtensteiner Oberland und Unterland sowie die Liechtensteinischen Kraftwerke sind gemäss bilateraler Vereinbarung vom 31. Oktober 1990 zwischen Liechtenstein und der Schweiz als Beschaffungsstellen gegenwärtig in den schweizerischen Annexen (Listen) des neuen Abkommens über das öffentliche Beschaffungswesen aufgeführt und unterstehen somit bereits den Regeln des neuen WTO-Abkommens über das öffentliche Beschaffungswesen.
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Im Dezember 1994 hatte die Regierung dem WTO-Generaldirektor den Antrag gestellt, Liechtenstein wünsche eigenständige Vertragspartei zu werden. Zusammen mit dem Antrag wurde die anschliessend in diesem Bericht beschriebene Offerte eingereicht. Diesem Antrag und der liechtensteinischen Offerte stimmten die Vertragsstaaten des neuen Übereinkommens am 27. Februar 1996 zu.
Für die eigenständige Mitgliedschaft Liechtensteins beim Übereinkommen sprechen mehrere Überlegungen:
Da vor Abschluss der Uruguay-Runde feststand, dass Liechtenstein eigenständiges Mitglied der Welthandelsorganisation (WTO) werden solle, ist es naheliegend, dass Liechtenstein auch im neuen Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen, das ebenfalls im Rahmen der Uruguay-Runde ausgehandelt wurde, selbständig auftritt.
Im Gegensatz zum Abkommen der Tokio-Runde sind im neuen Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen neben der Beschaffung von Gütern auch die Beschaffung von Dienstleistungen und die Vergabe von Bauaufträgen geregelt. Dienstleistungen und Bauaufträge werden im allgemeinen nicht vom Zollvertrag erfasst, und Liechtenstein und die Schweiz haben in diesen Bereichen nicht immer kongruente Interessen.
Die Schweiz ist nicht Mitglied des EWR. Sie verhandelt gegenwärtig mit der EU über ein bilaterales Abkommen, das den schweizerischen Unternehmen auf lokaler Ebene sowie in weiteren (als im WTO-Abkommen vorgesehen) Sektoren auf dem öffentlichen Beschaffungsmarkt der EU vergleichbare Bedingungen wie den Unternehmen aus den EFTA-EWR-Staaten gewähren soll. Dieses bilaterale Abkommen soll über die `WTOSchiene' auf Reziprozitätsbasis auf die anderen Vertragspartner des neuen WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen ausgedehnt werden. Tritt Liechtenstein selbständig dem neuen WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen bei, öffnet sich nach erfolgreichem Abschluss der Verhandlungen der Schweiz über die 'WTO-Schiene' neben dem nationalen und kantonalen Beschaffungsmarkt auch der lokale schweizerische Beschaffungsmarkt für liechtensteinische Unternehmen bzw. umgekehrt der liechtensteinische Beschaffungsmarkt auf lokaler Ebene für Unternehmen aus der Schweiz.
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Gegenüber den Vertragsstaaten des neuen Übereinkommens wird der öffentliche Beschaffungsmarkt auf der Grundlage der Reziprozität jeweils nur insoweit geöffnet, als die andere Vertragspartei auf ihrem Markt einen vergleichbaren Zugang gewährt. Die EU bietet auf Reziprozitätsbasis die weitestgehende Öffnung an. Das neue Übereinkommen verpflichtet Liechtenstein gegenüber den EWR-Partnern nicht zu mehr, als im EWR-Abkommen vorgesehen ist. Gegenüber den übrigen Vertragsparteien des neuen WTO-Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen (derzeit sind dies die Schweiz, die EU-Kommission, die EU-Mitgliedstaaten, Norwegen, Israel, Japan, Korea, die USA und Kanada) ist die Öffnung des öffentlichen Beschaffungsmarktes z.T. deutlich weniger weitgehend.
Das WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen ist den interessierten Kreisen (Verbände, Parteien, Landtagsabgeordnete) bereits am 22. November 1994 im Informationsbericht zum Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) zur Kenntnis gebracht worden. Keiner der angeschriebenen Verbände und keine Partei ist bei den Stellungnahmen zum Informationsbericht auf das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen eingegangen.
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1 | Das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen wurde im Informationsbericht vom 22. November 1994 zum Abkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) auf den Seiten 95-112 beschrieben. Die interessierten Kreise hatten bis 15. Januar 1996 Zeit, Stellung zu nehmen. |
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