Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten vom 1. Februar 1995
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Am 1. Februar 1995 konnte das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten für die Mitgliedstaaten des Europarats zur Unterzeichnung aufgelegt werden. Liechtenstein hat das Rahmenübereinkommen am 1. Februar 1995 unterzeichnet. Inzwischen haben 25 Mitgliedstaaten des Europarats und ein Nicht-Mitgliedstaat das Rahmenübereinkommen unterzeichnet. Neun Staaten (Estland, Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien, Moldau, Rumänien, San Marino, Slowakei, Spanien, Ungarn, Zypern) haben das Rahmenübereinkommen seither ratifiziert. Damit es in Kraft treten kann, müssen zwölf Ratifikationen vorliegen. Liechtenstein kennt keine nationalen Minderheiten im Sinne des Übereinkommens, kann aber durch seine Ratifikation zum baldigen Inkrafttreten des Übereinkommens beitragen und sich mit seinen Zielsetzungen solidarisch erklären. Für Liechtenstein entstehen mit der Ratifikation des Rahmenübereinkommens weder rechtliche noch finanzielle oder personelle Auswirkungen. Die vom Rahmenübereinkommen vorgesehene Berichterstattung kann vom Amt für Auswärtige Angelegenheiten in Zusammenarbeit mit der Ständigen Vertretung Liechtensteins beim Europarat wahrgenommen werden.
Zuständiges Ressort / Zuständige Ämter
Die Vorbereitung des Berichts und Antrags erfolgte über das Ressort Äusseres durch das Amt für Auswärtige Angelegenheiten.
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Vaduz, 19. August 1997
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend das Rahmenübereinkommen zum Schutz der nationalen Minderheiten vom 1. Februar 1995 zu unterbreiten.
Der Europarat hat die Situation nationaler Minderheiten bei verschiedenen Gelegenheiten über einen Zeitraum von mehr als vierzig Jahren untersucht. Schon im ersten Jahr ihres Bestehens (1949) erkannte die Parlamentarische Versammlung in einem Bericht ihres Ausschusses für Rechts- und Verwaltungsfragen die Bedeutung des "Problems eines erweiterten Schutzes der Rechte nationaler Minderheiten". 1961 empfahl die Versammlung die Aufnahme eines Artikels in ein zweites Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), um nationalen Minderheiten bestimmte durch die Konvention nicht erfasste Rechte zu gewährleisten. Die EMRK erwähnt die "Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit" lediglich in der Nichtdiskriminierungsklausel von Art. 14. Der Sachverständigenausschuss, der beauftragt worden war zu prüfen, ob es möglich und zweckmässig sei, ein solches Protokoll auszuarbeiten, kam 1973 zu dem Ergebnis,
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dass es aus rechtlicher Sicht nicht unbedingt notwendig sei, die Rechte von Minderheiten zum Gegenstand eines weiteren Protokolls zur EMRK zu machen, dass dem jedoch kein wesentliches rechtliches Hindernis entgegenstünde.
Der entscheidende politische Schritt erfolgte aber erst beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Europarats vom 8. und 9. Oktober 1993 in Wien. Dort wurde vereinbart, dass die nationalen Minderheiten, die durch die geschichtlichen Umwälzungen in Europa entstanden sind, als Beitrag zu Frieden und Stabilität geschützt und geachtet werden müssen. Insbesondere beschlossen die Staats- und Regierungschefs, rechtliche Verpflichtungen in bezug auf den Schutz nationaler Minderheiten einzugehen.
Am 1. Februar 1995 konnte das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten für die Mitgliedstaaten des Europarats zur Unterzeichnung aufgelegt werden. Liechtenstein hat das Rahmenübereinkommen am 1. Februar 1995 unterzeichnet. Inzwischen haben 25 Mitgliedstaaten des Europarats und ein Nicht-Mitgliedstaat das Rahmenübereinkommen unterzeichnet. Neun Staaten (Estland, Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien, Moldau, Rumänien, San Marino, Slowakei, Spanien, Ungarn, Zypern) haben das Rahmenübereinkommen seither ratifiziert. Damit es in Kraft treten kann, müssen zwölf Ratifikationen vorliegen.
Das Rahmenübereinkommen ist die erste rechtsverbindliche mehrseitige Übereinkunft, die dem Schutz nationaler Minderheiten im allgemeinen gewidmet ist. Ihr Ziel ist, die Rechtsgrundsätze näher darzulegen, zu deren Einhaltung die Staaten sich verpflichten, um den Schutz nationaler Minderheiten sicherzustellen. Der Europarat ist damit dem Auftrag in der Wiener Erklärung gefolgt, die von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) angenommenen politischen Verpflichtungen möglichst weitgehend in rechtliche Verpflichtungen umzusetzen.
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In Anbetracht der Verschiedenartigkeit der Gegebenheiten und der Vielfalt der zu lösenden Probleme wurde die Form eines Rahmenübereinkommens gewählt, das im wesentlichen programmatische Bestimmungen enthält, in denen die Ziele genannt werden, zu deren Verfolgung die Vertragsparteien sich verpflichten. Diese Bestimmungen, die nicht unmittelbar anwendbar sein werden, eröffnen den betroffenen Staaten einen Ermessensspielraum bei der Verwirklichung der Ziele, die zu erreichen sie sich verpflichtet haben, und ermöglichen ihnen so, besonderen Umständen Rechnung zu tragen.
Es ist darauf hinzuweisen, dass das Rahmenübereinkommen keine Definition des Begriffs "nationale Minderheit" enthält. Es wurde beschlossen, pragmatisch vorzugehen, gestützt auf die Erkenntnis, dass es gegenwärtig nicht möglich ist, zu einer Definition zu gelangen, die von allen Mitgliedstaaten des Europarats mitgetragen werden kann.