Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983
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Die Inhaftierung ausländischer Strafgefangener in einer Strafanstalt zur Verbüssung einer Strafe oder einer freiheitsentziehenden Massnahme ist mit Problemen verbunden, die sich in der Gefängnisumgebung oft verschärfen. Die ausgesprochenen Sanktionen werden in einem sozialen Umfeld vollzogen, mit dem die Strafgefangenen nicht vertraut sind. Sie werden vom Gefängnispersonal überwacht, dessen Sprache sie nicht oder nur schlecht verstehen und sind einem Vollzugssystem unterworfen, das nur schwerlich allein zu ihren Gunsten abgeändert werden kann. Hinzu kommt, dass viele ausländische Insassen von ihren Familien und Freunden abgeschnitten sind und mit einer fremden Kultur und Religion sowie mit anderen Sitten konfrontiert werden. Die ausländischen Strafgefangenen werden somit ohne triftigen Grund im Vergleich zu den anderen Strafgefangenen benachteiligt.
Infolge der Entwicklung der Kommunikationsmittel und des internationalen Verkehrs ist in vielen Ländern die Zahl ausländischer Strafgefangener gestiegen. Diese Erscheinung ist an Liechtenstein nicht spurlos vorbeigegangen und betrifft es in doppelter Hinsicht: Zum einen gibt es ausländische Strafgefangene in unserem Land, zum anderen sind liechtensteinische Staatsangehörige im ausländischen Strafvollzug.
Das Übereinkommen will die Überstellung ausländischer Strafgefangener in ihr Heimatland erleichtern, indem es ein einfaches, rasches und anpassungsfähiges Vorgehen bietet, damit die Strafgefangenen innerhalb kurzer Frist heimgeschafft werden können.
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Dem liechtensteinischen Recht ist die Idee nicht neu, dass eine Strafe in einem anderen Staat vollzogen wird als dort, wo sie ausgesprochen wurde. Art. 1 Abs. 1 Bst. d des Gesetzes vom 11. November 1992 über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz), LGBl. 1993 Nr. 68, besagt, dass dieses Gesetz die Vollstreckung ausländischer strafgerichtlicher Entscheidungen regelt. Die Vollstreckung von Strafentscheidungen (Übernahme durch das Fürstentum Liechtenstein, Übertragung an das Ausland sowie das Verfahren) ist in den Art. 85 bis 98 des liechtensteinischen Rechtshilfegesetzes geregelt. Aufgrund des liechtensteinischen Strafvollzugsgesetzes vom 5. Oktober 1983 (LGBl. 1983 Nr. 53) kann die Regierung Personen, die sich im Straf- oder Massnahmenvollzug befinden, in einer ausländischen Strafanstalt unterbringen. Der im Übereinkommen stipulierte Grundsatz der sozialen Wiedereingliederung verurteilter Personen ist im liechtensteinischen Strafvollzugsgesetz in Art. 8 (Gestaltung des Vollzugs, Stellung des Gefangenen) enthalten. Betreffend die Unterbringung von Häftlingen hat Liechtenstein mit Österreich den Vertrag vom 4. Juni 1982 (LGBl. 1983 Nr. 39) abgeschlossen. Liechtenstein ist Vertragsstaat des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (LGBl. 1970 Nr. 29) und des Europäischen Übereinkommens vom 20. April 1959 über die Rechtshilfe in Strafsachen (LGBl. 1970 Nr. 30).
Die Ratifikation des Übereinkommens bedingt keine rechtlichen Anpassungen in Liechtenstein. Es ergeben sich keine direkten finanziellen und personellen Auswirkungen.
Zuständiges Ressort / Zuständige Ämter
Die Vorbereitung des Berichts und Antrags erfolgte federführend über das Ressort Äusseres (Amt für Auswärtige Angelegenheiten).
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Vaduz, 26. August 1997
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, Ihnen nachstehend den Bericht und Antrag betreffend das Übereinkommen über die Überstellung verurteilter Personen vom 21. März 1983 zu unterbreiten.
Die Inhaftierung ausländischer Strafgefangener in einer Strafanstalt zur Verbüssung einer Strafe oder einer freiheitsentziehenden Massnahme ist mit Problemen verbunden, die sich in der Gefängnisumgebung oft verschärfen. Die ausgesprochenen Sanktionen werden in einem sozialen Umfeld vollzogen, mit dem die Strafgefangenen nicht vertraut sind. Sie werden vom Gefängnispersonal überwacht, dessen Sprache sie nicht oder nur schlecht verstehen und sind einem Vollzugssystem unterworfen, das nur schwerlich allein zu ihren Gunsten abgeändert werden kann. Hinzu kommt, dass viele ausländische Insassen von ihren Familien und Freunden abgeschnitten sind und mit einer fremden Kultur und Religion sowie mit anderen Sitten konfrontiert werden. Die ausländischen Strafgefangenen werden somit ohne triftigen Grund im Vergleich zu den anderen Strafgefangenen benachteiligt.
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Infolge der Entwicklung der Kommunikationsmittel und des internationalen Verkehrs ist in vielen Ländern die Zahl ausländischer Strafgefangener gestiegen. Diese Erscheinung ist an Liechtenstein nicht spurlos vorbeigegangen und betrifft es in doppelter Hinsicht: Zum einen gibt es ausländische Strafgefangene in unserem Land, zum anderen sind liechtensteinische Staatsangehörige im ausländischen Strafvollzug.
Die Anzahl der (länger als 5 Tage) in Liechtenstein Inhaftierten von 1992 bis 1996 war folgende:
1992: | 27 (21 Ausländer) |
1993: | 52 (41 Ausländer) |
1994: | 50 (30 Ausländer, 1 Ausländerin) |
1995: | 37 (31 Ausländer) |
1996: | 57 (46 Ausländer, 1 Ausländerin) |
Angesichts der sich ausbreitenden internationalen Kriminalität und der Notwendigkeit, sie möglichst wirkungsvoll zu bekämpfen, kamen die Beneluxstaaten und die anderen Mitgliedstaaten des Europarats anfangs der sechziger Jahre zur Auffassung, dass die üblichen Strafvollzugsbestimmungen des Landesrechts nicht mehr genügten und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit voranzutreiben sei.
Nach allgemeiner Ansicht sollen Souveränitätserwägungen, auf die sich traditionsgemäss die Territorialität der Rechtssetzungs- und Gerichtskompetenz in Strafsachen stützt, kein Hindernis für die Anerkennung der Rechtsverbindlichkeit ausländischer Urteile mehr sein, insbesondere in Anbetracht der neuen Zielsetzungen der Strafrechtspolitik und des gegenseitigen Vertrauens, das zwischen den Mitgliedern des Europarats besteht. Jedem Staat sollte es aufgrund eines internationalen Übereinkommens ermöglicht werden, anderen Vertragsstaaten gegenüber
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Konzessionen hinsichtlich der Ausübung seiner Souveränitätsrechte zu machen.
Ausserdem galt es zu berücksichtigen, dass die moderne Strafrechtspolitik seit einigen Jahrzehnten der Behandlung von Straffälligen vermehrt Bedeutung beimass. Man stellte fest, dass die Wiedereingliederung häufig erheblich erleichtert wurde, wenn die den Straftätern auferlegten Sanktionen im Heimatstaat oder im Wohnsitzstaat verbüsst werden konnten, und nicht im Land, in dem die Straftat begangen oder das Urteil verhängt worden war. Diese Politik wurzelte auch in humanitären Überlegungen, insbesondere in der Erkenntnis, dass die Kommunikationsschwierigkeiten auf Grund der Sprachschranken, der Entbehrung des gewohnten Umfeldes, der örtlichen Gepflogenheiten sowie der fehlenden Kontakte mit Verwandten und Freunden auf die Strafgefangenen unerwünschte Einflüsse haben.
Aus diesen Gründen wurde systematisch an der Lösung der Frage gearbeitet, wie der Geltungsbereich ausländischer Urteile ausgedehnt werden könnte. Diese Anstrengungen mündeten in dem Benelux-Abkommen vom 26. September 1968 über die Vollstreckung von Strafentscheiden und insbesondere in dem Europäischen Übereinkommen vom 28. Mai 1970 über die internationale Geltung von Strafurteilen.
Diese beiden Abkommen haben zum Ziel, einem Staat (Heimat- oder Wohnsitzstaat) die Möglichkeit zu verschaffen, ein Strafurteil zu vollstrecken, das in einem anderen Staat (Urteilsstaat) gefällt worden ist, gegebenenfalls durch Überführung des Verurteilten.
An der Konferenz der europäischen Justizminister im Juni 1978 in Kopenhagen wurde den durch die Inhaftierung von ausländischen Staatsbürgern entstehenden Problemen sowie der Schaffung tauglicher Verfahren, die den Häftlingen zur
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Strafverbüssung die Überstellung in ihr Heimatland ermöglichen, ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Konferenzteilnehmer verabschiedeten eine Empfehlung, mit der das Ministerkomitee des Europarats eingeladen wurde, das "Comite europeen pour les problemes criminels" (CDPC) zu beauftragen, insbesondere "die Möglichkeit der Ausarbeitung eines Musterabkommens zu prüfen, welches für die Überstellung von Strafgefangenen ein einfaches Verfahren vorsieht, das die Mitgliedstaaten untereinander sowie im Verkehr mit Nichtmitgliedstaaten anwenden könnten".
Im Juni 1979 wurde auf Anregung des CDPC ein Sachverständigenausschuss für die ausländischen Häftlinge in Strafanstalten gebildet, der später auf eigenes Begehren befugt wurde, statt eines Musterabkommens ein multilaterales Übereinkommen auszuarbeiten, sofern dieses nicht den Bestimmungen bestehender europäischer Übereinkommen widerspricht.
Im Sachverständigenausschuss waren Experten aus 15 Mitgliedstaaten des Europarats beteiligt. Kanada und die Vereinigten Staaten von Amerika, die in diesem Bereich schon eine Reihe von bilateralen Abkommen abgeschlossen hatten und daher ein reges Interesse an der Arbeit des Europarats bekundeten, waren durch Beobachter vertreten.
Im Verlauf ihrer Arbeiten stellten die Experten fest, dass den früher ausgearbeiteten europäischen Übereinkommen (im besonderen dem Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen), die das Problem der Wiedereingliederung Verurteilter wenigstens teilweise hätten lösen sollen, bei weitem nicht der erhoffte Erfolg beschieden war. Mit Ausnahme des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (LGBl. 1970 Nr. 29) und des Europäischen Übereinkommens über Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 (LGBl. 1970 Nr. 30) sind die im Rahmen des Europarats ausgearbeiteten Instru-
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mente betreffend die Rechtshilfe in Strafsachen nur von wenigen Staaten angenommen worden und ihre Anwendung erwies sich als äusserst schwierig. Hinzu kommt, dass gewisse Staaten, im Bestreben, ihre Souveränität in der Strafrechtspflege zu wahren, nur zögernd Verpflichtungen eingehen, aufgrund derer sie zu stark gezwungen wären, Strafverfolgungen an einen ausländischen Staat abzutreten oder hinzunehmen, dass ein anderer Staat ihre eigenen Strafentscheide vollstreckt. Diese allgemeinen Überlegungen hatten einen erheblichen Einfluss auf die Tätigkeit, der sich der Sachverständigenausschuss von Oktober 1979 bis November 1980 widmete. Der Entwurf eines Übereinkommens wurde von den Sachverständigen an deren 31. Plenarsitzung im Mai 1982 finalisiert und an das Ministerkomitee des Europarats übermittelt.
Anlässlich des 350. Treffens des Ministerkomitees im September 1982 wurde der Text des Übereinkommens gutgeheissen. An ihrem 354. Treffen im Dezember 1982 entschieden die Ministerdelegierten, das Übereinkommen zur Unterzeichnung am 21. März 1983 aufzulegen. Bei dem am 1. Juli 1985 in Kraft getretenen Übereinkommen sind 33 Mitgliedstaaten des Europarats Vertragspartei. Ausserdem sind die Bahamas, Kanada, Trinidad-Tobago und die Vereinigten Staaten von Amerika Vertragsstaaten. Liechtenstein hat das Übereinkommen am 3. Mai 1983, Moldavien hat es am 6. Mai 1997 unterzeichnet. Albanien, Andorra, Russland, San Marino und Mazedonien haben das Übereinkommen noch nicht unterzeichnet.