Stellungnahme der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
zu den anlässlich der ersten Lesung der Gesetzesvorlage zur Schaffung eines Rechtspflegergesetzes aufgeworfenen Fragen
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Vaduz, 10. Februar 1998
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehende Stellungnahme zu den anlässlich der ersten Lesung der Gesetzesvorlage zur Schaffung eines Rechtspflegergesetzes in der Landtagssitzung vom 19. September 1997 aufgeworfenen Fragen zu unterbreiten:
Im Sinne einer Anregung anlässlich der ersten Lesung wird dieser Stellungnahme an den Landtag die Rezeptionsvorlage, nämlich das österreichische Rechtspflegergesetz, beigelegt. Im folgenden soll kurz darauf hingewiesen, in welchen wichtigsten Punkten die vorliegende Regierungsvorlage von der österreichischen Rezeptionsvorlage abweicht.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Regierungsvorlage weitgehend an das österreichische Rechtspflegergesetz vom 12. Dezember 1985 anlehnt und nur dort abweicht, wo dies aufgrund der speziellen liechtensteinischen Verhältnisse für notwendig erachtet wird.
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Eine solche wichtige Abweichung betrifft die Arbeitsgebiete gemäss Art. 3. Während die Zivilprozess- und Exekutionssachen, die Verlassenschafts- und Pflegschaftssachen sowie die Angelegenheit des Gerichtserlages aus dem österreichischen Gesetz übernommen wurden, ist im vorliegenden Gesetzesentwurf ein weiteres Arbeitsgebiet, nämlich dasjenige der Strafsachen im vereinfachten Verfahren, vorgesehen. Ausserdem wird der Wirkungskreis im ersten Arbeitsgebiet durch die Konkurs- und Nachlassvertragssachen erweitert. Die Festlegung der Arbeitsgebiete bzw. Wirkungskreise des Rechtspflegers erfolgte in enger Abstimmung und auf Vorschlag des Landgerichts. Gerade im strafrechtlichen Bereich kann der Rechtspfleger zu einer wirksamen Entlastung des Richters beitragen, was auch vom Obersten Gerichtshof in der Stellungnahme im Rahmen der Vernehmlassung ausdrücklich befürwortet wurde. Die weiteren im österreichischen Rechtspflegergesetz vorgesehenen Arbeitsgebiete, nämlich die Grundbuchsund Schiffsregistersachen sowie die Sachen des Handels- und des Genossenschaftsregisters, wurden im vorliegenden Gesetzesentwurf nicht berücksichtigt. Diese beiden Arbeitsgebiete werden in Liechtenstein vom Öffentlichkeitsregisteramt bzw. vom Grundbuchamt wahrgenommen. Diese unterschiedliche Organisationsstruktur bedingt eine Abweichung von der Rezeptionsvorlage.
Eine wesentliche Abweichung von der österreichischen Rezeptionsvorlage erfolgt auch im Bereich der Anstellung und der Ausbildung der Rechtspfleger. In Österreich ist vorgesehen, dass zur Ausbildung zum Rechtspfleger nur Gerichtsbedienstete zugelassen werden, die die Erfordernisse für die Ernennung auf eine solche Stelle erfüllen und die Gerichtskanzleiprüfung sowie die Prüfung für den Fachdienst beim Gericht erfolgreich abgelegt haben. Nachdem es in Liechtenstein keine entsprechende Ausbildung zum Gerichtsbediensteten gibt, mussten hier neue Lösungen gesucht werden. In der Ausbildung zum Rechtspfleger sind im vorliegenden Gesetzesentwurf ebenfalls abweichende Regelungen zur Rechtspflegerausbildung in Österreich vorgesehen. Aufgrund der grossen Anzahl von
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Rechtspflegeranwärtern und entsprechenden Rechtspflegerstellen gibt es in Österreich Ausbildungslehrgänge für Rechtspfleger. Aufgrund der geringen Anzahl von Rechtspflegerstellen in Liechtenstein wäre dies ein unverhältnismässiger Aufwand. Im vorliegenden Gesetzesentwurf wurde deshalb für Liechtenstein eine eigene Regelung getroffen, wonach die Rechtspflegeranwärter beim Gericht unter der Aufsicht der Richter die entsprechende Ausbildung absolvieren können.
Dies sind die wichtigsten Unterscheidungen des vorliegenden Regierungsentwurfes zur österreichischen Rezeptionsvorlage. Weitere, weniger bedeutende Abänderungen betreffen u.a. die Zusammensetzung der Prüfungskommission sowie die Form der Anstellung.