Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Abänderung des Strafgesetzbuches (Sexualstrafrecht) und Stellungnahme der Regierung zur Initiative vom 17. März 1998 der Abgeordneten Paul Vogt und Egon Matt zur Abänderung des Sexualstrafrechts
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Der vorliegende Bericht und Antrag befasst sich mit einer umfassenden und tiefgreifenden Reform des Sexualstrafrechts. Sie bildet die erste Etappe der Strafrechtsrevision und verfolgt grundsätzlich das Ziel, die Tatbestände der Sexualdelikte den heutigen gesellschafts- und kriminalpolitischen Bedürfnissen und den veränderten gesellschaftlichen Anschauungen, deren Wandel im Bereich der Sexualität besonders deutlich zu Tage tritt, anzupassen und somit auf neue und veränderte Erscheinungsformen im Bereich der Sexualstraftaten sowie die Fortentwicklung gesellschaftlicher Wertvorstellungen zu reagieren.
Nachdem in den Jahren 1996 und 1997 entsprechende Vorarbeiten durch eine von der Regierung bestellte Arbeitsgruppe geleistet worden waren, wurde im Ressort Justiz der gesamte Bereich des Sexualstrafrechts einer intensiven Überprüfung unterzogen und nach einer umfassenden Vernehmlassung der vorliegende Bericht und Antrag erstellt.
Mit der Ersetzung des Begriffes der Sittlichkeit durch den Begriff der sexuellen Selbstbestimmung in der Überschrift wird auf eines der Hauptziele der Revision hingewiesen. Die sexuelle Selbstbestimmung soll geschützt und damit dem jeder Person zustehenden Recht auf Wahrung der geschlechtlichen Integrität und Unversehrtheit im Bereich des Strafrechts Geltung verschafft werden. Daneben sollen die Terminologien dem heutigen Sprachgebrauch angepasst und die Bestimmungen geschlechtsneutral formuliert werden.
Neben der sexuellen Selbstbestimmung will die gegenständliche Vorlage mit der ungestörten sexuellen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ein weiteres, äusserst bedeutsames Rechtsgut schützen. Diesen beiden erklärten
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Hauptzielen der gegenständlichen Revision soll daher u.a. durch eine Erhöhung der Strafdrohungen bei Sexualstraftaten gegen Kinder und Jugendliche insbesondere durch die vorgesehene Schaffung von Qualifikationstatbeständen, die Verlängerung von Verjährungsfristen bei Delikten gegen Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, die Verbesserung des Schutzes von Personen unter 16 Jahren vor sexuellem Missbrauch, die Entkriminalisierung der Jugendliebe, die Verbesserung des Schutzes von Frauen vor Sexualstraftaten in der Ehe, die Aufnahme eines Artikels betreffend die sexuelle Belästigung und die Ausdehnung der Strafbestimmungen im Bereich des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses Rechnung getragen werden.
Darüber hinaus sollen künftig homosexuelle Betätigungen nicht mehr diskriminiert bzw. kriminalisiert und soll vor allem der Kindersextourismus und die Kinderpornographie national und international durch innerstaatliche Bestimmungen einer weltweiten Strafbarkeit unterworfen werden.
Mit diesen beabsichtigten Änderungen soll eine Wandlung vom geltenden Recht als noch stark von staatlichen Vorgaben geprägten Sittenkodex hin zu einem weniger moralisierenden, modernen und effektiven Sexualstrafrecht stattfinden.
Zuständiges Ressort
- Ressort Justiz
Betroffene Amtsstellen
- Staatsanwaltschaft
- Gerichte
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Vaduz, 18. Mai 1999
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Abänderung des Strafgesetzbuches (Sexualstrafrecht) sowie die Stellungnahme zur Initiative vom 17. März 1998 der Abgeordneten Paul Vogt und Egon Matt zur Abänderung des Sexualstrafrechts zu unterbreiten.
Das geltende liechtensteinische Strafgesetzbuch (StGB), LGB1. 1988 Nr. 37, wurde nach mehrjährigen Reformarbeiten am 24. Juni 1987 vom Landtag verabschiedet. Seit seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1989 wurde es lediglich zweimal abgeändert (LGB1. 1993 Nr. 44 und LGB1. 1996 Nr. 64). Diese Abänderungen betrafen allerdings nicht den Bereich des Sexualstrafrechts, welches im 10. Abschnitt des Besonderen Teiles des Strafgesetzbuches geregelt ist.
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Als Rezeptionsgrundlage für das liechtensteinische Gesetz diente das österreichische Strafgesetzbuch von 1974, BGBl. Nr. 60/1974 (öStGB), welches seither mehrfach novelliert wurde. Allein im Sexualstrafrecht kam es fünfmal zu partiellen Abänderungen, welche in Liechtenstein bislang nicht nachvollzogen wurden.
So wurden § 216 öStGB (Zuhälterei) im Jahre 1984 durch BGBl 295/1984 und die §§ 201, 202 und 203 öStGB (Vergewaltigung, Geschlechtliche Nötigung, Begehung in Ehe oder Lebensgemeinschaft) im Jahre 1989 durch BGBl 242/1989 einer Novellierung unterzogen. Im Jahr 1994 wurde durch BGBl 622/1994 der § 207a (Pornographische Darstellung mit Unmündigen) ins österreichische Strafgesetzbuch eingefügt. Diese Bestimmung hat der österreichische Gesetzgeber dann ebenso wie § 64 öStGB (Strafbare Handlungen im Ausland, die ohne Rücksicht auf die Gesetze des Tatorts bestraft werden) durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1996, BGBl 762/1996, abgeändert. Vor kurzem sind schliesslich durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1998 BGBl 153/1998 § 58 (Verlängerung der Verjährungsfrist) sowie die §§ 206 (Schwerer sexueller Missbrauch von Unmündigen) und 207 (Sexueller Missbrauch von Unmündigen) neugefasst worden.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass ausserdem das Bundesgesetz über die Abänderung des Strafgesetzbuches und des AIDS-Gesetzes (BGBl 243/1989) zur Aufhebung von § 210 öStGB (Gewerbsmässige gleichgeschlechtliche Unzucht) und das Jugendgerichtsgesetz 1988 (BGBl 599/1988) zur Abänderung der Altersgrenzen in den §§ 208, 209 und 211 öStGB geführt haben.
Mit der gegenständlichen Vorlage wird ein Grossteil dieser Novellierungen für das liechtensteinische Strafgesetzbuch nachvollzogen. Allerdings soll
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dies im Kontext einer Gesamtrevision des Sexualstrafrechts geschehen, wodurch einzelne terminologische und systematische Ungereimtheiten, die sich im österreichischen Recht aufgrund der mitunter kurzfristig und unter politischem Druck entstandenen partiellen Abänderungen ergeben haben, vermieden werden können.
Abschliessend ist darauf hinzuweisen, dass auch in Österreich Arbeiten im Gange sind, die eine Gesamtrevision des Strafgesetzbuches zum Ziel haben, diese jedoch immer wieder durch vorgezogene Teilnovellierungen unterbrochen werden. Eine solche Teilnovellierung stellt auch das bereits erwähnte Strafrechtsänderungsgesetz 1998 (BGB1 153/1998) dar, welches am 1. Oktober 1998 in Kraft getreten ist. Dieses Gesetz umfasst neben dem Bereich der Korruptionsbekämpfung nicht nur Änderungen des (materiellen) Sexualstrafrechts im engeren Sinn (dort werden die §§ 206 und 207 öStGB betreffend Missbrauch von Unmündigen neugefasst), sondern auch die Verlängerung der Verjährungsfrist sowie im Bereich des Strafprozessrechtes die Ausweitung der sog. schonenden Vernehmung.