Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Schaffung eines neuen Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, RHG)
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Der vorliegende Bericht und Antrag beinhaltet die gänzliche Neufassung des Rechtshilfegesetzes. Nachdem die Regierung im Dezember 1995 ihre grundsätzlichen Überlegungen zu einer Revision des Rechtshilfegesetzes hinsichtlich der Vereinfachung und Straffung der Verfahrensabläufe präsentiert hatte, wurde im Januar 1998 eine Arbeitsgruppe zur Überarbeitung des Rechtshilfegesetzes eingesetzt. Die in dieser Arbeitsgruppe diskutierten Vorschläge bewirkten, dass im Ressort Justiz der gesamte Bereich der Rechtshilfe in Strafsachen einer intensiven Überprüfung unterzogen und nach einer umfassenden Vernehmlassung der gegenständliche Bericht und Antrag erstellt wurde.
Rechtshilfe, namentlich eine solche in Strafsachen, stellt die kontrollierte, nichtsdestotrotz schnelle und effektive Hilfsmassnahme eines Staates gegenüber einem anderen Staat bei der Verfolgung von strafrechtlich relevantem Verhalten dar. Liechtenstein hat ein unbestritten staatspolitisches Interesse an dieser Hilfe. Mit dem vorgeschlagenen Rechtshilfegesetz soll diesen modernen Anforderungen an ein Rechtshilfegesetz Genüge getan werden. Damit soll die Grundvoraussetzung für eine effektive und schnelle Rechtshilfe ebenso geschaffen werden wie der nötige Rechtsschutz der Betroffenen gewährleistet bleiben soll. Rechtshilfe in Fiskalsachen bleibt jedoch nach wie vor ausgeschlossen.
Im Zusammenhang mit der Revision des Strafgesetzbuches, der Strafprozessordnung sowie des Sorgfaltspflichtgesetzes bildet die Revision des Rechtshilfegesetzes den Abschluss eines umfassenden Reformpaketes.
Für das geltende Rechtshilfegesetz vom 11. November 1992, LGBl. 1993 Nr. 68, bildete zum grösseren Teil das schweizerische Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG) die Rezeptionsgrundlage. Die Bestimmungen über die Auslieferung jedoch wurden vom österreichischen Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz (ARHG) übernommen.
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Die bisherigen Erfahrungen mit dem Rechtshilfegesetz 1992 zeigen, dass neben Mängeln im Vollzug des Gesetzes auch das Gesetz selbst für schleppende Abläufe der Rechtshilfe in Strafsachen verantwortlich ist. Insbesondere die Möglichkeit der Anrufung einer Vielzahl von Rechtsmittelinstanzen sowie die hohen Anforderungen an die Gewährung der Rechtshilfe in formeller und materieller Hinsicht, liessen die Notwendigkeit zu einer Revision des bestehenden Rechtshilfegesetzes offensichtlich werden. Soll Rechtshilfe Sinn machen bzw. den heutigen Notwedigkeiten entsprechen, ist eine Reform des Rechtshilfegesetzes daher angezeigt.
Bei dieser Revision war ferner der Beitritt Liechtensteins zur Konvention Nr. 141 des Europarates zu berücksichtigen. Sie bedeutet für Liechtenstein Verpflichtungen, die durch diese Revision umgesetzt werden.
Im Hinblick auf die systemkonforme Ausrichtung des Rechtshilfegesetzes auf die aus Österreich stammenden gesetzlichen Bestimmungen des Strafgesetzbuches (StGB) und der Strafprozessordnung (StPO) wie auch auf die Neugestaltung des Rechtshilfeverfahrens auf verwaltungsrechtlicher und gerichtlicher Ebene ist es zielführend, keine Teilrevision, sondern eine Totalrevision des Rechtshilfegesetzes vorzunehmen.
Die Schwerpunkte dieser Vernehmlassungsvorlage bilden im Wesentlichen:
die Änderung der sachlichen Zuständigkeit auf Verwaltungsebene;
die Beschleunigung des Rechtshilfeverfahrens durch Wegfall des Instanzenzuges im Verwaltungsverfahren;
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die klare Kompetenzabgrenzung zwischen Verwaltung und Gerichtsbarkeit im Rechtshilfeverfahren;
die vereinfachte Ausführung im Bereich der Übersendung von Gegenständen und Akten (Einigungsverfahren);
die Erleichterung in Bezug auf das Erfordernis der richterlichen Anordnung nach Art. 72 Bst. c des geltenden Rechtshilfegesetzes;
die Aufnahme von Bestimmungen zur Ermöglichung der Vollstreckung von ausländischen Einziehungsentscheidungen,
die Überwachung von ausländischen gerichtlichen Auflagen und Massnahmen (Bewährungshilfe, Weisungen)
Zuständiges Ressort
- Ressort Justiz
Betroffene Stellen
- Landgericht, Obergericht, Oberster Gerichtshof
- Rechtsdienst der Regierung
- Staatsanwaltschaft
- Landespolizei
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Vaduz, 23. Mai 2000
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Schaffung eines neuen Rechtshilfegesetzes zu unterbreiten.
Nach dem derzeit in Geltung befindlichen Gesetz vom 11. November 1992 über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz; RHG), LGBl. 1993 Nr. 68, ist einerseits die Regierung mit der Entscheidung über die Zulässigkeit eines vom Ausland einlangenden Rechtshilfeersuchens und andererseits das Fürstliche Landgericht mit der Durchführung der Rechtshilfehandlungen betraut. Die Regierung hat ihre Befugnisse nach dem RHG zunächst an die Regierungskanzlei, in der Folge dann an den Rechtsdienst der Regierung unter Vorbehalt des Rechtszuges an die Kollegialregierung zur selbständigen Erledigung delegiert. In der Praxis eröffnete die Zweiteilung des Rechtshilfeverfahrens, in einen verwaltungsrechtlichen und einen gerichtlichen Teil, den Betroffenen die Möglichkeit zur Ausnützung eines umfangreichen Instanzenzuges. Dies wurde von verschiedenen Seiten wiederholt und nach Auffassung der Regierung zurecht mit kritischen Anm-
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erkungen versehen. Zuletzt stellten der Oberste Gerichtshof und der Staatsgerichtshof (StGH 1999/45) übereinstimmend fest, dass der Instanzenzug die von Liechtenstein im Rahmen des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens vom 20. April 1959 (LGBl. 1970 Nr. 30) übernommene völkerrechtliche Verpflichtung zur speditiven Bearbeitung von ausländischen Rechtshilfeersuchen beeinträchtige.
Die Erfahrungen mit dem Rechtshilfegesetz 1992 erhärten diese Ausführungen. Unter Zuhilfenahme der vorgesehenen Beschwerde- und Rechtsmittelmöglichkeiten und der spezifisch liechtensteinischen Schutzbestimmungen für unbeteiligte Dritte wurde die Rechtshilfe in Strafsachen, insbesondere in grossen und komplizierten, für ausländische Strafverfolgungsbehörden ausserordentlich wichtigen Fällen, über Gebühr behindert oder doch zumindest erschwert.
Die im geltenden Rechtshilfegesetz enthaltenen Bestimmungen über die Auslieferung wurden vom österreichischen Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz (ARHG) rezipiert. Die allgemeinen Bestimmungen, die andere Rechtshilfe, die stellvertretende Strafverfolgung und die Vollstreckung von Strafentscheidungen zeigen eine starke Anlehnung an das schweizerische Bundesgesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRSG).
Im Gegensatz zur Schweiz besteht im Fürstentum Liechtenstein eine strenge Trennung zwischen Verwaltung und Gerichtsbarkeit, so dass im Bereich der Gewaltentrennung stärkere Bezugspunkte zur österreichischen Verfassung erkennbar sind. Weiters wurden das materielle Strafrecht (Strafgesetzbuch) und die verfahrensrechtlichen Normen (Strafprozessordnung) von Österreich rezipiert, so dass die Angleichung des liechtensteinischen Rechtshilfegesetzes (RHG) an das österreichische Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz (ARHG) nur eine konsequente Fortsetzung der bisherigen bewährten Praxis darstellt.