Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Beteiligung des Fürstentums Liechtenstein an der 5. Kapitalerhöhung der Entwicklungsbank des Europarates
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Die Entwicklungsbank (früher: Wiedereingliederungsfonds bzw. Sozialentwicklungsfonds) des Europarates wurde am 16. März 1956 errichtet. Liechtenstein ist seit dem 1. Januar 1976 Mitglied der Entwicklungsbank. Sie ist ein wirkungsvolles Instrument der innereuropäischen Entwicklungshilfe und finanziert heute Projekte zugunsten von Flüchtlingen, Migranten und Opfern von Naturkatastrophen, Projekte des sozialen Wohnungsbaus, zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Klein-und Mittelbetrieben in unterentwickelten Regionen, zur Schaffung von sozialen Infrastrukturen im Erziehungs- und Gesundheitswesen und im Rahmen der ländlichen Entwicklung sowie bei der Sanierung sozial benachteiligter Stadtbezirke, schliesslich seit 1998 Projekte zum Schutz bzw. zur Wiederherstellung des kulturellen Erbes. Die Bank hat sich zur Zeit einer doppelten Herausforderung zu stellen. Einerseits ist die Finanzierung der weiterhin kräftigen Kreditnachfrage aus den älteren Mitgliedsländern zu sichern, andererseits sind ihre finanziellen Strukturen auf die allseits gewünschte und bereits in Gang gekommene Ausweitung der Darlehen an die neuen, sich im Übergang befindlichen Mitgliedstaaten einzustellen.
Für Liechtenstein ergeben sich mit der Beteiligung an der Kapitalerhöhung keine unmittelbaren Zahlungsverpflichtungen. Die Zeichnung von zusätzlichen Anteilscheinen in Höhe von 1'661'111 EUR bedeutet die Übernahme einer zusätzlichen Garantie in dieser Höhe für den Fall des finanziellen Zusammenbruchs der Entwicklungsbank. Diese zusätzliche Garantie verringert sich nach In-Kraft-Treten der Kapitalerhöhung wieder durch die Inkorporierung von Reserven in Höhe von 183'387 EUR in das liberierte Kapital zugunsten Liechtensteins. Liechtenstein setzt mit dem Beschluss zur Beteiligung an der Kapitalerhöhung ein klares politisches Zeichen, dass seine Mitarbeit in Europa und sein Interesse am europäischen Einigungsprozess auch eine konkrete soziale Dimension hat.
Zuständige Ressorts
Ressort Äusseres, Ressort Finanzen
Betroffene Stellen
Amt für Auswärtige Angelegenheiten, Ständige Vertretung beim Europarat
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Vaduz, 22. August 2000
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Beteiligung des Fürstentums Liechtenstein an der 5. Kapitalerhöhung der Entwicklungsbank des Europarates zu unterbreiten.
Die Entwicklungsbank (früher: Sozialentwicklungsfonds bzw. Wiedereingliederungsfonds) des Europarates wurde am 16. März 1956 errichtet. Rechtlich gesehen handelt es sich bei der Satzung der Bank um ein sogenanntes Teilabkommen (Accord Partiel). In der Praxis des Europarates werden damit alle Abkommen bezeichnet, die von einer beschränkten Anzahl von Mitgliedstaaten abgeschlossen werden. In der Zwischenzeit sind 34 der 41 Mitgliedstaaten des Europarates sowie der Heilige Stuhl Vertragsparteien dieses Abkommens (siehe Beilage 1). Wie alle Teilabkommen ist auch dieses Teilabkommen kündbar, unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Ende eines laufenden Rechnungsjahres.
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Liechtenstein ist seit dem 1. Januar 1976 Mitglied der Entwicklungsbank (vgl. Anhang zu LGBl. 1980 Nr. 62, Beilage 2) und arbeitet in dessen beiden Hauptorganen, dem Direktionsausschuss und dem Verwaltungsrat, in denen es statutarisch einen Sitz hat, aktiv mit. Die Entwicklungsbank ist eine unter der Oberhohheit des Europarates stehende, finanziell und organisatorisch jedoch von diesem unabhängige Organisation für soziale Entwicklung, deren Geschäftstätigkeit in der Aufnahme von Anleihen auf dem internationalen Kapitalmarkt und in der Gewährung von Darlehen an die Regierungen der Mitgliedstaaten besteht. Darlehen können auch an andere Körperschaften vergeben werden, sofern die betreffende Regierung dies genehmigt. Die Darlehen dienen zur Verwirklichung bestimmter, eingehend geprüfter und genehmigter Projekte, die den Zielsetzungen der Bank zu entsprechen haben.
Parallel zur Verfolgung des ursprünglich wichtigsten Zwecks, nämlich der Wiedereingliederung nationaler Flüchtlinge auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, bemüht sich die Bank heute vor allem darum, die sozialen Bedingungen in den Ländern und Regionen Europas, deren Wirtschaft ungenügend entwickelt ist, zu verbessern. Neben dem Mittelmeerraum sind in den letzten Jahren die Länder Mittel- und Osteuropas in zunehmendem Mass in die Hilfeleistungen einbezogen worden.
Die Entwicklungsbank ist ein wirkungsvolles Instrument der innereuropäischen Entwicklungshilfe. Sie betätigt sich heute auf den folgenden Gebieten: Projekte zugunsten von Flüchtlingen, Migranten und Opfern von Naturkatastrophen (nach wie vor prioritär nach dem Statut der Bank), Projekte des sozialen Wohnungsbaus, zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Klein-und Mittelbetrieben in unterentwickelten Regionen, zur Schaffung von sozialen Infrastrukturen im Erziehungs- und Gesundheitswesen und im Rah
men der ländlichen Entwicklung sowie bei der Sanie-
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rung sozial benachteiligter Stadtbezirke, schliesslich seit 1998 Projekte zum Schutz bzw. zur Wiederherstellung des kulturellen Erbes.
Seit 1994 hat die Bank sowohl bezüglich der Höhe der ausgezahlten Kredite als auch bezüglich der Qualität der Projekte eine energische Wachstumspolitik betrieben, die drei Ziele verfolgt:
bessere geographische Verteilung der ausgezahlten Kredite bzw. der Aussenstände;
stärkere Ausrichtung auf die prioritären Tätigkeitsbereiche der Bank;
Ausdehnung der Aktivitäten in den mittel- und osteuropäischen Ländern.
Diese Politik, die sich sowohl bezüglich der approbierten Projekte als auch bezüglich der ausgezahlten Darlehen in einem starken Wachstum der Aktivitäten niedergeschlagen hat, ist mit drei Konsequenzen verbunden:
Die Politik der geographischen Diversifizierung hat dazu geführt, dass die Zahl der Länder, in denen zumindest eine Kreditoperation in Gang befindlich ist, von 13 im Jahr 1994 auf 22 im Jahr 1999 angestiegen ist.
Die Nachfrage nach Krediten ist erheblich angestiegen.
Der aktuelle Projektbestand ist weitgehend von guter Qualität und wird kurz- und mittelfristig kräftige Kreditauszahlungen nach sich ziehen.
Die Ausdehnung der Aktivitäten in den mittel- und osteuropäischen Ländern, entsprechend dem ersten Entwicklungsplan aus dem Jahre 1996 und den politischen Vorgaben des Gipfeltreffens des Europarates vom Oktober 1997 in Strassburg, bedurfte zunächst der Beitritte der betreffenden Länder. Die folgenden 12 Staaten sind seit der letzten Kapitalerhöhung durch Liechtenstein der Bank
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beigetreten: Litauen (1996), Rumänien (1996), Kroatien (1997), die Ehemalige Jugoslawische Republik Mazedonien (1997), Ungarn (1998), Estland (1998), Moldau (1998), Polen (1998), Lettland (1998), Slowakische Republik (1998), Tschechische Republik (1999), Albanien (1999).
Wegen der relativ kurzen Mitgliedschaft dieser Länder schlägt sich die Ausdehnung der Aktivität der Bank zunächst in einer Zunahme der approbierten Projekte nieder. So ist der Bestand an Projekten aus dieser Ländergruppe von unter 20 Millionen EUR im Jahre 1996 auf fast 400 Millionen EUR Ende 1999 angestiegen. Die Auszahlungen sind noch bescheiden. Es handelt sich dabei um ein zeitliches Problem, das auch mit der Aufnahmefähigkeit und den Verwaltungs- und den Gesetzgebungsverfahren der Kreditnehmerländer zusammenhängt. Die Auszahlungen haben sich in den letzten beiden Jahren von einem zunächst niedrigen Niveau stark beschleunigt (bis 1998: unter 6 Millionen EUR; bis Mai 2000 kumulativ 161 Millionen EUR).
Die Bank reagiert zudem besonders schnell auf Notsituationen, mit denen diese Mitgliedstaaten konfrontiert werden, seien es Naturkatastrophen in Bulgarien, Ungarn, Polen und der Slowakischen Republik oder das Drama der verlassenen Kinder in Rumänien.
Die Bank hat bereits Ende 1995 das "Selektive Treuhandkonto" eröffnet, das der Zinsverbilligung für prioritäre Projekte dient. Es wurde seither mit mehr als 40 Millionen EUR aus den jährlichen Überschüssen der Bank ausgestattet und hat auch mehrere Sonderoperationen ermöglicht, darunter zwei Projekte in Bosnien-Herzegovina, obwohl dieser Staat nicht Mitglied der Bank ist.
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Im Jahre 1999 hat die Bank einige Massnahmen mit besonderem Ausnahmecharakter durchgeführt, die alle mittel- und osteuropäischen Staaten zugute gekommen sind:
Die Bank hat sich an der internationalen Solidaritätsanstrengung zugunsten der von der Kosovo-Krise betroffenen Bevölkerungskreise beteiligt, und zwar durch zwei Schenkungen in Höhe von insgesamt 2 Millionen EUR (rund eine Million EUR für mobile Trinkwasseraufbereitungsanlagen in Nordalbanien und rund eine Million EUR für die Wasserversorgung eines Flüchtlingslagers in Nordmazedonien) und durch die Übernahme der Kosten des Beitritts Albaniens zur Bank in etwa derselben Höhe, jeweils aus Mitteln des Selektiven Treuhandkontos.
Im Weiteren hat die Bank auf Ersuchen der rumänischen Regierung eine Schenkung von 1 Million EUR zugunsten von Kindern in Waisenhäusern vorgenommen.
Die insgesamt ausgezahlten Kredite beliefen sich im Jahr 1999 auf ein Total von 1,712 Milliarden EUR (1998: 1,056 Milliarden), davon 92'944'000 EUR (5,4%) an mittel- und osteuropäische Länder. Hauptkreditnehmer waren Spanien (36%), Deutschland (15%), Griechenland (13%) sowie Italien und Frankreich (je 9%). In der geographischen Verteilung der 1999 ausgezahlten Kredite spiegelt sich einerseits die Politik der Risikodiversifizierung und andererseits die bereits angesprochene zeitliche Verzögerung der Kreditauszahlungen an die neuen, sich im Übergang befindlichen Mitgliedstaaten wider. Seit Gründung der Institution wurden insgesamt Kredite für soziale Projekte in Höhe von fast 13,6 Milliarden EUR vergeben. Die Bilanzsumme lag im Jahre 1999 bei 12,7 Milliarden EUR.
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Die Entwicklungsbank nimmt jährlich mehrere Anleihen in verschiedenen Währungen, je nach Bedarf der Darlehensnehmer, auf dem internationalen Kapitalmarkt auf, um die Darlehen an die einzelnen Kreditnehmer zu finanzieren.
Der Gewinn der Bank, der sich im Jahr 1999 auf 91,4 Millionen EUR belief, wird weitgehend durch eine gute Anlage der Eigenmittel erzielt. Die Kreditmargen der Bank werden bewusst sehr niedrig gehalten, um den sozialen Zweck der Darlehen nicht zu gefährden.
Gesamthaft kann festgehalten werden, dass die Entwicklungsbank des Europarates ein wirksames, wenn auch im Verhältnis zu den Finanzinstitutionen der Europäischen Union finanziell eher bescheidenes Mittel zum Ausgleich von wirtschaftlichen Ungleichgewichten in Europa ist. Die starke Ausweitung ihres Tätigkeitsgebietes und ihrer Bilanz, die weiterhin zunehmende Nachfrage nach ihren Krediten und nicht zuletzt die zahlreichen Neu-Beitritte von mittel- und osteuropäischen Staaten beweisen deutlich die Beliebtheit der Bank als Finanzinstrument zur Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage in den europäischen Ländern.