Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2000 / 90
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Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Aus­gangs­lage
2.Schaf­fung eines Gewalt­schutz­rechts zum Schutz vor Gewalt in der Familie
3.Schwer­punkte der Vorlage
4.Ver­nehm­las­sung
5.Zu den ein­zelnen Bestimmungen
6.Per­so­nelle und finan­zi­elle Auswirkungen
7.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit
II.Antrag der Regierung
III.Regie­rungs­vor­lagen
Kein Titel
Kein Titel
Kein Titel
 
Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Schaffung eines Gewaltschutzrechts zum Schutz vor Gewalt in der Familie (ABGB, Exekutionsordnung und Polizeigesetz)
 
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Gewalt in der Familie ist ein ernstzunehmendes Problem. Es tritt nahezu ausschliesslich im häuslichen Bereich, also hinter verschlossenen Türen, auf. Eingriffe in den Privatbereich bzw. in Familienangelegenheiten durch Behörden können nur sehr eingeschränkt und äusserst behutsam vorgenommen werden. Oft ist das Opfer hilflos und vom Täter bzw. der Täterin finanziell abhängig.
Im vorliegenden Gesetzesentwurf werden die Voraussetzungen und die Handlungsmöglichkeiten von staatlicher Seite festgelegt. Im Zentrum steht dabei das Recht der Wegweisung des Aggressors bzw. der Aggressorin aus der Wohnung (Wegweiserecht) und das Betretungsverbot. Die durch eine einstweilige Verfügung des Landgerichts ergangene Wegweisung bzw. das Betretungsverbot kann gegen einen erweiterten Personenkreis ausgesprochen werden. Es sind alle nahen Angehörigen sowie der Lebensgefährte bzw. die Lebensgefährtin durch die einstweilige Verfügung geschützt, sofern sie ein Wohnbedürfnis an der Wohnung haben. Der Landespolizei sollen zusätzliche Kompetenzen zum Einschreiten bei Gewalt in der Familie dahingehend übertragen werden, dass sie vor der Manifestation von Gewalt präventiv einschreiten kann und die Person, von der die Gefahr ausgeht, aus der Wohnung verweisen und ein Betretungsverbot anordnen kann.
Zuständiges Ressort
Ressort Familie und Gleichberechtigung
Betroffene Amtsstellen
Amt für Soziale Dienste, Gleichstellungsbüro, Landespolizei
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Vaduz, 11. September 2000
P
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Schaffung eines Gewaltschutzrechts zum Schutz vor Gewalt in der Familie (ABGB, Exekutionsordnung und Polizeigesetz) zu unterbreiten.
1.1Problematik
Gewalt in der Familie ist in der heutigen Gesellschaft ein Phänomen, das in verschiedenen Ausprägungen in allen Gesellschaftsschichten auftritt. Die liechtensteinischen Behörden, die Landespolizei, das Amt für Soziale Dienste, die Staatsanwaltschaft und das Landgericht sowie auch soziale Einrichtungen privater Träger, wie etwa das Frauenhaus, haben es immer wieder mit Familien zu tun, in denen Gewalt vorkommt. Obwohl es Aufgabe des Staates ist, die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen und viele Bereiche des öffentlichen Lebens geregelt sind und einer Kontrolle unterliegen, stellt die Familie für viele
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einen ungeschützten Raum dar. Gewaltakte, die sich in der Abgeschlossenheit der häuslichen Sphäre ereignen, sind nicht einfach zu erfassen. Zum einen dringt, was innerhalb der Wohnung geschieht, kaum nach aussen. Dies erschwert naturgemäss die Wahrnehmung - und den Nachweis - von Straftaten im Wohnbereich. Zum anderen sind der staatlichen Kontrolle der Wohnsphäre verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt: Dem Staat ist grundsätzlich die Respektierung der Privat- und insbesondere der Wohnsphäre des Menschen auferlegt (vgl. insbesondere Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK), LGBl. 1982 Nr. 60). Deshalb zögern oder scheuen staatliche Organe davor zurück, die Familie zum Gegenstand und Ort ihrer Interventionen zu machen. Misshandlungen im häuslichen Bereich werden zudem vielfach als "Privatsache" abgetan. Von Gewalt Betroffene (in der Regel sind die bedrohten Personen (Ehe)frauen und Kinder, in selteneren Fällen ist die (Ehe)frau oder ein Jugendlicher der Aggressor) müssen enorme Energien aufbringen, um sich der Gewalt innerhalb der Familien zu entziehen oder widersetzen zu können. Da sich die Opfer häufig in einer emotionalen Bindung und ökonomischen Abhängigkeit zum Gewaltanwender bzw. der Gewaltanwenderin befinden, fällt es ihnen besonders schwer, ausserhalb der Familie Hilfe zu suchen bzw. eine Anzeige zu erstatten. Unter Umständen wird aus Angst um Leib und Leben zwar die Polizei gerufen, aufgrund der genannten Bindung und Abhängigkeit aber selten Anzeige erstattet oder häufig eine bereits gemachte Anzeige wieder zurückgezogen. Dadurch gewinnt die gewaltausübende Person noch mehr Macht über das Opfer. Die Spirale von Gewalt wird grösser.
All dies kann jedoch nicht bedeuten, dass der Anspruch des einzelnen auf staatlichen Schutz vor Straftaten schlechterdings an der Wohnungstür endet, sondern nur, dass präventiv-polizeiliche Massnahmen in diesem Bereich mit besonderem Bedacht zu setzen sind. Es obliegt dem Staat, deutlich zu machen, dass Angriffe auf die körperliche Integrität anderer auch dann nicht hingenommen werden
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können, wenn sie sich in der häuslichen Sphäre ereignen. Das kriminelle Unrecht und die sicherheitspolizeiliche Gefährlichkeit einer solchen Tat sind nicht schon deswegen geringer, weil diese sich gegen einen angehörigen Mitbewohner richten. Durch ein attraktiveres Angebot an wirksamen Massnahmen staatlichen Schutzes und sozialer Unterstützung können Opfer ermutigt werden, die Hilfe der öffentlichen Einrichtungen in Anspruch zu nehmen.
Die liechtensteinische Landespolizei verfügt, gemäss Art. 2 Abs. 1 Bst. a des Gesetzes vom 21. Juni 1989 über die Landespolizei (Polizeigesetz), LGBl. 1989 Nr. 48, wonach es ihr obliegt, bei der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mitzuwirken und bei unmittelbarer Gefährdung oder Störung die unaufschiebbaren Massnahmen zu treffen, in Verbindung mit Art. 133 f. des Gesetzes vom 21. April 1922 über die allgemeine Landesverwaltungspflege (die Verwaltungsbehörden und ihre Hilfsorgane, das Verfahren in Verwaltungssachen, das Verwaltungszwangs- und Verwaltungsstrafverfahren), LVG, LGBl. 1922 Nr. 24, über die Möglichkeit der Verwahrung von Personen bei Gefahr in Verzug. Diese Massnahme wurde in den letzten Jahren laut Auskunft der Polizei vorwiegend zur Ausnüchterung von Personen angewandt.
Einen gesetzlichen Schutz kann die bedrohte Person nur dann erreichen, wenn sie Anzeige bei der Polizei oder bei der Staatsanwaltschaft erstattet und das Gericht daraufhin entsprechende Verfügungen trifft. Das Amt für Soziale Dienste erfährt von Gewalthandlungen erst im Nachhinein und kann beraterisch nur tätig werden, wenn beide Parteien dies wünschen. Art. 11f. des Sozialhilfegesetzes vom 15. November 1984, LGBl. 1985 Nr. 17, ist in diesem Zusammenhang ein kaum anwendbares Instrument. Einen besseren Schutz vor Gewaltanwendungen bieten das Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch vom 1. Juni 1811 (ABGB), im Fürstentum Liechtenstein eingeführt auf Grund der Fürstlichen Verordnung vom 18. Februar 1812, in der Fassung des Gesetzes vom 22. Oktober 1992, LGBl. 1993 Nr.
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54, und das Jugendgesetz vom 19. Dezember 1979, LGBl. 1980 Nr. 38. Problematisch ist hier, dass die gerichtlichen und behördlichen Massnahmen zum Schutz der Opfer, die aufgrund der derzeitigen gesetzlichen Lage möglich sind, zu spät einsetzen, da zuerst etwas passieren muss, bevor sie eingeleitet werden können. Dies erfordert Zeit, eine unmittelbare, sofortige Intervention ist nicht möglich. Somit werden primär- oder sekundär präventive Massnahmen in der Regel verunmöglicht; bedrohte Familienmitglieder können nur ungenügend geschützt werden. Zudem können die Massnahmen nicht sofort greifen. In einer akuten Konfliktsituation können Polizei oder andere Interventionspersonen nur schlichten, aber weder die kurzfristige polizeiliche Verwahrung noch die gerichtliche Verurteilung für eine Straftat sind im nachhinein präventiv wirksam.
LR-Systematik
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210
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281
1
14
143
LGBl-Nummern
2001 / 027
2001 / 026
2001 / 025
Landtagssitzungen
27. Oktober 2000
Stichwörter
ABGB, Abän­de­rung (Gewaltschutzrecht)
EO, Abän­de­rung (Gewaltschutzrecht)
Exe­ku­ti­ons­ord­nung, Abän­de­rung (Gewaltschutzrecht)
Gewalt, Familie
Gewalt­schutz­recht
PolG, Abän­de­rung (Gewaltschutzrecht)
Poli­zei­ge­setz, Abän­de­rung (Gewaltschutzrecht)
Schutz, Gewalt in der Familie