Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend das Abkommen vom 21. Juni 2001 zur Änderung des Übereinkommens vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) - Vaduzer Konvention
Teil I
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Das Übereinkommen zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) war am 4. Januar 1960 in Stockholm unterzeichnet worden. Die Beziehungen zwischen den heutigen EFTA-Mitgliedstaaten (Island, Norwegen, Schweiz und Liechtenstein) werden seither durch diese Konvention geregelt, deren materieller Anwendungsbereich ursprünglich auf den Warenhandel beschränkt war. Die Beziehungen Liechtensteins zur EFTA wurden bis zum Beitritt im Jahre 1991 über ein gesondertes Protokoll mit den EFTA-Staaten geregelt. Im Jahre 1995 traten drei der nach dem Austritt von Finnland, Österreich und Schweden verbliebenen vier EFTA-Staaten, nämlich Island, Liechtenstein und Norwegen, dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bei. Die Schweiz hatte ihrerseits im Jahre 1999 sieben sogenannte sektorielle Abkommen in den Bereichen Forschung, öffentliches Beschaffungswesen, gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA), Landwirtschaft, Luftverkehr, Strassen- und Schienenverkehr und die Freizügigkeit im Personenverkehr mit der Europäischen Union (EU) abgeschlossen.
Bereits während der Verhandlungen zu den sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU hatte der Bundesrat seine Bereitschaft erklärt, nach Abschluss der Verhandlungen die Verhandlungsergebnisse im Sinne der Gleichbehandlung auch den EFTA/EWR-Staaten anzubieten. Ein diesbezüglicher formeller Vorschlag der Schweiz zur Verhandlungsaufnahme - unter Beachtung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Gegenseitigkeit - wurde den drei anderen EFTA-Staaten nach Abschluss der sektoriellen Verhandlungen unterbreitet. Dieser Vorschlag betraf nur das Verhältnis der Schweiz zu den übrigen EFTA-Staaten, da die Beziehungen der drei EFTA/EWR-Staaten unter sich und im Verhältnis zur EU bereits im EWR-Abkommen geregelt sind.
Im Juni 1999 beschloss daraufhin der EFTA-Ministerrat, das EFTA-Übereinkommen zu revidieren, um so die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den EFTA-Staaten intensivieren zu können. Die angestrebte Verbesserung der Kooperation sollte insbesondere dem Stand der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU entsprechen sowie die Zusammenarbeit der EFTA-Staaten mit Drittstaaten, welche nicht EU-Mitgliedstaaten sind, berücksichtigen. Schliesslich sollte den Entwicklungen auf der Ebene des multilateralen Handels, vor allem im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), Rechnung getragen werden. Die sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU bildeten bei der Überarbeitung des EFTA-Übereinkommens die Referenzgrundlage.
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Die Verhandlungen zwischen den EFTA-Staaten konnten im Wesentlichen am 6. April 2001 abgeschlossen werden. Zwei Bereiche, der Schutz des geistigen Eigentums und die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und Liechtenstein, bedurften vertiefter Abklärungen, welche zu Beginn des Monats Juni 2001 zum Abschluss gebracht werden konnten. Das Abkommen zur Änderung des Übereinkommens zur Errichtung der EFTA wurde in Vaduz am 21. Juni 2001 bei einer Zusammenkunft des EFTA-Rats auf Ministerebene unterzeichnet. Anlässlich der Unterzeichnung hatte die norwegische Handelsministerin Grete Knudsen vorgeschlagen, die Übereinkunft künftig als "Vaduzer Konvention" zu bezeichnen.
Mit der Vaduzer Konvention wird eine vollständige Überarbeitung des EFTA-Übereinkommens von 1960 vorgenommen. Die vertraglichen Beziehungen zwischen der Schweiz und den übrigen EFTA-Staaten werden auf eine mit den durch die sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU geschaffenen vertraglichen Beziehungen vergleichbare Ebene gebracht, mit Ausnahme des Forschungsbereichs (wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit), wo dies nicht als notwendig erschien. In verschiedenen Bereichen ist nun auch die bisher fehlende formale Grundlage für die Aushandlung von Freihandelsbeziehungen zwischen den EFTA-Staaten und Drittstaaten vorhanden. Dies gilt namentlich für die Dienstleistungen, den Kapitalverkehr und den Schutz des geistigen Eigentums.
Die Änderungen des EFTA-Übereinkommens betreffen insbesondere folgende Punkte:
die bestehenden Bestimmungen über den Warenhandel, der ursprüngliche Kern des EFTA-Übereinkommens, sind restrukturiert und von obsoleten Bestimmungen befreit worden (z.B. von den Bestimmungen betreffend Übergangsfristen für den Abbau von tarifären Massnahmen);
die Bestimmungen über den Handel mit Landwirtschaftserzeugnissen wurden nachgeführt, unter Berücksichtigung der Entwicklungen der Beziehungen zwischen den EFTA-Staaten und Drittstaaten, welche nicht EU-Mitgliedstaaten sind, sowie im Rahmen der WTO. Die tarifären Konzessionen bezüglich landwirtschaftlicher Grundprodukte wurden in einigen Fällen erweitert (z.B. auf Käse, verschiedene Gemüsesorten, Schaf- und Lammfleisch und Pferde);
die gegenseitige
Anerkennung der Konformitätsbewertungen (das sind Prüfungen, Inspektionen, Zertifizierungen, Anmeldungen und Zulassungen, die im grenzüberschreitenden Warenverkehr gefordert werden) wurde neu in das EFTA-Übereinkommen aufgenommen. Die diesbezüglichen Bestimmungen entsprechen denjenigen des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen zwischen der Schweiz und der EU. Überdies wurde das
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Meldeverfahren für Entwürfe von geplanten Vorschriften überprüft und auf Vorschriften betreffend Dienstleistungen der Informationsgesellschaft ausgeweitet, um so den jüngsten Entwicklungen innerhalb der EU und des EWR Rechnung tragen zu können;
die Personenfreizügigkeit wurde neu auch für den EFTA-Raum eingeführt. Begleitet wird sie von einer Koordinierung der verschiedenen Systeme der Sozialen Sicherheit und der gegenseitigen Diplomanerkennung. Die Personenfreizügigkeit zwischen den EFTA-Staaten ist der Regelung des betreffenden sektoriellen Abkommens zwischen der Schweiz und der EU nachgebildet. Besondere Bestimmungen gelten in diesem Bereich zwischen Liechtenstein und der Schweiz;
die EFTA-Staaten gewähren sich gegenseitigen Zugang zu ihren Märkten, welcher über die WTO-Standards hinausgeht;
der Schutz des geistigen Eigentums wurde neu in das Übereinkommen aufgenommen und durch griffige Bestimmungen geregelt;
das EFTA-Übereinkommen enthält nun auch Bestimmungen über den Handel mit Dienstleistungen und Investitionen. Die EFTA-Staaten haben jedoch beschlossen, gewisse Restriktionen in diesen Bereichen beizubehalten. Diese sollen aber schrittweise abgebaut werden. Der Liberalisierungsprozess hängt auch vom Abschluss eines bilateralen Abkommens über Dienstleistungen zwischen der Schweiz und der EU ab;
das EFTA-Übereinkommen enthält schliesslich Bestimmungen über den Luft- und Landverkehr, welche den diesbezüglichen sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU nachgebildet sind. Beim Landverkehr wird ein Quotensystem (Kontingente für 40-Tonnen-Fahrten sowie Leer- und Leichtfahrten) eingeführt.
Das neue EFTA-Übereinkommen ist damit ein modernes Instrument, welches den aktuellen Bedürfnissen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen in angemessener Weise Rechnung trägt. Es weist neu einen dynamischen Charakter auf. Dies bedeutet, dass es regelmässig den neuen Gegebenheiten angepasst werden wird, um so die Entwicklungen der bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU einerseits (Abschluss neuer Verhandlungen oder Anpassung der bestehenden Abkommen, um der Entwicklung des Gemeinschaftsrechts zu entsprechen), und diejenigen innerhalb des EWR andererseits berücksichtigen zu können.
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Zuständige Ressorts
Ressort Äusseres, Ressort Wirtschaft
Betroffene Amtsstellen
Amt für Auswärtige Angelegenheiten, Amt für Volkswirtschaft, Amt für Zollwesen; Ständige Mission in Genf
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Vaduz, den 15. Januar 2002
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehend den Bericht und Antrag betreffend das Abkommen vom 21. Juni 2001 zur Änderung des Übereinkommens vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) - Vaduzer Konvention, zu unterbreiten.
Anlässlich der Zusammenkunft des EFTA-Ministerrats vom 1. Juni 1999 beschlossen die EFTA-Mitgliedstaaten, das Übereinkommen vom 4. Januar 1960 zur Errichtung der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) - im Folgenden "EFTA-Übereinkommen" genannt - anzupassen. Hierbei ging es insbesondere um die Frage, welche Aspekte der zwischen der Schweiz und der EU abgeschlossenen sieben sogenannten sektoriellen Abkommen auf der Basis der Gegenseitigkeit und der Gleichbehandlung in das Verhältnis zwischen der Schweiz und den übrigen EFTA-Staaten Island, Norwegen und Liechtenstein übernommen werden könnten. Die EFTA-Staaten entschieden sich darüber hinaus für eine Modernisierung und Vervollständigung der Bestimmungen des EFTA-Übereinkommens, um den aktuellen Bedürfnissen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen gerecht werden zu können.
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Die in der Folge unternommenen Arbeiten wurden von den EFTA-Staaten anlässlich des EFTA-Ministerratstreffens vom 12./13. Dezember 2000 genehmigt. Weiter wurde beschlossen, in formelle Verhandlungen zu treten mit dem Ziel, das angepasste EFTA-Übereinkommen möglichst gleichzeitig mit den sektoriellen Abkommen in Kraft treten zu lassen.
Die Verhandlungen konnten für die meisten Sachbereiche am 2.-6. April 2001 in Genf abgeschlossen werden. Der Leiter des Amtes für Auswärtige Angelegenheiten hatte den Vorsitz sowohl in den informellen Vorbereitungsgesprächen wie in den eigentlichen Verhandlungen in Genf inne.
Zwei Sachbereiche bedurften vertiefter Diskussionen: der Schutz des geistigen Eigentums und die Personenfreizügigkeit zwischen Liechtenstein und der Schweiz. Die Verhandlungen hierzu wurden Anfang Juni 2001 abgeschlossen. Die Unterzeichnung des EFTA-Abkommens erfolgte anlässlich des EFTA-Ministerrats vom 21. Juni 2001 in Vaduz unter liechtensteinischem Vorsitz.