Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend das Protokoll Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe
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Die Todesstrafe ist ein nach wie vor sehr kontroverses Thema, das immer wieder zu emotionalen Debatten führt. Im europäischen Rahmen hat sich die Auffassung weitgehend durchgesetzt, dass die Abschaffung der Todesstrafe einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Menschenrechte, insbesondere des Rechts auf Leben und des Verbots der unmenschlichen Behandlung, leistet. Der Einsatz für die Abschaffung der Todesstrafe beruht aber auch auf der Überzeugung, dass durch die Verübung von Unrecht anderes Unrecht nicht wettgemacht werden kann und dass dem Menschen grundsätzlich nicht das Recht zusteht, einen anderen Menschen des Lebens zu berauben. Das in diesem Zusammenhang oft vorgebrachte Argument der abschreckenden Wirkung der Todesstrafe verliert angesichts der statistischen Untersuchungen, welche diese Auffassung in keiner Weise untermauern, zusehends an Bedeutung.
Der Europarat hat sich von Anfang an für eine Beschränkung und seit einigen Jahren für eine vollständige Abschaffung der Todesstrafe eingesetzt. Während die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) die Anwendung der Todesstrafe unter bestimmten Bedingungen noch zulässt, verbietet das Protokoll Nr. 6 zur EMRK die Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe in Friedenszeiten. Die noch bestehende Lücke hinsichtlich der Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe in Kriegszeiten und bei unmittelbarer Kriegsgefahr wird durch das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe geschlossen.
Liechtenstein ist bereits Vertragsstaat des Protokolls Nr. 6 zur EMRK (LGBl. 1990 Nr. 79) und des Zweiten Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (LGBl. 1999 Nr. 60), welches ebenfalls die Abschaffung der Todesstrafe verlangt. Durch die Ratifikation des Protokolls Nr. 13 zur EMRK kann Liechtenstein seine konsequente Haltung in dieser Frage erneut zum Ausdruck bringen.
Zuständiges Ressort
Ressort Äusseres
Betroffene Amtsstellen
Amt für Auswärtige Angelegenheiten
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Vaduz, den .... 2002
P
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend das Protokoll Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe zu unterbreiten.
Das Recht auf Leben wird als unveräusserliches Merkmal jedes Menschen und oberster Wert in der internationalen Menschenrechtsordnung von allen rechtlich verbindlichen Standards auf internationaler und regionaler Ebene garantiert. Zum Zeitpunkt der Erarbeitung dieser Standards (kurz nach dem 2. Weltkrieg) wurde hinsichtlich des Rechts auf Leben eine Ausnahme zugelassen, und zwar für die Verhängung der Todesstrafe durch ein Gericht für eine Tat, die im Gesetz mit dieser Strafe bedroht wurde (vgl. Art. 2 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, EMRK). Wie im Folgenden dargelegt werden soll, haben sich das internationale Recht und die nationalen Rechtsordnungen seither in Richtung Abschaffung der Todesstrafe sowohl im Allgemeinen als auch im Besonderen, d.h. für Straftaten, die während Kriegszeiten begangen wurden, weiterentwickelt.
Auf europäischer Ebene stellte die Verabschiedung des Protokolls Nr. 6 zur EMRK im Jahr 1982 in dieser Hinsicht einen Meilenstein dar. Dieses Protokoll ist seither von beinahe allen Vertragsstaaten der EMRK ratifiziert worden. Für Liechtenstein ist es seit dem 1. Dezember 1990 in Kraft (LGBl. 1990 Nr. 79).
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Das Protokoll Nr. 6 zur EMRK war das erste rechtlich verbindliche Instrument in Europa und der Welt, das die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten vorschrieb und weder Ausnahmen in Notsituationen noch Vorbehalte zuliess. In Art. 2 des Protokolls heisst es jedoch: "Ein Staat kann in seinem Recht die Todesstrafe für Taten vorsehen, welche in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr begangen werden." Diese Möglichkeit war auf Fälle begrenzt, die im Gesetz vorgesehen und in Übereinstimmung mit dessen Bestimmungen angewandt wurden.
In der Folge wurde von den Neumitgliedern des Europarats beim Beitritt verlangt, dass sie sich zu einem sofortigen Moratorium für die Vollstreckung der Todesstrafe, zur Streichung dieser Strafe aus der nationalen Rechtsordnung sowie zur Unterzeichnung und Ratifikation des Protokolls Nr. 6 zur EMRK verpflichteten. Dieselbe Aufforderung richtete die Parlamentarische Versammlung ab 1994 auch an die übrigen Mitgliedsländer. Am zweiten Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs von 1997 bekräftigten die Mitgliedstaaten des Europarats schliesslich auf höchster politischer Ebene dieses Ziel und riefen zu einer weltweiten Abschaffung der Todesstrafe auf. Bis dahin sollten die europäischen Staaten bestehende Moratorien unbedingt aufrecht erhalten.
In der Zwischenzeit fanden in anderen Gremien ebenfalls bedeutende Entwicklungen statt. 1998 verabschiedete die Europäische Union Richtlinien zur EU-Politik gegenüber Drittstaaten hinsichtlich der Todesstrafe, welche die Ablehnung der Todesstrafe in allen Fällen unterstreichen. Von den Vereinten Nationen war bereits 1989 das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) verabschiedet worden. Dieses stipuliert die Abschaffung der Todesstrafe, ohne auf Ausnahmen hinzuweisen. Liechtenstein ist dem Protokoll 1999 beigetreten (LGBl. 1999 Nr. 60). Im Rahmen der UNO-Menschenrechtskommission wurden mehrere Entschliessungen angenommen, welche im Hinblick auf die vollständige Abschaffung der Todesstrafe die weltweite Errichtung von Moratorien fordern. Erwähnenswert ist ausserdem die Tatsache, dass weder der Internationale Strafgerichtshof noch die beiden Internationalen Tribunale für Ex-Jugoslawien bzw. Ruanda berechtigt sind, die Todesstrafe zu verhängen.
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Die spezifische Frage der Abschaffung der Todesstrafe in Kriegszeiten oder bei unmittelbarer Kriegsgefahr sollte denn auch vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen in Bezug auf die allgemeine Abschaffung gesehen werden. Sie wurde erstmals von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in der Empfehlung 1246 (1994) thematisiert. Darin empfahl die Versammlung dem Ministerkomitee, ein Zusatzprotokoll zur EMRK zu erarbeiten, welches die Abschaffung der Todesstrafe sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten verlangt. Das Ministerkomitee leistete dieser Empfehlung nicht sofort Folge, weil es zu jenem Zeitpunkt die Errichtung und Beibehaltung von Moratorien als politische Priorität erachtete. Anlässlich der Ministerkonferenz zum fünfzigjährigen Bestehen der EMRK vom 3.-4. November 2000 in Rom sprachen sich die Regierungen jedoch klar für die Abschaffung der Todesstrafe auch in Kriegszeiten aus.
Angesichts dieser Entwicklung unterbreitete Schweden am 7. Dezember 2000 dem Ministerkomitee den Entwurf für ein Protokoll zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe unter allen Umständen. Der Entwurf diente als Grundlage für die weiteren Arbeiten innerhalb des Lenkungsausschusses für Menschenrechte (CDDH), der am 8. November 2001 dem Ministerkomitee den Text des Protokolls sowie den erläuternden Bericht vorlegte. Das Ministerkomitee verabschiedete das Protokoll am 21. Februar 2002 und beschloss, es anlässlich der 110. Ministersession vom 3. Mai 2002 in Vilnius zur Unterzeichnung aufzulegen.
Das Protokoll Nr. 13 zur EMRK wurde bisher von 34 Staaten unterzeichnet. 3 Staaten haben es bereits ratifiziert, darunter auch die Schweiz. Liechtenstein unterzeichnete das Protokoll am 3. Mai 2002 unter Vorbehalt der Ratifikation.