Berichte und Anträge
Regierungskanzlei (RK)
BuA - Nummer
2004 / 127
Zurück Druckansicht Dokument als PDF Navigation anzeigen
Ein­lei­tung
I.Bericht der Regierung
1.Aus­gangs­lage
2.Schwer­punkte des Fakultativprotokolls
3.Erläu­te­rungen zum Fakultativprotokoll
4.Ver­fas­sungs­mäs­sig­keit
5.Recht­liche, per­so­nelle und finan­zi­elle Auswirkungen
6.Bedeu­tung des Fakul­ta­tiv­pro­to­kolls für Liechtenstein
II.Antrag der Regierung
Grüner Teil
 
Bericht und Antrag der Regierung an den  Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend das Fakultativprotokoll vom 25. Mai 2000 zum Übereinkommen über die Rechte des  Kindes betreffend die Beteiligung von  Kindern an bewaffneten Konflikten
 
2
Das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten wurde von der Generalversammlung am 25. Mai 2000 einstimmig angenommen und trat am 12. Februar 2002 in Kraft. Es wurde im Rahmen der UNO ausgearbeitet und ergänzt die Kinderrechtskonvention - namentlich Artikel 38 - im Bereich Kindersoldaten. Artikel 38 der Kinderrechtskonvention sieht für die Rekrutierung und die unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten ein Mindestalter von 15 Jahren vor und stellt damit gerade in der Extremsituation von bewaffneten Konflikten eine Ausnahme von dem in der Kinderrechtskonvention statuierten Grundsatz dar, wonach jeder Person bis zu ihrem vollendeten 18. Lebensjahr ein besonderer Kinderschutz zukommt. Das vorliegende Fakultativprotokoll verbessert den Schutz der Kinder in bewaffneten Konflikten in wesentlichen Punkten: Es hebt das Mindestalter für die obligatorische Rekrutierung und die unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten auf 18 Jahre an. Es verpflichtet die Vertragsstaaten, das Mindestalter für die Rekrutierung von Freiwilligen durch staatliche Streitkräfte auf mindestens 16 Jahre zu erhöhen und in einer verbindlichen Erklärung darzulegen, welches Mindestalter für diese Rekrutierungsform auf ihrem Territorium gilt. Ferner müssen sie alle durchführbaren Massnahmen treffen, damit bewaffnete Gruppen unter keinen Umständen Personen unter 18 Jahren rekrutieren oder in Feindseligkeiten einsetzen. Es nimmt schliesslich die Vertragsstaaten in die Pflicht, Massnahmen für die Demobilisierung, Rehabilitation und die soziale Wiedereingliederung von Kindern, die als Soldaten an bewaffneten Konflikten beteiligt waren, zu ergreifen. Damit leistet es einen bedeutenden Beitrag zu einem rechtlichen und tatsächlichen Schutz der Kinder als der schwächsten Glieder der Gesellschaft in bewaffneten Konflikten.
Durch die Ratifikation des Fakultativprotokolls ergibt sich für Liechtenstein kein rechtlicher Anpassungsbedarf. Die für die Rehabilitation und Reintegration von ehemaligen Kindersoldaten erforderlichen Massnahmen können in konkreten Fällen mit der bestehenden Infrastruktur ergriffen werden. Die Berichterstattung über die Umsetzung des Fakultativprotokolls erfolgt im Rahmen der bereits bestehenden Berichterstattungspflicht Liechtensteins zur Umsetzung der Kinderrechtskonvention. Mit der Ratifikation des Zusatzprotokolls ergeben sich somit keine zusätzlichen finanziellen und personellen Auswirkungen.
3
Die Ratifikation des Fakultativprotokolls durch Liechtenstein ist als Fortsetzung des liechtensteinischen Engagements im Rahmen seiner Aussenpolitik im Menschenrechtsbereich und speziell im Bereich der Kinderrechte zu verstehen, zu der auch die regelmässige Unterstützung von Aktivitäten im internationalen Rahmen zählt.
Bisher haben 30 Staaten das Fakultativprotokoll unterzeichnet und bereits 86 Staaten haben es ratifiziert. Liechtenstein hat das Fakultativprotokoll am 8. September 2000 anlässlich des Millenniums-Gipfeltreffens der Staats- und Regierungschefs der UNO-Generalversammlung vom 6. bis 8. September 2000 in New York unterzeichnet.
Zuständige Ressorts
Ressort Äusseres; Ressort Familie und Gleichberechtigung, Ressort Justiz, Ressort Präsidium
Betroffene Amtsstellen
Amt für Auswärtige Angelegenheiten; Amt für Soziale Dienste; Ausländer- und Passamt, Abteilung Asyl und Flüchtlinge
4
Vaduz, den 16. November 2004
P
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend das Fakultativprotokoll vom 25. Mai 2000 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten zu unterbreiten.
1.1Kinder als Opfer bewaffneter Konflikte
In den letzten Jahrzehnten sind immer mehr Kinder Opfer bewaffneter Konflikte geworden, sei es als zivile Opfer oder als Täter. Gemäss dem UNO-Hilfswerk UNICEF wurden z.B. in der Dekade 1986-1996 ungefähr zwei Millionen Kinder in bewaffneten Konflikten getötet und sechs Millionen verwundet. Über eine Million Kinder sind verwaist. Von dieser Problematik, die andauert, sind vor allem Afrika, Lateinamerika und Südasien betroffen. Aber auch in den bewaffneten Konflikten auf dem Balkan sind Kindersoldaten in Feindseligkeiten eingesetzt worden. Hinter diesen Zahlen stehen die erschütternden Kriegserlebnisse von Kindersoldaten, wie beispielsweise der Verlust von Familienangehörigen, die Unterbrechung der Ausbildung, das Erfahren körperlicher Leiden und sexueller Aus-
5
beutung sowie der damit verbundenen Gefahr der Ansteckung mit der Immunschwächekrankheit HIV/AIDS.
Die Ursachen für diese erschreckenden Zahlen liegen in der starken Zunahme von materiell oder ethnisch motivierten nicht internationalen Konflikten, welche die Zivilbevölkerung sowie die staatlichen und sozialen Einrichtungen stark in Mitleidenschaft ziehen. Als neue Konfliktparteien treten neben den regulären Streitkräften auch nicht staatliche bewaffnete Gruppen auf, die oft nur lose Führungs- und Organisationsstrukturen aufweisen und sich dem humanitären Völkerrecht nicht verpflichtet fühlen. Schliesslich ist die Entwicklung von leichten und effizienteren Handfeuerwaffen zu erwähnen, welche den Einsatz von Kindern erst erleichtert.
Kinder werden den Erwachsenen für einen militärischen Einsatz häufig vorgezogen. Sie sind eher verfügbar, können sich weniger als Erwachsene gegen eine illegale Rekrutierung wehren und sind physisch und emotional leichter einzuschüchtern oder zu motivieren. Auf Grund ihres jugendlichen Alters und ihrer Unerfahrenheit unterliegen sie rasch einer falschen Einschätzung der Gefahren und der Leiden, die sie oft unbewusst mit verursachen. Sie sind zum Teil wesentlich skrupelloser, weil ihr Wertesystem noch nicht gefestigt ist und sie vielfach Gewalt bis hin zur Tötung als gängige Konfliktlösungsstrategie erfahren haben. Zu den Gruppen, aus denen am häufigsten rekrutiert wird, zählen Kinder ohne Familienbindung oder Erwachsenenbegleitung (Strassenkinder, Flüchtlingskinder) sowie Kinder aus ärmeren Schichten, deren Familien nicht genügend Einfluss besitzen, um sich gegen eine Rekrutierung zu wehren. Das normale Umfeld der Kinder ist in den meisten Fällen massiv bedroht oder gar zerstört. Die Familienstrukturen sind inexistent, Schulen geschlossen oder ausgebrannt. Meist treiben pure Not und massive Ängste die Kinder in die Hände militärischer Organisationen. Der Dienst in der Armee oder in bewaffneten Gruppen erscheint zunächst als sicherer im Vergleich zum bedrohten Dasein im heimischen Umfeld. Die militärische Organisation eröffnet die Hoffnung auf eine Grundversorgung an Lebensmit-
6
teln, Medikamenten und Kleidung. Sie bietet eine ? wenn auch zweifelhafte ? Solidarität und Geborgenheit und eröffnet die Perspektive, Rachegefühle für erlittenes Unrecht, Vertreibung und Gewalt befriedigen zu können. Oft führen auch religiöse oder politisch-kulturelle Gründe zum Anschluss von Kindern an bewaffnete Gruppen. Aber auch der Druck Gleichaltriger oder einfach das verlockende Abenteuer spielt eine Rolle.
Die Auswirkungen bewaffneter Auseinandersetzungen hinterlassen bei Kindern, die sich in der labilen Phase der Persönlichkeitsbildung befinden, grössere Spuren als bei Erwachsenen. Bereits in Friedenszeiten sind sie auf den Schutz der Familie, der Gesellschaft und des Rechtsstaates angewiesen. Dieses Schutzbedürfnis ist in Kriegssituationen grösser und kann oft gerade dann überhaupt nicht oder nur in einem geringen Ausmass erfüllt werden. Dies kann längerfristige negative Auswirkungen auf ihre Entwicklung und - als Folge davon - für den Frieden und die Stabilität der nächsten Generationen haben. Viele Konflikte dauern länger als ein Jahrzehnt, weshalb ganze Generationen in diesen Ländern kein Leben ohne Krieg kennen und nur auf ein Leben als Kämpfer vorbereitet sind. Sie befinden sich zumeist in einem Land, das noch ärmer ist als vor dem Konflikt, in dem sämtliche soziale und rechtsstaatliche Strukturen zerstört wurden und das den Jugendlichen keine Perspektive für eine sozioökonomische Entwicklung, ein geordnetes und harmonisches Leben unter menschenwürdigen Bedingungen aufzeigen kann. Entsprechend erweisen sich die Wiedereingliederung der ehemaligen Kindersoldaten und der Wiederaufbau dieser Länder als äusserst schwierig.
Die Lösung des Problems der Kindersoldaten stellt eine Herausforderung für die Staatengemeinschaft dar. Sie erfordert neue globale Ansätze und Methoden der internationalen Zusammenarbeit. Neben der Entwicklungszusammenarbeit gehören dazu alle Arten von Interventionen zum Schutz von Individuen wie die Errichtung des internationalen Strafgerichtshofes, die Bemühungen zur besseren Verbreitung und Durchsetzung des humanitären Völkerrechts, die Massnahmen zur besseren Kontrolle des Handels mit kleinen und leichten Waffen und als wei-
7
tere wichtige Massnahme das Verbot, Kinder zu rekrutieren und in Feindseligkeiten einzusetzen.
LR-Systematik
0..1
0..10
LGBl-Nummern
2005 / 026
Landtagssitzungen
16. Dezember 2004
Stichwörter
Kind, Rechte, Fakul­ta­tiv­pro­to­koll zum Übereinkommen
Rechte des Kindes, Betei­li­gung an bewaff­neten Konflikten