Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Schaffung eines Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und anderen Internationalen Gerichten (ZIGG)
4
Das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Liechtenstein am 2. Oktober 2001 ratifiziert. Es ist nach Vorliegen von 60 Ratifikationen am 1. Juli 2002 in Kraft getreten. Das Statut verpflichtet die Vertragsstaaten, mit dem Internationalen Strafgerichtshof umfassend zusammenzuarbeiten. Darunter fällt insbesondere die Verpflichtung zur Rechtshilfeleistung und zur Überstellung von Beschuldigten. Darüber hinaus kann die Bereitschaft erklärt werden, verurteilte Personen zum Strafvollzug zu übernehmen. Um diesen Zusammenarbeitsverpflichtungen vollinhaltlich nachkommen zu können, ist eine gesetzliche Grundlage erforderlich. Zwar ist das Statut infolge Ratifikation durch Liechtenstein unmittelbar anwendbar, doch erscheint eine Umsetzung in einem eigenen Landesgesetz im Interesse der Rechtssicherheit und leichteren Lesbarkeit durch den Rechtsanwender angezeigt, zumal einzelne Bestimmungen des Statuts durch die Verfahrens- und Beweisordnung des Internationalen Strafgerichtshofes noch näher determiniert werden.
Weiters regelt der vorliegende Entwurf auch die Zusammenarbeit mit den Ad-hoc-Straftribunalen für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat mit den Resolutionen 827 (1993) und 955 (1994) gleichfalls als Massnahme nach Kapitel VII der Satzung der Vereinten Nationen die Errichtung von internationalen Gerichten für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda beschlossen. Wesentlicher Inhalt dieser Resolutionen ist die Verfolgung von Personen, die für schwere Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht verantwortlich zeichnen. Die vorgenannten Resolutionen sowie die Statute der Internationalen Gerichte und deren Verfahrensanordnungen sind jedoch nicht unmittelbar anwendbar und bedürfen daher der Umsetzung durch ein eigenes Landesgesetz.
Aufgrund der hochgradigen Kongruenz in den Bereichen des Strafrechtes, der Strafprozessordnung und des Rechtshilfegesetzes zwischen Österreich und Liechtenstein lehnt sich der vorliegende Entwurf stark an die österreichischen Rezeptionsvorlagen, das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den Internationalen Gerichten, BGBl. Nr. 263/1996, und das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof, BGBl. Nr. 135/2002, an, trägt aber auch den besonderen liechtensteinischen Gegebenheiten Rechnung.
5
Zuständiges Ressort:
Ressort Justiz
Betroffene Amtsstellen:
Landgericht, Obergericht, Staatsgerichtshof, Staatsanwaltschaft, Amt für Auswärtige Angelegenheiten, Landespolizei
7
Vaduz, 24. August 2004
P
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag den nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Schaffung eines Gesetzes über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof und anderen Internationalen Gerichten zu unterbreiten (ZIGG).
Das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs ("Statut") wurde am 17. Juli 1998 von der Diplomatischen Konferenz der UNO zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs in Rom verabschiedet. Es bildet die rechtliche Grundlage für einen ständigen Internationalen Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag. Der Gerichtshof ist zuständig für die Beurteilung von besonders schweren Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes betreffen: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und bestimmte Formen der Aggression.
8
Der Internationale Strafgerichtshof beruht auf dem Grundsatz der Komplementarität: Er wird nur dann tätig, wenn die für die Strafverfolgung in erster Linie zuständigen innerstaatlichen Behörden nicht willens oder nicht in der Lage sind, eines dieser Verbrechen, welches auf ihrem Hoheitsgebiet oder von einem ihrer Staatsangehörigen begangen wird, ernsthaft zu verfolgen. Dieser Fall kann etwa dann eintreten, wenn das staatliche Strafverfolgungssystem als Folge kriegerischer Ereignisse zusammengebrochen ist. Denkbar ist auch, dass die zuständigen innerstaatlichen Behörden von Personen kontrolliert werden, welche die fraglichen Verbrechen selbst mitzuverantworten haben, so dass keine ernsthafte Strafverfolgung stattfindet. Durch die komplementäre Ausgestaltung des Statuts soll sichergestellt werden, dass die immer wieder auftretenden Lücken bei der strafrechtlichen Verfolgung dieser besonders schweren Verbrechen geschlossen werden können. Mit der Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes soll die innerstaatliche Strafgerichtsbarkeit keinesfalls ersetzt werden. Ebenso wenig ist er eine Rechtsmittelinstanz, mit welcher letztinstanzliche innerstaatliche Strafurteile einer internationalen Überprüfung unterzogen würden.
Das Statut anerkennt den völkerrechtlichen Grundsatz der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit für schwerste Völkerrechtsverletzungen, ohne sich zur Frage einer allfälligen Staatenverantwortlichkeit zu äussern. Die bedeutende Errungenschaft des Römer Statuts besteht darin, dass sich Einzelpersonen, welche die minimalsten Verhaltensregeln der Mitmenschlichkeit verletzt haben, unter Umständen vor einem internationalen Gericht verantworten müssen. Der Internationale Strafgerichtshof ist damit Ausdruck einer im Namen der Staatengemeinschaft ausgeübten Justiz.
Derzeit haben 139 Staaten das Statut unterzeichnet. 94 Staaten haben das Statut bislang ratifiziert - darunter Liechtenstein am 2. Oktober 2001; zehn Ratifikationen erfolgten gleichzeitig am 11. April 2002 in einer feierlichen Zeremonie am Sitz der Vereinten Nationen. Damit wurde die für das In-Kraft-Treten erforderli-
9
che Zahl von 60 Ratifikationen erreicht. Das Römer Statut ist am 1. Juli 2002 in Kraft getreten.
Die massiven Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht im ehemaligen Jugoslawien und die Massaker in Ruanda haben den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bewogen, ad-hoc-Strafgerichte einzurichten. Grundlage für die Tätigkeit des Internationalen Strafgerichts für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag bilden die Sicherheitsrats-Resolutionen 808 vom 22. Februar 1993 und 827 vom 25. Mai 1993. Die Tätigkeit des Internationalen Strafgerichts für Ruanda wurde durch die Sicherheitsratsresolution 955 vom 8. November 1994 begründet. Alle drei Resolutionen stützen sich auf Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen. Diese beiden Internationalen Strafgerichte haben die Aufgabe, schwere Verbrechen (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verstösse gegen das Kriegsrecht sowie schwere Verletzungen der Genfer Übereinkommen von 1949) zu ahnden, wie sie im ehemaligen Jugoslawien im Zuge der kriegerischen und gewaltsamen Auseinandersetzungen seit 1991 begangen wurden oder die strafrechtliche Verfolgung von Völkermord und anderen schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu sichern, welche 1994 in Ruanda im Rahmen des Völkermords zwischen Hutu und Tutsi mehr als 800.000 Menschen das Leben gekostet haben. Beide Gerichtshöfe sind international wegweisend. Durch Auslegung und Konkretisierung völkerrechtlicher Strafnormen und die Entwicklung neuer Verfahrensvorschriften haben die beiden Internationalen Strafgerichte Massstäbe gesetzt, die sich auch auf das Römer Statut und die Arbeit des ständigen Internationalen Strafgerichtshofs und auf nationale Rechtsordnungen ausgewirkt haben.