Bericht und Antrag der Regierung an den Landtag des Fürstentums Liechtenstein
betreffend die Schaffung eines Gesetzes über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen (Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz; FernFinG)
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Die Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG (ABl. EG Nr. L 271 S 16) ist bis zum 9. Oktober 2004 in das liechtensteinische Recht umzusetzen.
Die Richtlinie zielt auf die europaweite Angleichung der Rechtsvorschriften für den Vertrieb von Finanzdienstleistungen (z.B. Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung, Geldanlage) an Konsumenten insbesondere per Telefon, Fax oder Internet. Sie schliesst damit eine Lücke im europäischen Verbraucherschutzrecht, nachdem die Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz in ihrem Art. 3 Abs. 1, 1. Spiegelstrich in Verbindung mit Anhang II gerade den Bereich des Fernabsatzes von Finanzdienstleistungen ausgenommen hatte. Um trotz des fehlenden persönlichen (physischen) Kontakts zwischen den Vertragspartnern eine wohlüberlegte Vertragsentscheidung der Konsumenten zu ermöglichen, wird den Unternehmern die Pflicht auferlegt, ihre Kunden rechtzeitig über die für den Verbraucherabschluss wesentlichen Umstände zu informieren. Ausserdem erhält der Konsument das Recht, innerhalb einer bestimmten Frist vom Vertrag zurückzutreten. Dadurch soll das Vertrauen der Konsumenten in die Vertriebsform "Fernabsatz" im Bereich Finanzdienstleistungen gefördert werden. Unternehmen, die Finanzdienstleistungen grenzüberschreitend mittels Fernkommunikation absetzen, sollen von der Vereinheitlichung der Rechtsnormen profitieren.
Kerninhalt der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen sind umfassende Informationspflichten gegenüber dem Konsumenten (Art. 3 bis 5 der Richtlinie) sowie ein Rücktrittsrecht (Art. 6).
Die neue Richtlinie betrifft alle Finanzdienstleistungen für Privatkunden wie Bankdienstleistungen, Versicherungs- oder Wertpapierdienstleistungen, die im Fernabsatz - per Telefon, Telefax oder über das Internet - vertrieben werden.
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Zu den wichtigsten Regelungen der Richtlinie gehören gestiegene Anforderungen an die Informationspflichten des Anbieters. Dieser muss künftig dem Kunden auf dem Papierweg oder über einen anderen "dauerhaften Datenträger" (Computer-Diskette, CD-ROM oder E-Mail) vor Vertragsabschluss umfangreiche Informationen zur Verfügung stellen, u. a. die Identität des Lieferers, Kontaktadresse, Zahlungsmodalitäten, vertragliche Rechte und Pflichten sowie Einzelheiten über Art und Umfang der Erbringung der angebotenen Leistung.
Das liechtensteinische Recht, insbesondere das Recht über Fernabsatzverträge, setzt derzeit die allgemeine Fernabsatzrichtlinie im Gesetz vom 18. April 2002 über den Verbraucherschutz bei Vertragschlüssen im Fernabsatz (Fernabsatzgesetz; FAG), LGBl. 2002 Nr. 71, um und nimmt - jener Richtlinie folgend - Finanzdienstleistungen aus. Deshalb besteht Anpassungsbedarf.
Zuständige Ressorts
Finanzen, Wirtschaft
Betroffene Amtsstellen
Amt für Volkswirtschaft, Amt für Finanzdienstleistungen
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Vaduz, 21. September 2004
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Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Frauen und Herren Abgeordnete
Die Regierung gestattet sich, dem Hohen Landtag nachstehenden Bericht und Antrag betreffend die Schaffung eines Gesetzes über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen (Fern-Finanzdienstleistungs-Gesetz; FernFinG) zu unterbreiten.
Am 9.10.2002 ist die Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher in Kraft getreten (ABl. L 271/16 vom 9.10.2002). Nach dem Scheitern einer einzigen einheitlichen Fernabsatz-Richtlinie und dem Erlass der die Finanzdienstleistungen ausklammernden "Allgemeinen Fernabsatzrichtlinie" im Jahr 1997, erfuhren nunmehr - nach über fünf Jahren - auch die Finanzdienstleistungen, die sich ganz besonders für Transaktionen im Fernabsatz eignen, eine Richtlinienregelung. Die neue Richtlinie stellt primär auf den Schutz der Konsumenten bei Inanspruchnahme von Finanzdienstleistungen im Fernabsatz ab.
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Durch die Richtlinie 2002/65/EG wird die Richtlinie 97/7/EG, die für Produkte und Dienstleistungen mit Ausnahme der Finanzdienstleistungen einen ausreichenden Schutz der Konsumenten sicherstellt, ergänzt, um den Besonderheiten der Finanzdienstleistungen Rechnung zu tragen. Diese Richtlinie soll somit diese Rechtslücke schliessen und eine gemeinsame Grundlage für die Bedingungen schaffen, unter denen Verträge im Fernabsatz betreffend Finanzdienstleistungen geschlossen werden. Die Richtlinie ändert ebenfalls die Richtlinie 90/619/EWG, die durch die Richtlinie 2002/83/EG über Lebensversicherungen ausser Kraft gesetzt wurde, und die Richtlinie 98/27/EG über Unterlassungsklagen ab.
Unter "Fernabsatz" versteht man den Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen, der ohne persönlichen Kontakt zwischen den Vertragspartnern erfolgt, weil diese ausschliesslich mit Fernkommunikationsmitteln wie Brief, Telefon, Internet oder E-Mail kommunizieren. Diese Vertriebsform, die im schon lange bekannten Versandhandel ihren Ursprung hat, heute aber beispielsweise auch schon über das Internet abgewickelte Finanztransaktionen umfasst, erfreut sich in den letzten Jahren wegen der technischen Fortentwicklung und der zunehmenden Verbreitung moderner Fernkommunikationsmittel einer steigenden Anwendung und Akzeptanz. Sie birgt Chancen, aber auch Risiken:
Vorteilhaft für den Kunden ist der Umstand, dass er keine Geschäftsräumlichkeiten aufsuchen muss und daher geografische Entfernungen und Öffnungszeiten keine Rolle spielen. Er kann in aller Ruhe zu Hause auswählen und beispielsweise über Internet verschiedene Angebote einholen und miteinander vergleichen. Unternehmen ersparen sich durch den Fernabsatz eine Vertriebsebene und können weltweit mit Kunden kontrahieren, ohne über eine Vielzahl von Niederlassungen mit Verkaufsräumen und Verkaufspersonal verfügen zu müssen. Die damit verbundene Kostenersparnis sollte sich wiederum günstig auf den Preis der Leistung auswirken und damit auch den Kunden zugute kommen.
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Der Fernabsatz bereitet aus der Sicht des Konsumentenschutzes aber auch manche Probleme: Die Aussicht, eine vorteilhaft dargestellte und angepriesene Ware oder Leistung einfach durch Ausfüllen und Absenden eines Bestellscheins, durch telefonischen Anruf, E-Mail oder überhaupt "per Mausklick" zu bestellen und in der Folge zu erhalten, ohne dafür sofort bar zu bezahlen, kann Konsumenten zu übereilten Vertragsabschlüssen über Waren oder Dienstleistungen verleiten, die sie bei näherer Überlegung nicht oder nicht in der konkreten Ausgestaltung brauchen oder die sie sich in Wahrheit finanziell gar nicht leisten können. Es kann auch sein, dass ein Konsument beim Vertragsabschluss mit Fernkommunikationsmitteln nicht erkennt, übersieht oder im Laufe der Zeit wieder vergisst, mit wem und zu welchen Bedingungen er kontrahiert hat, welches Recht auf den Vertrag anzuwenden ist und wie und wem gegenüber er seine vertraglichen Ansprüche geltend machen kann.
Finanzdienstleistungen wie Bank- und Versicherungsdienstleistungen eignen sich aufgrund ihrer immateriellen Beschaffenheit - es müssen keine körperlichen Gegenstände hergestellt, geliefert oder bearbeitet werden - besonders gut für Transaktionen im Fernabsatz. Allerdings besteht bei ihnen wegen ihrer Komplexität und ihrer oft erheblichen und langfristigen finanziellen Auswirkungen (etwa bei Kredit-, Lebensversicherungs- oder Privatpensionsverträgen) auch ein besonderes Bedürfnis nach rechtlichem Schutz der Konsumenten vor Übereilung und vor Informationsdefiziten.
Sowohl für Anbieter als auch für Konsumenten von Finanzdienstleistungen gehört der Fernabsatz von Finanzdienstleistungen zu den wichtigsten greifbaren Ergebnissen des vollendeten Binnenmarkts. Für dessen reibungsloses Funktionieren ist es wesentlich, dass die Konsumenten mit Anbietern anderer Mitgliedstaaten Verträge aushandeln und schliessen können, und zwar unabhängig davon, ob der Anbieter auch in den Mitgliedstaaten über eine Niederlassung verfügt, in dem der Konsument ansässig ist. Dabei ist sicherzustellen, dass die Konsumenten gleichen
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Zugang zu breitest möglichen Angeboten an Finanzdienstleistungen haben, die in der Gemeinschaft verfügbar sind. Durch die Schaffung eines einheitlich hohen Verbraucherschutzniveaus soll das Vertrauen der Konsumenten in den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen gestärkt werden (vgl. den 2., 3. und 4. Erwägungsgrund der Richtlinie).
Die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen tritt neben bereits bestehendes Gemeinschaftsrecht, insbesondere die - bereits genannte - "Allgemeine Fernabsatzrichtlinie", welche die wesentlichen Bestimmungen über den Absatz von Waren und Dienstleistungen (ausgenommen Finanzdienstleistungen) an Konsumenten enthält sowie die Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr (sog. E-Commerce-Richtlinie; in Liechtenstein bereits durch das E-Commerce-Gesetz, LGBl. 2003 Nr. 133, umgesetzt). Die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen soll gemäss dem 6. Erwägungsgrund im Einklang mit dem Vertrag und dem abgeleiteten Recht angewandt werden. Ausdrücklich klargestellt ist, dass die E-Commerce-Richtlinie nur für von ihr erfasste Transaktionen gilt.